Nachlese zum Kieler "Tatort":Abgründe? Abgründe

Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel

In ständiger Angst: die junge Rita.

(Foto: NDR/Christine Schröder)

Sie wollen mitreden über den "Tatort"? Hier erfahren Sie, warum "Borowski und der Himmel über Kiel" Crystal Meth nicht nur verteufelt und warum es am schlimmsten wird, wenn Möwen kreisen. Die Nachlese - mit den besten Zuschauerkommentaren.

Von Carolin Gasteiger

Darum geht's:

In der Nähe eines kleinen Dorfes bei Kiel wird der Kopf eines jungen Mannes gefunden. Abgehackt, wohl mit einem Beil. Seine Zähne weisen auf Crystal Meth hin. Bald suchen Kommissar Borowski und seine Kollegin Sarah Brandt nicht nur den Körper des Toten, sondern auch diejenigen, die in der Region Crystal Meth verkaufen. Dass ihnen die Freundin des Ermordeten, Rita, helfen will, ist nur im ersten Moment von Vorteil.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz:

Bezeichnender Dialog:

Borowski und Rita warten im Auto vor dem Club, in dem die Ermittler zwei verdächtige Drogendealer vermuten.

Borowski: Ein Blick in deine eigene Vergangenheit.

Rita: Denken Sie, dass ich dahin zurück will und was nehme? Ich träume ganz oft davon.

Borowski: Du träumst wovon?

Rita: Von Spritzen. Abbrechen und dann gleich wieder eine Nadel rein. Das träume ich meistens. Aber das hier ist nicht schlimm für mich (eingeblendete Partyszenen aus dem Club).

Rita: Sind Sie eigentlich verheiratet?

Borowski: Bin schon lange getrennt.

Rita: Und Kinder?

Borowski: Ja, ich habe eine Tochter. So etwa in Deinem Alter. Nur, ich hab sie schon lange nicht mehr gesehen.

Rita: Mein Vater meldet sich auch nicht mehr.

Borowski: Ich wüsste gerne, wie es ihr geht.

Rita: Sie haben sich nicht gekümmert.

Borowski: Man kriegt nicht alles hin.

Rita: Vielleicht melden Sie sich mal wieder bei ihr.

Die besten Zuschauerkommentare:

Die beste Szene:

Es ist ein jämmerlicher Anblick, wie Rita in einer Rückblende auf allen vieren, die Spritze im Mund wie ein apportierender Hund, am Boden sitzt und Mike anstarrt. Sie braucht den nächsten Schuss, sie zittert, ist unruhig. Plötzlich springt sie wie ein aufgeschrecktes Tier auf die Couch zu ihrem Freund, fleht und wimmert, schreit dann aber plötzlich los und greift ihn an. Er wirft sie zurück auf den Boden, ruft ihr hinterher: "Ein verdammter Junkie bist Du." Junkies unter sich - das kann nicht gut gehen: Im nächsten Moment zieht Mike den Stoff aus einem Kästchen.

Top:

In diesem Fall ist nicht nur das Wetter grau und ungemütlich. Es ist ein brisantes Thema, das Regisseur Christian Schwochow in "Borowski und der Himmel über Kiel" aufarbeitet. Und er hat es packend inszeniert, ohne Scheu vor dem Hässlichen und Schockierenden, vor grauen eingefallenen Gesichtern, die sich und der ganzen Welt etwas vormachen. Selbst die perfekte Idylle, als endlich die Sonne am Meer scheint und die Möwen kreisen, wird zum Albtraum. Dann kommt es zur Vergewaltigung. "Abgründe?", wird Borowski an einer Stelle gefragt. "Abgründe", antwortet er.

Flop:

Mit einem Hühnchen im Römertopf und Schwadronieren über die Kochkünste seines Vorgesetzten versucht Borowski, Witz in den Fall ​zu bringen. Klappt diesmal eher nicht, zu düster ist das Thema, da hilft auch ein Huhn mit Zitrone nicht mehr. Sarah Brandt rollt mit den Augen - stellvertretend für den Zuschauer.

Bester Auftritt:

Mal wirkt sie kindlich unschuldig, mal ist sie zum Fürchten aggressiv. Elisa Schlott verkörpert die junge labile Rita voller Intensität und Stärke. In einer Szene wirkt sie verschüchtert und unsicher, in der nächsten völlig irre. In Borowski scheint sie ihre Bezugsperson zu finden, hier wirkt sie zutraulich. Wie Elisa Schlott in diesem Tatort blitzschnell von einem Extrem zum anderen wechselt, ist beeindruckend.

Die Erkenntnis:

Crystal Meth ist böse. Aber auch faszinierend. Wenn das Zeug schon ganze Dorfgemeinschaften vereinnahmt, will man sich gar nicht vorstellen, wo es noch überall verbreitet ist. Crystal Meth zu verteufeln, reicht diesem Tatort jedenfalls nicht.

Die Schlusspointe:

Rita will an den Ort zurück, an dem ihr mit Mike alles möglich schien - zu den Sternen. Über den Dächern Kiels zeigt sie Borowski den Nachthimmel, Orion, Castor, Procyon. "Und eine Sternschnuppe", sagt der Kommissar, der kurz zuvor vergebens versucht hat, seine Tochter zu erreichen (Mailbox). "Kannst dir was wünschen", sagt er zu dem Mädchen ebenso wie zu sich selbst. Dafür ist es wohl nie zu spät. Und Rita schließt die Augen.

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