Legida-Protest in Leipzig:Und dann ist Chaos

Demonstration der islamkritischen Bewegung Legida in Leipzig

Teilnehmer der Legida-Demo in Leipzig: Anders als erwartet gehen nur etwa 15 000 Islam-Gegner auf die Straße, am Rande kommt es zu Gewalt.

(Foto: dpa)
  • Bei der Legida-Demonstration in Leipzig kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Rechte Demonstranten greifen Journalisten an.
  • 40 000 Menschen hatte Legida-Organisator Jörg Hoyer angemeldet. 4000 Polizisten riegelten schon am Nachmittag die Innenstadt ab - doch es kommt anders: Legida bringt höchstens 15 000 Anhänger auf die Straße.
  • Ein Großteil der Leipziger Demonstranten sieht nach rechter Szene aus. Der Verschwörungstheoretiker Jürgen Elsässer und der neurechte Verleger Götz Kubitschek treten als Redner auf.

Von Hannah Beitzer, Leipzig

Der Hubschrauber knattert über dem Augustusplatz, der an diesem Abend dunkel bleibt. Die Leipziger Oper hat das Licht ausgeknipst, dafür aber ein Transparent an die Fassade gehängt: "Vielfalt, Toleranz, Offenheit" steht drauf. Es ist eine Botschaft an die, die sich heute hier versammeln: "Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes", kurz Legida. Nachdem der Marsch der Pegida am Montag in Dresden wegen Sicherheitsbedenken abgesagt wurde, wollte sich die Bewegung hier in Leipzig treffen, bereits vergangene Woche waren hier etwa 5000 Islamgegner auf die Straße gegangen.

40 000 Menschen hatte Legida-Organisator Jörg Hoyer angemeldet. 4000 Polizisten riegelten schon am Nachmittag die Innenstadt ab, viele Geschäfte schlossen, es fuhren keine Busse, keine Straßenbahnen vom Hauptbahnhof. Insgesamt 19 Gegenkundgebungen wollen sich gleichzeitig zu Legida in der ganzen Stadt versammeln. Eine Zumutung für Behörden, Leipziger und Polizei, könnte man sagen. Und doch eine, die eigentlich unausweichlich war nach dem umstrittenen Demonstrationsverbot von Dresden. Die Islamkritiker erhofften sich weiter Aufwind. In Leipzig sollte Legida die 25 000 Demonstranten, die zuletzt in Dresden auf die Straße gingen, überbieten.

Doch es kam anders. Erst musste sich nachmittags Pegida-Initiator Lutz Bachmann aus dem Orga-Team zurückziehen, weil rassistische Facebook-Posts von ihm an die Öffentlichkeit gelangt waren. Bachmann wird später in Leipzig mit keinem Wort erwähnt - und das nicht nur, weil die Nachricht von seinem sogenannten "Rücktritt" noch gar nicht alle hier erreicht hat.

Nazi-Vokabular beim Pegida-Ableger

Denn Legida verweigert generell den Schulterschluss mit den Dresdnern. Die hatten die Leipziger am Montag in ihrer ersten offiziellen Pressekonferenz aufgefordert, sich den Forderungen der Pegida anzuschließen und sich vom Positionspapier von Legida-Organisator Jörg Hoyer zu verabschieden. Dort war etwa von einem "Ende des Kriegsschuldkultes" die Rede - Nazi-Vokabular vom feinsten, das die Pegida-Organisatoren in dieser Deutlichkeit meiden wollten. Zumindest in der Öffentlichkeit jenseits von Facebook-Posts. Erst recht, seitdem sie ihren Weg in deutsche Talkshows und Dialogforen suchen.

Rechtspopulist Elsässer tritt auf - und kommt nicht nur gut an

Doch Leipzig macht, was es will. Dort tritt zum Beispiel der rechtspopulistische Publizist Jürgen Elsässer auf, der sich zuletzt im Ukraine-Konflikt als Unterstützter des russischen Präsidenten Wladimir Putin hervorgetan und außerdem die gewalttätigen Hooligan-Ausschreitungen in Köln gelobt hat. An diesem Mittwoch stehen ihm einige Tausend Demonstranten gegenüber. Die Stadt Leipzig geht von maximal 15 000 Legida-Anhängern aus, doch auf dem Augustusplatz wirkt diese Zahl übertrieben.

Legida ist außerdem umringt von 20 000 Gegendemonstranten, die Elsässers Rede mit lautem Pfeifen von der einen und einem Konzert auf der anderen Seite begleiten. Elsässer kritisiert in Leipzig erst einmal das Demo-Verbot von Dresden. Deutsche Politiker hätten sich stattdessen nach den Anschlagsdrohungen auf Pegida-Organisator Bachmann in die erste Reihe der Demo stellen müssen.

"Wie kann es sein, dass jeder Auftritt von Obama perfekt geschützt wird von den Behörden, aber wenn wir demonstrieren, kann das nicht geschützt werden?", ruft er. "Besatzer raus", rufen die Menschen vor ihm. Beliebter aber noch sind die altbekannten Sprechchöre: "Lügenpresse" für die Medien. "Volksverräter", sobald die Rede auf Politiker kommt.

Elsässer kommt nicht vorbehaltlos gut an. "Ich habe früher selbst bei der Antifa mit protestiert", sagt er zum Beispiel. Und: "Mein Herz schlägt immer noch links." Da lacht eine Gruppe sehr kurzhaariger, bulliger Männer mitten in der Demo nur verächtlich, auch wenn Elsässer kurz darauf die Antifa als "rotlackierte Faschisten" bezeichnet. Stimmung kommt erst wieder auf, als er sagt: "Die Politiker, die immer mehr Einwanderer wollen, sollen doch selbst nach Berlin-Neukölln ziehen." Dass Neukölln inzwischen eines der beliebtesten Wohnviertel in Berlin ist - geschenkt.

Elsässer schimpft außerdem auf US-Präsident Barack Obama, der "jeden Tag mit dem Hammer auf muslimische Länder" einschlage, "mit völkerrechtswidrigen Drohnenangriffen" - ein Gedankengang, dem hier nicht alle folgen wollen. Erst recht nicht, als Elsässer dazu aufruft, sich mit den Muslimen zu verbrüdern, die ebenfalls unter Terror litten. Und unter den USA. Sein Ruf "Patrioten aller Länder und Religionen vereinigt euch!" klingt fremd vor den Leipziger Demonstranten, von denen ein großer Teil nach rechter Szene aussieht und Deutschlandflaggen schwenkt.

Die Teilnehmer in Leipzig: Verschwörungstheoretiker, empörte Rentner

Um Islamisierung oder gar den Terror von Paris geht es nur am Rande - auch unter den Teilnehmern. Da steht zum Beispiel ein junger Mann aus Leipzig mit einem riesigen Transparent, das das Ende der Russland-Sanktionen fordert. "Ich bin eigentlich nur wegen dem Elsässer hier", sagt er, "das mit der Islamisierung ist gar nicht das größte Problem, finde ich." Sondern? Die Abhängigkeit von "den Amis". Der junge Mann wünscht sich eine engere Kooperation Deutschlands mit den BRIC-Staaten, allen voran Russland.

Oder Ingeborg, 67 Jahre, und ihr Mann Wolfgang, 66 Jahre. Die beiden Rentner sind gekommen um "einfach mal zu gucken". Und ärgern sich in erster Linie über die Gegendemonstranten, die den Weg zur Legida-Kundgebung blockieren. "Ich habe dieses Land mit aufgebaut", sagt Wolfgang, "und da setzen sich diese jungen Leute hin und nennen mich Nazi." Um welche Themen es ihnen geht? Ingeborg empört zum Beispiel "dass man nicht mehr Negerlein sagen darf oder Zigeunersoße".

