Umgangsformen:Du oder Sie?

Du oder Sie?

... dass das "Du" angemessen ist? Ein Demonstrant mit Plakat, eingerahmt von Polizisten (Archivbild aus Freiburg).

(Foto: dpa)
  • Die Polizei Nordrhein-Westfalen soll die Besucher ihrer Facebook-Seiten nicht mehr duzen. Die Nachricht löst eine Debatte aus.
  • Du oder Sie - eine alte Frage, in der sich sämtliche Unsicherheiten bündeln. Trotzdem hat sich besonders in Netzwerken das Du durchgesetzt.
  • Der große Knigge-Chefredakteurin Agnes Anna Jarosch antwortet auf ein paar Grundfragen. Das Du wieder zu entziehen, wie die Polizei, gilt laut ihr jedenfalls als stillos.

Von Martin Wittmann

Die Essener und Mülheimer Polizei hatte Mitte dieser Woche Folgendes mitzuteilen: "Liebe Facebook Fans der Polizei Essen Mülheim durch einen landesweiten Erlass sind wir dazu angehalten ab sofort das ,Duzen' hier auf Facebook einzustellen. Wundert euch also nicht über die sich jetzt ändernden Postings und Kommentare. Wir werden weiterhin versuchen, so authentisch wie möglich zu bleiben und hoffen, dass euch die Umstellung nicht stört."

Und ob sie gestört hat. Wollte die Polizei mit dem Beitrag Aufmerksamkeit schaffen, so hat sie ihr Ziel - trotz etlicher Verstöße gegen die Kommaregeln und einer sympathischen Widersprüchlichkeit ("Ab sofort duzen wir euch hier nicht mehr") - übererfüllt.

Dutzende User, die vor der Verkündung dieses innenministerialen Beschlusses wahrscheinlich und zu Recht gar nichts ahnten von der Polizei-Seite, begehren nun auf ob des neuen Tonfalls. Und die Polizei erlebt das seltene Gefühl, dafür gescholten zu werden, dem Volk nicht zu sehr auf die Pelle zu rücken.

"Wer auch immer das entschieden hat, die Person ist wohl gegen die Schleuse geschwommen. In der multimedialen Welt duzt man nunmal" schreibt ein User, "Jetzt peitscht ihr die Bürger durch das ,Sie' auf total unnötigen Abstand" ein anderer. Außerdem in der Kommentarspalte: "*kaputtlach* Das ist so deutsch". Auch zu lesen ist indes: ",Sie' fördert eindeutig einen respektvolleren Umgang!"

In dieser Entscheidung bündeln sich sämtliche menschliche Unsicherheiten

Die Angelegenheit, so putzig und possig sie auch sein mag, ist durchaus erhellend. Nicht, weil sie viel über dieses spezielle Facebook-Verhältnis der Exekutiven zu den Plakativen sagt. Sondern weil sie an das unaufhörliche kommunikative Chaos im ansonsten ziemlich intakten Gesellschaftsalltag erinnert:

In der oft genug spontanen Entscheidung für das "Sie" oder das "Du" bündeln sich sämtliche Unsicherheiten, die das Zwischenmenschliche zu jenem Minenfeld machen, das sich unter der friedlichen Wiese des vermeintlich gleichberechtigten Miteinanders verbirgt.

Die Folgen einer einzigen falschen Entscheidung können verheerend sein, nicht zuletzt für die Karriere. So versucht man ständig, das Problem zu umgehen, auf immerzu verschlungenen, umständlichen und allzu offensichtlichen Wegen.

Man kennt das ja. Du/Sie kennst/kennen das ja. Es wird ja gekannt? Jedenfalls ist es bekannt. Und berüchtigt.

Zu den Konflikten, die in den Kommentaren angedeutet werden - der digital befeuerte Generationenkonflikt; der Respekt von und für Autoritäten; die Pflege und die Verweigerung deutscher Tradition -, gesellt sich noch die Hierarchie- und die Gender-Debatte. Und dann gibt es ja noch die Extrawürste im Norden ("Wie geht es Ihnen, Klaus?") und im Süden ("Wie geht es dir, Herr Müller?").

