NSU-Prozess:Der Offizier und die Bombe

"Allah möge niemanden so ein Bild sehen lassen": Beim NSU-Prozess sagt ein türkischer Offizier aus, der einen Sprengstoffanschlag in Köln knapp überlebt hat. Dass es ihn viel schlimmer hätte treffen können, zeigen Sprengversuche mit einer Bombe.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Der Offizier schlägt die Hacken zusammen. Er deutet eine Verbeugung an. Erst dann setzt er sich. Vor dem Richter im NSU-Prozess steht Talat T., 67, ein Herr in Anzug mit Ordensanstecker am Revers. "Was machen Sie beruflich", fragt Richter Manfred Götzl. "Ich bin Offizier im Ruhestand", antwortet der Zeuge. Und er fängt - wieder mit einer leichten Verbeugung - sofort an, zu schwärmen. Er sei Sohn eines Richters und "mein Vater hat die Deutschen verherrlicht." Er liebe Deutschland auch, obwohl er in London studiert habe. In Deutschland aber wäre er fast Opfer eines rassistischen Anschlags geworden. Begangen durch die Mitglieder des rechtsradikalen NSU.

Der Offizier kam als Tourist nach Deutschland, als Ruheständler ist er viel auf Reisen, meist mit seinem Bruder, der in Berlin lebt. Hamburg hatten sie sich angesehen, Düsseldorf, dann Köln, wegen des Doms.

Der Anwalt von Beate Zschäpe unterbricht, ihm ist der alte Herr zu umständlich. Anwalt Wolfgang Heer: "Herr Vorsitzender, Sie haben das Beweisthema benannt." Soll heißen, der Zeuge holt zu weit aus.

Richter Manfred Götzl: "Wir lassen ihn jetzt fortfahren, er muss sich erst einfinden."

Heer: "Ich beantrage, dass Sie den Zeugen anhalten...."

Götzl: "Das habe ich bereits getan. Das bemisst sich nicht an der Anzahl der Sätze, die ein Zeuge spricht."

"Allah möge niemanden so ein Bild sehen lassen"

Der alte Herr kommt sehr schnell auf den Punkt. Nach der Besichtigung des Doms hatten er und sein Bruder Hunger. Und gingen in die Keupstraße in Köln, in eine Teestube. Als sie herauskamen, hatte der Bruder einen Strafzettel am Auto und ärgerte sich. Dann machte er den Kofferraumdeckel auf. In dem Moment explodierte die Nagelbombe.

Der Offizier strafft sich. "Aufgrund meiner Ausbildung habe ich meinem Bruder den Befehl erteilt: Wirf dich hin! Ich habe mich auch hingeworfen. Die Gegenstände fliegen über uns herum, auch in den Kofferraum. Ich habe später erfahren, dass es sich um Nägel handelte. Allah möge niemanden so ein Bild sehen lassen."

Später hat ihm die Polizei Fragen gestellt. "Es waren Fragen, die darauf hindeuteten, dass das von Türken gemacht wurde. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich mit so einer Frage konfrontiert werde", sagt der alte Herr ein wenig indigniert. "Ich komme aus der Türkei, wo der Terrorismus am meisten herrscht. Das ist ein Schicksal, deswegen bin ich nicht verärgert über den deutschen Staat." Sein Bruder wurde schwer am Arm verletzt, er selber trug nichts davon. Und er versprach der Polizei "bei der Ehre eines Soldaten", dass er zur Gerichtsverhandlung aus der Türkei kommen werde.

Die Splitter entwickelten eine Geschwindigkeit von bis zu 770 Kilometer die Stunde

Nun ist er da und erfährt, dass es ihn viel schlimmer hätte treffen können. Am Nachmittag tritt ein Sachverständiger des Bundeskriminalamtes auf. Und zeigt seine Sprengversuche mit einer Bombe, die er nach dem Muster der Nagelbombe von Köln gebaut hat: Ein Campinggasbehälter, 800 Nägel, 4,5 bis 5,5 Kilogramm Schwarzpulver. Sein Ergebnis: In einem Umkreis von knapp drei Metern hätte allein die Druckwelle tödliche Verletzungen herbeigeführt. In einem Umkreis von fünf Metern waren die Splitter tödlich. In bis zu acht Metern Entfernung waren noch schwere Trommelfellverletzungen möglich. Alles berechnet auf einen erwachsenen Mann. Sechs Versuche haben die Experten gemacht. Dafür haben sie Metallplatten rund um die Bombe aufgestellt. Wenn die durchschlagen wurden, galten die Splitter als tödlich. Im ersten Versuch schlugen 119 Splitter durch, im zweiten Versuch 123, beim dritten Versuch noch 47. Die Splitter entwickelten eine Geschwindigkeit von bis zu 770 Kilometer die Stunde.

Der Offizier hatte Glück, er war gut zehn Meter von der Explosion entfernt. 20 andere Menschen standen näher. Sie wurden zum Teil schwer verletzt und leiden bis heute unter ihren Verletzungen.

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