Und mit den Ausländern sei das eben auch manchmal schwierig. "Ich hab nichts gegen den Neger, der neben mir wohnt", sagt sie, "solange er sich gut benimmt." Aber neulich hätte sie im Fernsehen einen sagen hören, dass Weihnachten doch aus Rücksicht auf die Ausländer lieber "Lichterfest" heißen sollte. Wer das gesagt hat, auf welchem Sender und wann, daran kann sie sich nicht mehr erinnern. "Da müsste ich meine Schwester fragen, die hat das auch gehört."

Als Legida endlich loszieht, stehen wie schon in der vergangenen Woche an jeder Ecke Gegendemonstranten. Sie pfeifen und rufen, bizarrerweise fallen die Legida-Demonstranten in ihre "Nazis raus"-Rufe ein - und skandieren außerdem "Schließt euch an". "Wir sind das Volk" rufen sie allerdings seltener als noch vor einer Woche. Einige von ihnen biegen gleich zum Hauptbahnhof ab, wo es später zu Zusammenstößen mit Gegendemonstranten kommt. Immer wieder, so berichten es Polizisten, versuchen außerdem linke Gruppen, die Absperrungen zu Legida zu durchbrechen, bereits am Nachmittag hatte es Brandanschläge auf die Zugstrecke aus Dresden gegeben.

Rechte Demonstranten greifen Journalisten an

Während der Legida-Zug in der Mitte immer leiser wird, greifen an seiner Spitze rechte Demonstranten Journalisten an. Mehrere Lokalmedien berichten von Tritten und Schlägen, eine Kamera geht zu Bruch. Die "Lügenpresse"-Rufe, die schon bedrohlich klingen, wenn sie von tausend Kehlen gebrüllt werden, haben hier Folgen. Einer der Legida-Ordner drohte der Leipziger Volkszeitung zufolge einem Fotografen: "Wenn wir hier fertig sind, kriegst du eine aufs Maul!"

Neurechter Verleger Kubitschek schwärmt vom "deutschen Volk"

Zu diesem Zeitpunkt steht Legida schon wieder vor der Oper. Dort spricht der neurechte Verleger Götz Kubitschek. Politiker seien für das Volk da und nicht umgekehrt, findet er. Die schon arg verringerte Menge applaudiert. "Wir haben als Volk das Recht, mit unseren Sorgen und für unser Wohl auf die Straße zu gehen", ruft er.

Überhaupt, das deutsche Volk! "Sein Erfindungsgeist, sein Organisationstalent, sein Fleiß sind sprichwörtlich", sagt Kubitschek. Ja, das gefällt. "Der Kubitschek ist gut", sagt ein junger Mann zum anderen. Als letzter Redner kommt auf der Abschlusskundgebung schließlich Legida-Organisator Jörg Hoyer zu Wort. Er schimpft mit heiserer, lauter Stimme über die Regierung, die "nur redet und nicht handelt", außerdem über die GEZ und fordert ein Ende der Sanktionen gegen Russland - ein bisschen dies, ein bisschen das.

"Herr Jung, bald stehen hier eine Million auf dem Platz!", ruft er an den Leipziger Bürgermeister Burkhard Jung gerichtet, der sich den Gegendemos angeschlossen hat. Die Ereignisse rund um die Legida-Demo - ein Rückzug an der Pegida-Spitze, eine Spaltung, die Gewalt gegen Journalisten, die den betont bürgerlichen Teil der Demonstranten eher abschrecken dürfte -, aber vor allem die augenfällige thematische Ziellosigkeit der Demonstration legen eine andere Prognose nahe. Falls Pegida und seine vielen Ableger je so etwas wie eine Bewegung waren, dann zerfällt sie gerade in ihre Einzelteile. Das mag das Ende von Pegida bedeuten - aber noch lange nicht das Ende der Wut, die dahintersteckt.

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