Wie also umgehen mit dem richtigen Umgang in unserer unsicheren Zeit?

Eine Erklärung

Versuch einer Aufklärung, gelesen in einem Stil-Ratgeber von Agnes Anna Jarosch, Chefredakteurin von Der große Knigge. Sie schreibt sinngemäß: Schickt es sich eher, dass die Frau dem Mann das Du anbietet, oder andersherum? Kein Unterschied. Darf man das Du erbitten? Auf keinen Fall. Bietet der Ältere dem Jüngeren das Du an, obwohl dieser sein Chef ist? Alter ist generell ein wichtiger Faktor, aber Hierarchie ist noch wichtiger.

Kann man das Du ablehnen? Ja, und zwar höflich und ohne Zwang zur Rechtfertigung. Gilt das Du-Angebot des Chefs, wenn es bei der Weihnachtsfeier ausgesprochen wurde? Hier sollte am nächsten Tag abgewartet werden, wie der Boss die Sache angeht; es gibt aber durchaus auch ein temporäres Duzen, etwa beim Sport oder auf dem Berg. Gibt es auch ein einseitiges Duzen? Nein.

So duzte die Essener Polizei ihre Leser, und die duzten zurück. "Hoffe ihr habt ein paar Manager festgenommen" schreibt einer Mitte Januar unter den Bericht über einen SEK-Einsatz in einer Bank. Die entscheidende Frage in dieser Causa aber ist vielmehr: Stellt das offizielle Du-Angebot ein verbindliches dar? Ja, schreibt Agnes Anna Jarosch. Das Du zu entziehen gilt als "stillos".

Die Polizei hätte sich also frühzeitig überlegen sollen, ob sie den Bürgern das Du überhaupt anbietet - spätestens 1926, als der preußische Innenminister Albert Grzensinski den Slogan "Die Polizei - Dein Freund und Helfer" etablierte.

Duzen und Siezen im Internet

Bleibt die zeitgemäßere Frage, wie die wachsende Kommunikation im Internet die traditionellen Regeln durchschüttelt. Eine feste Regel, wie sie ja einer der zitierten User forsch aufstellt ("In der multimedialen Welt duzt man"), ist im Internet-Knigge, der Netiquette, nicht zu finden. In Netzwerken hat sich jedoch das Du durchgesetzt.

Das klingt schön kumpelig nach Augenhöhe und Nähe - kann aber gewaltig nerven, wenn die User sich beleidigen und in Großbuchstaben anschreien. Weil die Hemmschwelle unter Duzern niedriger ist als bei Siezern, ist der Sound in Teilen des Internets so roh.

Aber nicht nur die gegenwärtige Verrohtheit spräche für ein Siezen im Netz. Auch lesen sich die Beschimpfungen viel unterhaltsamer, wenn man erst mal all die Dus durch Sies ersetzt hat. Nach dem Vorbild Joschka Fischers: Sein Satz "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch" ist ja nicht wegen seiner Deftigkeit, sondern wegen deren Kostümierung in höfliche Worte so amüsant.

Selbst wenn das Netz durch ein Sie-Gebot nicht manierlicher würde - es würde manierlicher aussehen. So betrachtet wird eine siezende Polizei der Aufgabe als Ordnungshüter zumindest ästhetisch gerecht.

Übrigens schreiben einige Facebook-Kommentatoren im vorliegenden Fall einfach auf Englisch weiter, mit dem Verweis auf das universelle, lockere "You". Dabei ist dieses "You" etymologisch gar kein Du, sondern ein "Sie" (Helmut Kohl soll sich anderen Staatsmännern trotzdem vorgestellt haben mit: "You can say you to me").

Aber egal, wie die Sache in Essen und in Mühlheim, in den Büros oder im Netz nun ausgeht, es zählt am Ende doch nur eines: Du bist Deutschland.

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