Obamas "Rede zur Lage der Nation":Amerikas langer Weg zur Besserung

President Obama Delivers State Of The Union Address

Vor seiner "Lage zur Rede der Nation" winkt Barack Obama dem Publikum im Kongress in Washington zu.

(Foto: AFP)
  • Die "Rede zur Lage der Nation" von Barack Obama macht deutlich, dass sich die USA zuletzt wirtschaftlich erholt haben. Die politische Erholung lässt aber auf sich warten.
  • Viele Forderungen des Präsidenten wären geeignet, um die Ungleichheit in der US-Gesellschaft zu bremsen und die Vorbild-Rolle Amerikas in der Welt zu stärken.
  • Die Republikaner werden mit ihrer Mehrheit die meisten Vorschläge Obamas blockieren; sie konzentrieren sich schon auf die Präsidentschaftswahl 2016.

Kommentar von Nicolas Richter

Im August 2011 erlebten die Vereinigten Staaten eine seltene Demütigung: Die Ratingagentur Standard & Poor's stufte deren Kreditwürdigkeit von der Bestnote AAA herunter auf AA+. Die enormen Staatsschulden waren nur einer von zwei Gründen; der andere lag in der offensichtlichen Unfähigkeit Washingtons, sich auf einen Haushalt zu einigen. Die US-Politik, urteilten die Finanzexperten, sei ineffizient, gar unberechenbar.

Heute, nur dreieinhalb Jahre später, geht es Amerika so gut wie lange nicht mehr. In seiner Rede zur Lage der Nation hat Präsident Barack Obama lauter Superlative aufgezählt - nie in seiner Amtszeit waren Arbeitslosigkeit und Neuverschuldung so gering, nie das Wachstum so groß, nie Rohstoffe und Medizin so billig. Zu alledem gesellte sich allerdings ein weiterer Superlativ: Nie hat dieser Präsident vor so vielen Gegnern gesprochen, nie in seiner Amtszeit haben die US-Wähler so viele republikanische Abgeordnete und Senatoren in den Kongress geschickt, um ihn, den Staatschef, zu neutralisieren.

Wirtschaftlich erholt sich das Land, politisch noch nicht

Amerika mag sich wirtschaftlich erholt haben, aber die politische Erholung lässt auf sich warten. Die ideologische Verkrampfung, die seit der Finanzkrise vor allem die Republikaner erfasst hat, lässt allenfalls schleichend nach. Obama wiederum, der erst vor gut zwei Monaten die Parlamentswahl verloren hat, tritt auf, als habe ihm das Volk gerade eine dritte Amtszeit geschenkt - eine Verlängerung wegen des großen Erfolges. In seinen letzten beiden Jahren an der Macht ist nicht damit zu rechnen, dass sich Präsident und Parlament auf Großes einigen. Die Funktionstüchtigkeit Washingtons dürfte also in dem Bereich verharren, den die Ratingagenten BB nennen - Ramsch.

Dabei öffnet das Ende von 13 Jahren Ausnahmezustand um Terror, Krieg und Wirtschaftskollaps ganz neue Spielräume für die Politik. Washington könnte sich jetzt um das kümmern, was in Krisenzeiten als Luxusproblem verniedlicht wird - um die Ungleichheit im Land. Mehr als 40 Millionen Beschäftigte müssen auf Lohn oder Gehalt verzichten, wenn sie krank sind oder sich um ein krankes Kind kümmern. Viele Gehälter sind so erbärmlich, dass selbst jene arm sind, die Tag für Tag schuften gehen. Noch immer gilt für Lehrer ein höherer Steuersatz als für Millionäre, die vom Ertrag ihrer Wertpapiere leben. In vielen westlichen Ländern würde man den Kapitalismus nach US-Spielart als sittenwidrig ablehnen.

Obama möchte dies ändern, er verlangt bezahlte Krankheitstage, Mindestlöhne, höhere Steuern für Reiche. Er hat recht, wenn er sagt, dass dies darüber bestimmt, "wer wir sind". Wenn die USA wieder das leuchtende Weltvorbild sein möchten, für das sie sich oft halten, dann reicht es nicht, Guantanamo zu schließen. Sie müssen auch eine innere Ordnung ändern, in der die Früchte des Erfolgs immer weniger Menschen vorbehalten sind, während viele andere ausgebeutet werden und um die Zukunft bangen.

Obamas Vorschläge sind richtig, aber ihre Umsetzung ist unwahrscheinlich. Anders als in den Achtzigerjahren, als sich der republikanische Präsident Ronald Reagan und beide Parteien auf eine große Steuerreform einigten, fehlt heute auf beiden Seiten der Wille, gemeinsam etwas zu vollbringen. Heute denken Linke und vor allem Rechte, dass sie mehr erreichen, wenn sie auf ihre Gegner einschlagen. Besonders viele Republikaner sind für ihr Versprechen gewählt worden, dass sie den Staat zurückdrängen. Höhere Steuern auf Kapitalerträge, zu denen ihr Idol Reagan einst bereit war, wären für sie heute so abgründig wie Hochverrat.

Natürlich ist es Barack Obama unbenommen, in großen Reden für seine Agenda zu werben. Auch ohne Mehrheit im Kongress kann der Präsident Themen setzen, um die öffentliche Meinung werben, seine Verhandlungsposition abstecken. Eine Annäherung an die noch immer ideologisch erhitzten Republikaner aber macht das nicht wahrscheinlicher. Obama hat den Republikanern kein bedeutendes Zugeständnis angeboten, dafür aber mehrmals gedroht, gegen republikanische Gesetze sein Veto einzulegen.

Diese Erstarrung lässt sich nur mit einer weiteren Wahl lösen, bei der die Amerikaner alle Macht einer Partei anvertrauen. Schon jetzt haben Rechte und Linke mehr die Wahl 2016 im Blick als zwischenzeitliche Reformen. Vielleicht reicht die Kompromissbereitschaft gerade noch dafür, den Freihandel mit Asien zu gestalten, zu mehr aber wohl nicht. Vermutlich bedarf es vieler Jahre ohne Terror und Krisen, damit die USA auch in der Politik zum Pragmatismus zurückfinden. Einstweilen ist "gute Besserung" für Amerika sowohl Befund als auch Wunsch. Die Wirtschaft ist auferstanden, die Kunst der Kompromisse noch lange nicht.

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