Specht im Garten:Ich oder er?

Nachwuchs bei Familie Buntspecht

Freund oder Feind? Ein junger Buntspecht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Unser Autor spielt mit dem Gedanken, eine Waffe zu erwerben, denn er ist blutdürstig und will töten. Sein Feind? Ein Specht. Oooch, aber sind die nicht süß und nützlich? Kommt ganz drauf an.

Von Gerhard Matzig

Vor mir liegt ein kleines Arsenal. Eine Waffe hat einen Seitenspanner, eine andere einen Knicklauf. Ein Gewehr, das ich besonders schön finde, heißt Diabolo. Es scheint geeignet zu sein, um mein Problem, sagen wir, zu eliminieren. Zu terminieren. Zu atomisieren.

Ich oder er.

"Wozu brauchen Sie denn das Luftgewehr?" Der Mann im Waffengeschäft an der Münchner Orleansstraße schaut mich fragend an. Nicht unfreundlich. Eher freundlich-skeptisch. Er macht nur seinen Job und will ausschließen, dass ich ein gefährlicher Irrer bin.

"Ja, also . . . zur Selbstverteidigung. Nur im Garten."

"Bitte?"

"Ich meine: Das wäre ja nicht gegen Menschen gerichtet."

"Sondern?"

"Es geht um einen Specht."

"---"

"Genauer gesagt: Es ist ein Buntspecht. Dendrocopos major. Sehr gefährlich. Ein Männchen, ungefähr 25 Zentimeter groß. Man kann ihn leicht am roten Genickfleck erkennen, ein richtiger Killer."

Die anderen Leute im Laden verstummen. Sie schauen mich an. Der Verkäufer schaut mich an. Möglicherweise sehe ich in diesem Augenblick aus wie ein gefährlicher Irrer. Ich trete den Rückzug an. Ohne Luftgewehr. Der Waffendeal ist geplatzt.

Das heißt: nicht ganz. Im Spielzeuggeschäft gleich um die Ecke kaufe ich aus dem Sortiment der Firma Nerf eine Elite Retaliator, eine Zombie Strike und eine Waffe, die Mega Magnus Blaster heißt. Man kann damit Schaumgummiprojektile bis zu zwanzig Metern weit abfeuern. Eine Schleuder nehme ich auch noch mit. Für alle Fälle. Und zur Abschreckung. Vielleicht wäre eine kleine Waffenparade im Garten angebracht.

Der Specht hat mächtige Verbündete

Der Spiegel bezeichnet den Specht als "fliegenden Fassadenkiller". Zu Recht. "Umweltbewusste Hausbesitzer haben einen natürlichen Feind: Der deutsche Specht hackt mit Vorliebe Löcher in energiesparende Wärmedämmplatten." Und zwar immer öfter. Denn der Specht breitet sich aus. Mit Vorliebe auch in grünen Vororten. Gefördert offenbar von der Bau-Lobby, der deutschen Energieeinsparverordnung und meiner Frau, der Pazifistin. Der Specht hat mächtige Verbündete.

Dabei haben wir nicht mal Dämmplatten, wir haben einfach nur ein Holzhaus. In Waldtrudering im Osten von München. Dorthin sind wir gezogen, weil es da so schön ruhig ist. So schön ruhig und so schön grün. Findet der Specht auch.

"Von Natur aus", so der Spiegel, "liebt der deutsche Specht das Geräusch, wenn er mit seinem kräftigen Schnabel gegen einen Hohlraum hämmert. Hinter dem Beklopften kann er dann schmackhafte Insekten oder Larven als Leckerbissen vermuten und zudem seinen Revierkonkurrenten signalisieren: Hier klopfe ich."

Er hält mein Haus also für etwas Beklopftes, meine Familie für Insekten, Larven und sonstige Leckerbissen - und mich für seinen Revierkonkurrenten. Er führt sich auf wie Putin. Wir sind die Krim.

Aber: Hier wohne ich, da kannst du klopfen, bis dir der Schnabel abfällt. Übrigens wohnen wir in einem sehr schmalen und sehr verletzlichen Haus, für das wir uns bis zum Jahr 2078 sehr hoch verschuldet haben. Und jetzt sieht unsere Fassade aus, als hätte sie eine heimtückische Hautkrankheit. Die ersten Löcher sind groß wie Kinderfäuste. Die Versicherung zahlt nicht. Spechte marodieren und plündern im rechtsfreien Raum.

Militante Kriegstreiber gegen Weicheier

Zu Hause werde ich jedenfalls meine Jungs und mich selbst bewaffnen. Wir werden Wachdienste organisieren. Im Internet suche ich nach einem Nachtsichtgerät. Und ein Freund sagt, er könne mir vielleicht einen ausrangierten Schiedsrichterstuhl vom Tennisplatz organisieren, für den Garten. Noch ein Tarnnetz aus dem Militaryshop drüber, dann sei das ein prima Wachtposten. Und da ich schon mal auf der Homepage des Militaryshops bin: So eine Nässeschutzjacke in "Flecktarnoptik" wäre ja auch was für mich. Oder doch lieber eine schwarze Einsatzkampfjacke mit "Rückenschlaufen zum Anbringen von Tarnmaterial"? Meine Frau schaut mir über die Schulter und hält mich für einen gefährlichen Irren.

