Griechenland:Neuwahlen? Prost, Mahlzeit!

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Unterstützer der linken Syriza bei der Abschlusskundgebung von Parteichef Alexis Tsipras in Athen.

(Foto: AFP)
  • Am Sonntag wählen die Griechen ein neues Parlament - wieder einmal. Eine junge Griechin berichtet über die Stimmung in ihrem Land und welche Faktoren die Wahl beeinflussen dürften.
  • Momentan sieht es so aus, als würde Syriza die Wahlen gewinnen. Entscheidend für die Griechen ist die Haltung der Partei gegenüber der Europäischen Union.
  • Die Angst vor einem Rauswurf aus der Eurozone treibt die Menschen ebenso um, wie der Wunsch nach Wandel. Es herrscht Konsens, dass sich nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch im Land viel ändern muss.

Von Konstantina Karydi, Athen

Wahlen, wieder einmal. Manche finden schon allein den Begriff zum Lachen und behaupten, Menschen um die 30 hätten schon öfter wählen müssen als unsere Eltern in ihrem ganzen Leben. Doch das ist nicht zum Lachen. Wahlen müssen sehr ernst genommen werden. In Deutschland und insbesondere in der deutschen Boulevard-Presse kursieren viele Vorurteile über Griechen. Eines davon: Griechen leben, um zu essen - und nicht um zu arbeiten. Deshalb: eine Annäherung an die Wahl in drei Gängen.

Autoreninfo

Konstantina Karydi, 31 Jahre alt, forscht zurzeit beim griechischen Think-Tank ELIAMEP, promoviert an der Universität von Athen und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bürgermeisters von Athen.

Vorspeise: Wollten wir die Wahlen überhaupt?

Wir haben ein Bedürfnis nach Stabilität, demgegenüber steht unsere demokratische Rechtsordnung. Das Parlament hat die Aufgabe, einen Präsidenten zu wählen. Gelingt dies nicht, gibt es Neuwahlen. Vor der Schlussabstimmung über die Wahl des Präsidenten im Parlament wurde in den Nachrichten und auf den Straßen nur über eine Frage debattiert: Wollen die Griechen wirklich Neuwahlen? Und wie wird diese Wahl ausgehen? Um den eigentlichen Prozess, die Besetzung des höchsten Staatspostens in unserem politischen System, ging es überhaupt nicht. Es ging nur darum, ob man die Aussicht auf Neuwahlen unterstützt oder nicht. Und die Uhr tickte: Dem einzigen Kandidaten, dem ehemaligen EU-Kommissar Stavros Dimas, gelang es auch in der dritten Runde nicht, die für seine Wahl notwendige Stimmenmehrheit zu erzielen.

Hauptspeise: Im Vorfeld der Wahl

Wen soll man wählen und warum? Momentan gehen alle davon aus, dass die linke Partei Syriza die Wahlen gewinnen wird. Angela Merkels Regierung hat offenbar mit Vertretern von Syriza geheime Gespräche geführt, was offiziell nicht bestätigt wurde. Wahlentscheidend werden nicht die politischen Positionen der konkurrierenden Parteien sein (viel Glück bei der Internet-Recherche nach diesen Positionen), sondern was man allgemein von Syriza, ihrer möglichen Rolle als Regierungspartei und ihren EU-Positionen hält.

So ist beispielsweise nicht klar, ob die Wähler wirklich daran glauben, dass Syriza einzelne Wahlversprechen einlöst. Wird etwa der Mindestlohn wieder auf das Vor-Krisen-Niveau angehoben (751 Euro pro Monat verglichen mit 511 Euro vor Steuern)? Die Summe zu niedrig; niemand kann von 511 Euro leben. Die Wähler aller Parteien stimmen in diesem Punkt überein. Doch diese Frage spielt keine Rolle.

Die Einstellung zur EU beschäftigt die Menschen. Syriza behauptet, dass alle Griechen ein Anrecht auf einen angemessenen Lebensstandard hätten und daher mit der Europäischen Union eine andere Lösung verhandelt werden könne.

Das ist doch interessant, oder? Wir stehen vor einer nationalen Wahl und die Wähler treibt nur um, wie sich die Parteien gegenüber der EU positionieren. Auch die europäische Öffentlichkeit ist über den Ausgang der Wahl in Griechenland besorgt. Vielleicht ist die europäische Integration schon viel weiter vorangeschritten als wir denken?

Nachspeise: Der Tag danach.

Dieser Teil ist am spannendsten. Keiner weiß, wie die Wahl ausgehen wird. Doch die meisten Bürger werden von den gleichen entscheidenden, aber oft widersprüchlichen Argumenten bei der Abgabe ihrer Stimme beeinflusst. Einige Beispiele:

  • Die Angst vor einem Austritt Griechenlands aus dem Euro (Grexit), den niemand möchte. Einige befürchten, dass wir gezwungen werden, den Euro aufzugeben, was schwere Konsequenzen nach sich zöge. Die konservative Partei Nea Dimokratia (ND) von Premier Antonis Samaras bedient in einem Wahlwerbespot genau diese Ängste. Damit beeinflusst sie Wähler; selbst solche, die der Ansicht sind, dass wir auf dem eingeschlagenen Weg nicht weitergehen können. Auf der anderen Seite gibt es viele Wähler, die sich davon nicht beirren lassen. Sie sind der Meinung, dass eine andere, stärker sozial orientierte Politik ausgehandelt werden kann und muss - selbst wenn sie dafür einen Währungswechsel riskieren.
  • Der Wunsch nach Lebensqualität. Jedem ist klar, dass die Menschen in Griechenland schweren Belastungen ausgesetzt sind und dass vor allem die Generation der unter 40-Jährigen ihrer Wahlmöglichkeiten, ihrer Träume und ihres Innovationspotentials beraubt wurde. Der Drang nach Verbesserung hat deshalb höchste Priorität. Doch selbst wenn wir uns in schweren Zeiten befinden, könnte ein möglicher Wandel ein Rückschritt sein.
  • Unser Verhältnis zur EU. Um diesen Aspekt geht es bei der Wahl. Und dies ist wohl der "Demokratiefaktor", der in den Überlegungen eine Rolle spielt. Während allgemein anerkannt ist, dass die Lage im Land so nicht bleiben kann, wird die Herangehensweise der EU zugleich akzeptiert und missachtet. Akzeptanz bedeutet, dass die beiden konkurrierenden Parteien beide die Ansicht vertreten, dass wir in die EU gehören und dass das Problem auf EU-Ebene gelöst werden kann. Die Frage ist, ob die Bedingungen geändert werden können (die gegenwärtig von Deutschland diktiert werden, wie die meisten glauben). Wird es Griechenland gelingen, einen Richtungswechsel sowohl im eigenen Land als auch in der EU zu bewirken?
  • Der "interne Wandel". Es herrscht Konsens darüber, dass sich im Land viel ändern muss, nicht nur im privaten und öffentlichen Sektor, sondern auch im politischen Bereich. Die Menschen fühlen sich von den Parteien nicht angemessen vertreten und die Unterscheidung in "rechts, mitte und links" ist für viele überholt. Daraus folgt jedoch nicht der Aufruf zur Entpolitisierung, sondern vielmehr zu einer Neudefinition. So sind die Griechen der Auffassung, dass die Unterscheidung in "Progressive" versus "Traditionalisten" viel treffender ist. Ironischerweise steht dem die Dreiprozenthürde in unserem Wahlsystem entgegen. Gäbe es diese nicht, würden viele Menschen für kleinere Parteien stimmen.

Was wird bei der Wahl nun den Ausschlag geben? Die individuelle Wahrnehmung hinsichtlich der Frage des Wandels. Die Griechen sind Unionsbürger. Genau wie die Deutschen, die die griechische Kultur häufig aus dem Restaurant in der Nachbarschaft kennen. Doch viele meiner Mitbürger könnten sich dort kein Drei-Gänge-Menü leisten. Selbst in schicken Vororten von Athen sind sie auf Suppenküchen und Lebensmittelspenden angewiesen. Auch das wird wahlentscheidend sein. Denn ebenso wie alle anderen Bürger dieser Union wollen die Griechen nur eines: menschenwürdige Lebensbedingungen.

Und vor diesem Hintergrund werden sie am Sonntag ihre Stimme abgeben.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung.

Übersetzung: Dr. Dorothea Jestädt

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