Industriekonzern:Gesundheitscheck für Siemens

Siemens MRI Factory

Bau eines Scanners für die Magnetresonanztomographie bei Siemens in Erlangen.

(Foto: Thomas Langer/Bloomberg)
  • Auf der Hauptversammlung von Siemens am Dienstag werden der taumelnde Ölpreis und seine Konsequenzen für den Konzern das Hauptthema sein. Doch auch die Medizintechnik-Sparte steht vor einer ungewissen Zukunft.
  • Noch ist die Sparte höchst profitabel und die Auftragsbücher sind voll. Doch die Zukunft des gesamten Geschäfts scheint ungewiss.
  • Einerseits könnte Medizintechnik bald zum Lifestyle-Produkt werden, wenn Spieler wie Samsung einsteigen. Andererseits geht der Trend weg von der Diagnose per Bildgebung und hin zur Vorhersage per DNS-Analyse.

Analyse von Christoph Giesen, Forchheim

Großbaustelle Medizintechnik

Worum es an diesem Dienstag in der Münchner Olympiahalle gehen wird, ist klar: Die zweite Hauptversammlung für Joe Kaeser als Siemens-Chef wird eine Fragestunde zum Thema Öl. Etliche Aktionärsvertreter haben sich in den vergangenen Tagen zu Wort gemeldet, und sie alle eint: Der geplante Kauf des US-Kompressorherstellers Dresser-Rand wird für Diskussionen sorgen. Dresser-Rand beliefert vor allem die Öl- und Gasindustrie. Als Siemens im Herbst ein Angebot in Höhe von 7,6 Milliarden Dollar abgab, kostete ein Fass Öl noch deutlich über 90 Dollar, heute liegt der Preis bei nicht einmal 50 Dollar. Wie Siemens Dresser-Rand integriert und wie sich in den kommenden Jahren der Ölpreis entwickelt, das wird die Amtszeit des Joe Kaeser begleiten.

Es gibt aber noch eine zweite Baustelle im Konzern. Auf der diesjährigen Hauptversammlung wird sie wohl nur am Rande zum Thema werden - der Ölpreis ist derzeit einfach zu wichtig. Und doch könnte der Umbau der Medizintechnik das prägende Thema der kommenden Jahre werden.

Volle Auftragsbücher in Forchheim

Im Siemens-Werk in Forchheim sieht es ein wenig so aus, als hätte die Geschäftsführung die Halle an eine Truppe von Motorradschraubern untervermietet: Überall kleine Garagen, in denen Geräte lagern. Von "Kojen" sprechen die Ingenieure, in den meisten dieser Verschläge stehen die neuesten Computertomografen. In wenigen Sekunden können sie den Körper durchleuchten, sie kosten mehrere Millionen Euro pro Stück. Noch sind diese Scanner die margenträchtigsten Geräte, die Siemens verkauft.

In den Kojen simulieren Techniker den Krankenhausalltag. Damit niemand verstrahlt wird, sind die Anlagen geschützt in den Verschlägen. Auf Bildschirmen stehen die künftigen Einsatzorte der Scanner. Einer wird bald in den Niederlanden sein, ein anderer in Japan, ein dritter in einem Krankenhaus in Dubai. Die Auftragsbücher der Medizintechniker, sie sind voll.

Dennoch steht die Branche vor massiven Veränderungen. Und das wissen sie auch bei Siemens.

Was machen die Koreaner? Und was ist mit der DNA?

Die Frage, die alle im Markt umtreibt: Wo geht die Reise hin? Respekt haben sie, egal ob in Deutschland, in den Niederlanden oder den USA, vor Samsung. Bisher sind die Südkoreaner noch kein ernst zu nehmender Wettbewerber. Doch in wenigen Jahren könnte das womöglich anders aussehen. Bereits heute verfügt ein Samsung-Tablet über die notwendige Rechenleistung, um zu einem einfachen Ultraschallgerät umgebaut zu werden: Einfach eine Sonde anstöpseln und eine App herunterladen. Jeder kann sich dann vor dem Einschlafen die Niere sonografieren oder den ungeborenen Nachwuchs im Mutterleib betrachten. Der Rest ist Marketing: Medizintechnik wird dann zu einem Lifestyle-Produkt erklärt. Für etablierte Hersteller, die alle aus der Industrie kommen, wäre das eine große Herausforderung.

Industriekonzern: undefined

Fast noch schwieriger ist es derzeit abzuschätzen, welche Rolle künftig DNA-Analysen spielen werden. "Bislang machen wir einen Großteil unseres Geschäfts mit bildgebender Technik wie Computertomografen und MRT-Scannern", sagt der Siemens-Chef. "Ein Trend in der Gesundheitstechnik ist die sogenannte prädiktive Diagnostik, bei der der Arzt Risikoprofile bei Patienten identifiziert und gegebenenfalls sogar therapiert, bevor ein Patient die Symptome der Krankheit überhaupt zeigt." Die teueren Scanner kämen dann nur noch zur Überprüfung zum Einsatz. Womöglich gar als geleaste Maschinen - so margenträchtig wie ein Bürokopierer.

Keine Kraft für große Akquisen

Firmen, die schon heute DNA-Analyse betreiben, gibt es einige. Die meisten sitzen in den USA, dort sind die Datenschutzbestimmungen laxer und ethische Hürden niedriger. Bisher machen diese Firmen noch Umsätze im Millionenbereich. Die Marktführer liegen bei ein, zwei Milliarden Dollar. Doch wer sich eine solche Firma einverleiben möchte, zahlt ein Vielfaches. 15, 20, 30 Milliarden Dollar - das sind die Preise, die aufgerufen werden. Es ist eine Wette auf die Zukunft, wie bei Facebook oder Whatsapp. Siemens hat zwar einiges an Barreserven, aber eine DNA-Firma zu kaufen, dafür reicht es nicht.

Im Mai 2014 kündigte Kaeser daher an, die Gesundheitstechnik künftig als ein eigenständiges Unternehmen zu führen. Er will vorbereitet sein, die Sparte notfalls an die Börse bringen. In Verhandlungen mit der IG Metall und dem Betriebsrat hat Kaeser zugestimmt, dass Siemens für den Fall der Fälle die Mehrheit an einem Medizintechnik-Unternehmen behalten wird. "Wir wollen sichergehen, dass uns bei der Gesundheitstechnik nicht etwas Ähnliches passiert, wie seinerzeit beim Telekommunikationsgeschäft. Dort hat Siemens zu spät auf einen Paradigmenwechsel in der Branche reagiert." Kaeser hatte das seinerzeit aus nächster Nähe erlebt: Er war einige Jahre Finanzchef der Mobilfunksparte des Konzerns.

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