Illustration: Dieter Braun

Illustration: Dieter Braun

Dazu muss man wissen, dass sich meine Familie seit einiger Zeit, genauer gesagt seit Sommer, noch genauer gesagt: seit der brutale Killer-Specht uns angreift, in zwei Fraktionen geteilt hat. Auf der einen Seite: ich und meine beiden Nerf-erprobten Söhne. Das sind die, wie die andere Seite unterstellt, militanten Kriegstreiber. Während wir finden, dass es sich die andere Seite, Ehefrau und Tochter, ganz schön leicht macht. Weicheier und Pazifisten.

Wir jedenfalls wollen, oder doch zumindest ich will den Specht tot sehen. Und die wedeln mit einem Merkblatt vom Bund Naturschutz herum, Kreisgruppe München, wo es unter der Überschrift "Spechte an Fassaden" heißt: "Das Töten der Spechte ist ausgeschlossen: Spechte sind nach Naturschutzgesetz geschützt. Zudem darf im befriedeten Bereich um Siedlungen nicht gejagt werden." Befriedet? Unpatriotische, heimatlose Buntspechtversteher, ihr!

Ich muss etwas tun. Etwas Nachdrückliches. Etwas, was im Idealfall mit einer Waffe namens Diabolo zu tun hat. Aber die Pazifisten in der Familie werfen sich mir entgegen und skandieren: "Frieden schaffen ohne Waffen!" Auch die Spielzeug-Nerfs stehen auf dem Index. Aus pädagogischen und moralischen Gründen solle ich Abstand nehmen. Selbst die Schleuder wird mir abgenommen. Während der Specht seinen Trommelschnabel behalten darf. Der macht Töne wie ein Maschinengewehr. Waffengleichheit stelle ich mir anders vor.

"Gefiederte Architekturkritik"

Natürlich bin ich nicht untätig seit dem Sommer. Erst war da dieses nette "Tock-tock-tock" zu hören. Dann war auch schon der Specht zu sehen. "Ach", sagte ich, "wie schön, ein Buntspecht. Ja, Kinder, das ist das Tolle daran, wenn man mitten im Grünen wohnt. Da ist man ganz eins mit der Natur."

Eine Woche später lagen die ersten Holzspäne auf der Terrasse. Zwei Wochen später war das erste kleine Loch in der Fassade zu erkennen. Der Blutdruck stieg, die Begeisterung für das Tolle an der Natur sank. Ein Nachbar meinte, der Specht sei eine Art "gefiederte Architekturkritik", wobei man wissen muss, dass unser Haus nicht unumstritten ist in der Nachbarschaft. Aber schließlich schweißt einen der äußere Feind auch zusammen.

Ratschläge gibt es viele, ausprobiert wird noch mehr: Vergrämung mit Ultraschall? Der Specht grämt sich nicht. Girlanden aus CDs oder Alupapier? Der Specht, offenbar ein digitaler Zeitgenosse, ignoriert die CDs. Eine Großvogel-Attrappe im Maßstab 1:1? Hurra. Der Specht bleibt weg - eine Woche lang, dann hat er die Attrappe als Attrappe . . . entlarvt, könnte man sagen, wenn einem als potenzielle Larve nicht so unwohl wäre bei diesem Wort.

Die Polizei arbeitet für den Feind

Als sinnvoll, abseits einer Dauer-Drohne im Luftraum über dem Haus, erweist sich bislang nur: zu Hause bleiben. Beim ersten Tock-tock-tock, das ich jetzt nicht mehr nett, sondern infernalisch finde, stürmt man in den Garten. Dort hüpft man auf und ab und versucht mit ausgebreiteten Armen auszusehen wie ein wehrhafter Mäusebussard. Laut brüllt man: "Hau ab!" - "Diabolo wartet auf dich!" - "Flieg zum Nachbarhaus!"

Spechte sind kluge Tiere, heißt es beim Bund Naturschutz. Daher fliegt unser Specht seine Angriffe nur noch nach vorherigen Aufklärungsrunden. Er weiß mittlerweile, wann unsere Kinder weg sind zum Fußballtraining, zur Klavierstunde und zum Tanzunterricht. Er kennt die Bürozeiten meiner Frau und hat offenbar auch Einblick in die Dienstpläne der SZ. Wenn ich am Sonntag mal im Büro bin, fliegt er einen Extraangriff, weil er weiß, dass der Rest der Familie aus Pazifisten und unbewaffneten Buben besteht.

Im Internet finde ich eine Meldung vom Spätherbst: "Schreckschuss auf Buntspecht löst Polizeifahndung aus." Offenbar hat ein verzweifelter Hausbesitzer in Bremen zur Schreckschusspistole gegriffen. Peng. Die Polizei nahm den Mann fest. Vom Specht hieß es im Polizeibericht: "Der Specht ist nach derzeitigem Ermittlungsstand wohlauf, konnte aber noch nicht zum Tatablauf befragt werden." Selbst die Polizei arbeitet also für den Feind.

Ich oder er.

So wie's aussieht: er.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: