Deutschland bei Handball-WM:Riesig in den kritischen Phasen

Lesezeit: 3 min

Patrick Groetzki wird "Man of the Match", Carsten Lichtlein im Tor immer größer: Die deutschen Handballer zeigen gegen Argentinien ihre Lust aufs Kämpfen - ein wichtiges Zeichen fürs Achtelfinale.

Von Joachim Mölter, Doha

Am Ende versuchten es die argentinischen Handballer noch mit einer offenen Manndeckung, das sah lustig aus, wie sie ihren deutschen Gegenspielern da über das Spielfeld hinterherhetzten, half aber auch nicht mehr: Die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) war schon zu weit enteilt. Sie gewann mit 28:23 (13:14) nicht nur das Spiel, sondern sicherte sich mit dem Erfolg und nun 7:1 Punkten auch den Achtelfinal-Einzug bei der WM in Katars Hauptstadt Doha.

Sie hat außerdem beste Chancen darauf, die K.o.-Runde als Tabellenerster zu erreichen. Die deutschen Spieler wussten genau, bei wem sie sich dafür zu bedanken hatten: Nach der Schlusssirene fiel einer nach dem anderen ihrem Torwart Carsten Lichtlein um den Hals und herzte ihn innig.

Immer wieder hatte der Schlussmann des VfL Gummersbach in kritischen Phasen dieses Vorrundenspiels den Ball abgewehrt, zweimal bei Siebenmetern, dreimal aus sogar noch kürzerer Distanz gegen frei auf ihn zufliegende Angreifer. "Die Paraden von Carsten waren ausschlaggebend", lobte selbst Rechtsaußen Patrick Groetzki, der für seine sieben Tore als bester Spieler der Partie ausgezeichnet wurde. Groetzki profitierte oft von Lichtleins Paraden, weil daraus Gegenstöße entstanden, die er verwandelte.

Vor der Pause taten sich die Deutschen schwer mit der argentinischen Positionsabwehr

Einmal warf Lichtlein den Ball sogar fast übers ganze Spielfeld, von Kreis zu Kreis, haargenau in den Lauf des Angreifers, Millimeter hinter die ausgestreckten Arme eines argentinischen Verteidigers. "Das sieht man sonst nur im Football", staunte Spielmacher Michael Kraus, "das war schon Peyton-Manning-artig." Peyton Manning ist der Quarterback, der mit seinen Pässen in der Geschichte der amerikanischen Profiliga NFL den größten Raumgewinn erzielt hat.

Lichtlein und Groetzki waren es jedenfalls, die im Zusammenspiel Mitte der zweiten Halbzeit die Partie zugunsten des DHB-Teams zum Kippen brachten. Nach einem Ein-Tore-Rückstand sorgten sie innerhalb von fünf Minuten für einen Drei-Tore-Vorsprung (22:19/46.). Danach mussten die deutschen Handballer zwar noch zwei aufeinander folgende Zeitstrafen überstehen, aber nachdem sie das geschafft hatten, stand dem am Ende deutlichen Erfolg nichts mehr im Weg. "In der zweiten Halbzeit haben wir ganz clevere Lösungen gefunden", sagte Steffen Weinhold, dem diesmal nur drei Tore gelangen - freilich in Momenten, in denen das Pendel zugunsten der Argentinier auszuschlagen drohte.

"Wir hatten einen Sieg erwartet", sagte Argentiniens Torhüter Matias Schulz, "deswegen sind wir natürlich enttäuscht." Die Zeiten, in denen Deutschland im Handball gegen Argentinien mit zehn, fünfzehn Toren Unterschied gewinnt, seien vorbei, sagte der Schlussmann selbstbewusst. Diejenigen, die die jüngste Entwicklung des Südamerika-Meisters verschlafen haben, hatte Bundestrainer Dagur Sigurdsson vor der Partie darauf aufmerksam gemacht. Er sprach von einer "gefährlichen Mannschaft, die Ergebnisse sprechen für sich".

Die Argentinier hatten dem WM-Zweiten Dänemark einen Punkt abgetrotzt (24:24) und gegen Polen nur knapp verloren (23:24). Sigurdsson lobte ihre "offensive Abwehr, die sehr unangenehm ist. Die muss man erst mal knacken".

Die deutschen Angreifer taten sich tatsächlich schwer mit den immer wieder nach vorn stechenden Verteidigern, die etliche Ballverluste verursachten. "Wenn man vorne den Ball wegwirft, kommen sie einem mit 180 km/h entgegen", sagte Michael Kraus, "dann sind sie schwer zu stoppen." Doch auch in der Positionsabwehr hatte die DHB-Auswahl zunächst Probleme: "In der ersten Halbzeit standen wir ein bisschen zu weit voneinander weg", sagte Weinhold. Das nutzten die Südamerikaner, um einen 8:10-Rückstand in ein 14:12 zu verwandeln. Im Spiel Eins-gegen-Eins kamen die Argentinier dann oft zum Wurf - oder holten zumindest Fouls heraus. Weinhold war einer der Leidtragenden. Er hatte bereits nach einer Viertelstunde zwei Zeitstrafen gesammelt und musste fortan zurückhaltender ans Werk gehen, um eine weitere zu vermeiden; die hätte eine rote Karte nach sich gezogen.

"In der ersten Halbzeit war ziemlich viel Hektik im Spiel", fand Groetzki. Von der Härte der Argentinier und den Entscheidungen der litauischen Schiedsrichter ließen sich die deutschen Spieler phasenweise aus der Ruhe bringen. Trainer Sigurdsson ermahnte sie deshalb in der Pause, "nicht den Kopf zu verlieren in einem Kleinkrieg mit ihren Gegenspielern". Ach ja, und "einige taktische Dinge" habe man auch besprochen, gab der Isländer zu. "In der zweiten Halbzeit", fand Steffen Weinhold, "haben wir eine ganz gute Abwehr hingestellt." Und hinter der stand dann immer noch Carsten Lichtlein als größter Rückhalt seiner Mannschaft, der immer größer und größer zu werden schien.

Die deutsche Auswahl hat nun sogar die Chance, als Gruppensieger in die K.o.-Runde zu gehen, "damit hat vorher keiner gerechnet", erinnerte Kreisläufer Patrik Wiencek, der mehrmals herrlich freigespielt wurde und fünfmal erfolgreich war. Voraussetzung ist allerdings ein Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien am Samstag (17 Uhr/Sky). "Das ist der vermeintlich schwächste Gegner in unserer Gruppe", sagte Michael Kraus, "aber wir werden uns auch darauf gut vorbereiten."

© SZ vom 23.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: