Nachlese zum Kölner "Tatort":Nichts gesehen, nicht gekümmert

Tatort Köln, "Freddy tanzt"

Die Kölner Kommissare Schenk und Ballauf haben es im Tatort "Freddy tanzt" mit gleichgültigen Hausbewohnern zu tun.

(Foto: WDR/Colonia Media GmbH/Martin Va)

Sie wollen mitreden über den "Tatort"? Hier erfahren Sie, wieso Freddy tanzt und welche Klischees den Kölner Krimi töten. Die Nachlese - mit den besten Zuschauerkommentaren.

Von Johanna Bruckner

Darum geht's:

Der obdachlose Pianist Daniel Gerber liegt tot im Unterholz am Rheinufer. "Brutal verprügelt", konstatiert Rechtsmediziner Roth. Zunächst geraten drei Banker in Verdacht, doch die mauern genauso wie die Bewohner des rotgetünchten Mehrfamilienhauses, in das das verletzte Opfer zunächst geflüchtet war. Die Kölner Kommissare Ballauf und Schenk haben es im Tatort "Freddy tanzt" weniger mit einer Mauer des Schweigens zu tun als mit einer Nebelwand aus Arroganz und Gleichgültigkeit. Tatenlos und teilnahmslos - das trifft allerdings auch auf die beiden Ermittler zu. "Hast du nich' so 'n dolles Aquarium?", fragt Ballauf seinen Kollegen. "Is' schon Jahre her", antwortet der.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz:

Bezeichnender Dialog:

Die Mutter des Opfers, Marita Gerber, ist eine Nachbarin von Max Ballauf. Sie hatte den Kommissar nach dem Verschwinden ihres Sohnes um Hilfe gebeten, doch der unternahm nichts. Von schlechtem Gewissen getrieben, will Ballauf ihr beim Aufstellen ihrer Massageliege helfen. Dabei schießt es ihm in den Rücken - und so landet er selbst auf der Liege.

Marita Gerber: Sie wussten nicht einmal, dass wir seit 17 Jahren Nachbarn sind. Menschen interessieren Sie nicht wirklich, hä?

Ballauf: Ich lass' jedem seine Ruhe und ich hoff' auch, dass man mir meine Ruhe lässt.

Marita Gerber: Jeder nach seiner Façon.

Ballauf: Ja, ich bin tolerant.

Marita Gerber: Toleranz fällt leicht, wenn einem alles egal ist. Einatmen. Ausatmen. Kennen Sie Rachmaninows drittes Klavierkonzert?

Ballauf (verneint): Ich hör' mehr Rock und Pop.

Marita Gerber: Man sagt, das Stück sei so komplex, dass es einen an den Rand des Wahnsinns treibt.

Ballauf: Ja, Wahnsinn.

Marita Gerber: Einatmen. Durch den Mund ausatmen. Daniels größter Wunsch war es, dieses Stück in einem großen Konzertsaal vor Hunderten von Menschen zu spielen.

Ballauf: Vielleicht wär' es ihm ja irgendwann mal gelungen.

Marita Gerber: Sein erfolgsverwöhnter Vater hat ihm schon als Kind eingeredet, das sei nicht sein Instrument. So ein Schwachsinn. Und, besser?

Ballauf: Ja.

Marita Gerber: Wovon träumen Sie? Oder sind Sie immer nur mit ihrer Toleranz beschäftigt, weil sie nichts wirklich interessiert - nicht einmal Sie selbst?

Ballauf: Ich versuch' herauszufinden, was mit Ihrem Sohn passiert ist. Warum der sterben musste.

Marita Gerber: Mein Sohn hat Sie nicht interessiert, als ich an Ihrer Wohnungstür geklingelt habe. Interessieren Sie sich nur für die Toten?

Ballauf: Der war schon tot, als Sie bei mir geklingelt haben. Und Ihr Sohn hat auf der Straße gelebt - das haben Sie nicht gewusst. Jetzt suchen Sie die Antworten nicht bei mir, ja!?

Die besten Zuschauerkommentare:

Die beste Szene:

Ballauf und Schenk vernehmen das ältere Ehepaar Koschwitz, das die Polizei wegen Daniel Gerber alarmiert hatte. "Es hat 48 Minuten gedauert, bis endlich jemand von der Polizei da war", beschwert sich Martin Koschwitz: "48 - muss man sich mal vorstellen!" Kurz scheint es, als wohnten im Haus mit der Nummer 77a doch Menschen, denen ein Verletzter nicht egal ist. Aber nein. "Diese Gauner, lassen sich doch heutzutage alle möglichen Tricks einfallen, um in die Wohnung zu kommen", sagt Herr Koschwitz, während er im Schneidersitz Tofu mit Mohn und Gerste löffelt. Und Frau Koschwitz treibt vor allem das Blut im Treppenhaus um - "so viel negative Energie". Zwischen all dem Hindu-Nippes lebt die Blockwart-Mentalität.

Top:

Die Mühe, mit der in diesem Tatort Bars und Kneipen sprechende Namen verliehen wurden. Im "Seven Secrets" tanzt Claudia Denk, auf die Freddy Schenk ein Auge geworfen hat, allein auf der Tanzfläche und zieht den Kommissar endgültig in ihren Bann. Doch die vermeintliche Kunst-Professorin ist eine Prostituierte, kurz darauf sieht Schenk sie mit einem Freier abziehen. Ein Geheimnis weniger, Freddy guckt bedröppelt - und tanzt. Weitere Lokalitäten: das "Alex" (hier trinkt Kollege Ballauf einsam sein Bier) und das "Point Five" (hier schleppt der gemeine Banker seinen Blowjob für die Nacht ab).

Flop:

Die Art und Weise, wie in diesem Tatort die Klischeekeule geschwungen wird. Banker sind böse, Küstlerinnen schöne Wesen mit wundem Blick, der Macho-Eishockeytrainer ist insgeheim schwul und jedes kleine Mädchen will ... - aber lesen Sie selbst:

Schenk (zur Tochter seines Schwarms Claudia Denk): Na, du kleine Maus?

Lisa Denk: Ich bin keine Maus!

Schenk: Oh Entschuldigung, du bist wohl eine Prinzessin?

Bester Auftritt:

Lisa hat für die unbeholfenen Annäherungsversuche von Kommissar Schenk nur ein mitleidiges Lächeln übrig. Über die Tochter die Mutter anbaggern? "Come on" möchte man auch als Zuschauer Freddy Schenk zurufen. Oder besser gleich den eigentlich Tatort-erfahrenen Verantwortlichen all der Holzschnitt-Charaktere und platten Dialoge: Drehbuchautor Jürgen Werner und Regisseur Andreas Kleinert.

Die Erkenntnis:

In was für einer Welt leben wir eigentlich?

Die Schlusspointe:

"Nichts ist gut. Ein junger Mann musste sterben, weil ein ganzes Haus hier den Affen gibt: nichts sehen, nichts sagen, nichts hören", ruft Kommissar Ballauf an einer Stelle. Schade nur, dass der Zuschauer bei so viel Unberührtheit auch nichts fühlt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: