Steinmeier im Maghreb:Plädoyer gegen die Ängste

Steinmeier in Tunesien

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede an der El-Manar-Universität in Tunis.

(Foto: dpa)

Der Terror, die Kriege in Nahost, die deutsche Islam-Debatte - all dies begleitet den Außenminister auf seiner Nordafrika-Reise. An einer tunesischen Universität warnt er vor "falschen Lockrufen".

Von Stefan Braun, Tunis

Die Morde von Paris, die Gefahr durch Dschihadisten, die anti-islamischen Demonstrationen in Deutschland - auf seiner Reise durch die drei Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien erlebt Frank-Walter Steinmeier, wie sehr die Muslime Nordafrikas nach den Attentaten in Frankreich eine Stigmatisierung des Islam fürchten. Und er lernt, wie sensibel sie alle Debatten in Europa verfolgen.

Vor Studenten in Tunis warnt der deutsche Außenminister deshalb vor Feindbildern und falschen Vereinfachungen. Die Studenten verteidigen ihre Religion und demonstrieren dem Gast, wie sie in der jungen Demokratie Tunesiens um ihre Rechte kämpfen.

Steinmeier ist mit einem einzigen großen Ziel an die El-Manar-Universität gekommen. Er will den Auftritt vor hunderten Studenten nutzen, um auf die Wunden und Debatten der letzten Wochen zu reagieren. Der Terror, die Kriege in der Region, die deutsche Islam-Debatte bereiten ihm Sorgen. Der Angst und dem Misstrauen, die all das ausgelöst haben, will er etwas entgegensetzen.

Also lobt er zunächst den Mut der Tunesier auf dem Weg zur Demokratie und mahnt die Studenten anschließend sehr eindringlich, sie sollten in diesen krisenhaften Zeiten nicht falschen Lockrufen folgen. Überall gebe es Leute, die mit vermeintlich leichten Antworten auf alle Probleme die Herzen der Menschen erobern wollten. Manche würden den Politikern alle Schuld geben, andere die Medien als Lügner beschimpfen. Wieder andere würden die Muslime für alles verantwortlich machen.

Steinmeiers Plädoyer gegen die Angst

Und islamistische Demagogen erklärten, tatsächlich seien es die Ungläubigen, die für alles Übel die Schuld trügen. Alle Vorwürfe aber, so der deutsche Außenminister, hätten eines gemeinsam: den "Lockruf der Feindbilder''. Diese seien "so falsch wie gefährlich'' und passten "nicht in diese Welt, in der fast alles zusammenhängt und nur wenig schwarz oder weiß ist''.

Steinmeier hat ein Plädoyer gegen Ängste mitgebracht, die auch ihn umtreiben. Er will für ein Miteinander der Religionen werben und so auch seine eigene Angst vor einem Kampf der Kulturen bekämpfen. "Wer mit Religion aufhetzt, tut genau so übel wie der, der gegen Religion aufhetzt.'' Mit anderen Worten: Lasst all das bitte bleiben.

Um das Gemeinsame zu betonen, verweist Steinmeier dann auf die Tatsache, dass sich der islamistische Terror gegen alle Menschen richte. Studien würden belegen, dass mehr als 80 Prozent der Terror-Opfer muslimische Opfer gewesen seien. "Der islamistische Terror ist unser gemeinsamer Feind", erklärt der Minister. Deshalb müsse man dringend und bei jeder Begegnung vor allem darüber sprechen, "wie wir gemeinsam gegen diesen Feind vorgehen".

Kooperation bei der Sicherheit, besserer Austausch von Informationen, Unterstützung bei der Sicherung der Grenzen - all das sei wichtig. Entscheidend für ein Erfolg sei aber etwas anderes. Entscheidend sei, ob man auch das "Herz der Gesellschaft", also Demokratie und Zivilgesellschaft erreiche.

Alle fürchten die Stigmatisierung des Islam

"Wirklich lebendig ist eine Demokratie erst, wenn jeder einzelne das Gefühl hat, dazuzugehören, gehört zu werden, mitmachen zu können." Erst wenn sich junge Menschen in der Mitte der Demokratie aufgehoben fühlten, würden sie "immun gegen die Lockrufe der Radikalen". Das ist sein Wunsch, das würde er gerne erreichen: "Wir brauchen mehr Sprachkenntnisse, mehr Wissen von einander, mehr Dialog miteinander." Auch dafür wolle er hier und heute werben, um mangelnde Kenntnisse und mangelndes Verständnis endlich abzubauen.

Steinmeier ist am Tag zuvor noch in Marokko gewesen und wird nach Tunesien auch Algerien noch besuchen. Aber egal, wo er hinkommt, die Botschaften und Sorgen, die ihm begegnen, sind die selben. Minister, Parlamentarier, Künstler oder Blogger - sie alle fürchten, dass der Terror der radikalen Islamisten zu einer Stigmatisierung des Islam führt. Es überrascht deshalb nicht, dass mehrere Studenten auf seine Rede mit einer Distanzierung vom Terror und einem klaren Bekenntnis zum Islam reagieren.

"Wir haben Angst, dass der Terrorismus wieder als Argument diktatorischer Regime genutzt wird", sorgt sich der eine. "Terrorismus gehört nicht zu unserem Islam", betonte die nächste. Und der Dritte? Er will erklären, warum er und viele andere an der Uni aktuell streiken würden. Das ist nicht die Debatte, die Steinmeier derzeit am meisten kümmert. Aber plötzlich zeigt da einer genau das, was Steinmeier zuvor als wichtige Voraussetzung und "Herz der Gesellschaft" geadelt hat. Da steht einer auf, wehrt sich gegen miserable Zustände, nutzt seine demokratischen Rechte. Nicht die schlechteste Antwort auf die Sorgen aus Deutschland.

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