Olchinger Jugendzentrum:Alles, nur kein Zwang

JUZ Olching

Im Jugendzentrum vergnügen sich die Gäste an Air-Hockey- und Billard Tisch.

(Foto: Günther Reger)

Das Olchinger Jugendzentrum bietet ein Gegenkonzept zu einer Welt, in der alles strukturiert und aufgeräumt sein muss. Heranwachsende bekommen einen Raum zur Selbstfindung. Ungewöhnlich viele Mädchen nehmen das Angebot an.

Von Julia Bergmann, Olching

Schülerscharen strömen aus den Türen der Mittelschule Olching. Es ist 13 Uhr, auf der Straße bilden sich kleine Gruppen von Jungs in Baggy-Pants und Mädchen in Leggings. Da wird eben noch eine Fluppe angemacht, der Freundin ein Kuss aufgedrückt und zwischen zwei kessen Sprüchen werden Verabredungen für den Nachmittag getroffen. Die wenigsten Jugendlichen wollen an diesem Tag ins Olchinger Jugendzentrum gehen. "Was soll ich denn da ?", fragt der 15-jährige Marvin. Seine Kumpels lachen und geben ihm zwischen lautem Gegröle recht. Matthias, 16, und Dominik, 15, sind sich einig. "Generell taugt uns das Juz nicht so", sagen sie. Früher - da haben sie schon ab und zu vorbeigeschaut, zum Tischtennisspielen und so. Früher, das war vor zwei Monaten. Jetzt machen sie sich ihr Programm lieber selbst - man chillt eben.

Der 18-jährige Chumphon stößt zu der Gruppe. Er schaut schon ab und zu im Jugendzentrum vorbei. "Ich kann da alle meine Freunde treffen und wir sind ungestört", sagt er. Die Gruppe wird still. Zwei Tage später im Jugendzentrum, zwischen Air-Hockey- und Billard-Tisch, taucht ein bekanntes Gesicht auf. Dort steht einer der Jungs, die eigentlich "nie" her kommen. Scheint doch nicht so schlecht zu sein hier. Die 15-jährige Lisa, die mit dem Smartphone gerade in einer Sitzecke lümmelt und lacht, als ihre Freundin laut jubelnd ihren Air-Hockey-Triumph feiert, bringt es auf den Punkt: "Man fühlt sich hier richtig wohl. Es ist nichts vorgegeben und wir sind froh, dass es so etwas in Olching gibt." Ihre Freundin, Belinda, 13, fügt hinzu: "Die Erzieher sind außerdem immer da. Sie helfen dir auch bei Problemen."

Tatsächlich, so erklärt Daniele Kuhn, die das Jugendzentrum seit etwa zehn Jahren leitet, liegt ein wichtiger Augenmerk auf dem offenen Betrieb. "Das, was man unstrukturierte Zeit nennt, ist eine der wichtigsten Dinge überhaupt. Denn die Pubertät ist die Zeit, in der die Jugendlichen auf dem Weg zu sich selbst sind und in der Identitätsbildung stattfindet. Das braucht Raum", sagt Kuhn. Auch Cornelia Ramsteiner, die Jugendreferentin im Stadtrat teilt diese Meinung. Ihre Aufgabe sieht sie auch darin, die Augen danach offen zu halten, was der Jugend im Ort fehlt, und das schließlich gemeinsam mit den Jugendlichen umzusetzen. "Sobald ich etwas aufzwinge, wird es von der Jugend nicht angenommen", sagt Ramsteiner. Aber überhaupt erst einen Dialog mit der Zielgruppe herzustellen, sei schwierig. "Man trifft sie selten. Manchmal habe ich das Gefühl, die jungen Menschen sind zu aufgeräumt und weggepackt", sagt sie. Und über die Schulen zu gehen, funktioniere nicht immer, denn dann höre man häufig das Argument, die Schüler hätten für Außerschulisches zu wenig Zeit. Ideen, wie Jugendliche in der Öffentlichkeit präsenter werden können, habe Ramsteiner durchaus. Es sollte etwa für junge Musiker verstärkt Gelegenheit geben, vor Ort aufzutreten. Auch eine Open-Air-Veranstaltung schwebe ihr vor. Als ehemaliger Jugendreferent begrüße auch Bürgermeister Andreas Magg solche Ideen. Allerdings gebe es eine Einschränkung. "Natürlich ist vieles denkbar", sagt er. Das Problem der öffentlichen Hand seien auch nicht fehlende Ideen, sondern Fragen nach Verantwortung und Finanzierung. Es gelte, geeignete Räumlichkeiten zu finden, die Manpower zu stellen und Lärm- und Brandschutzauflagen zu erfüllen und zu überprüfen. "Diese Fragen machen es uns als Kommune schwer", so Magg. "Außerdem haben wir in der Vergangenheit festgestellt, dass die jungen Leute sich ihre Räume selbst suchen", sagt er.

Einen solchen Raum bietet etwa das Olchinger Jugendzentrum. Natürlich stehen neben dem offenem Betrieb auch Gruppenaktivitäten wie Mannschaftssportarten, Hilfe bei Bewerbungsschreiben oder gemeinsames Kochen auf dem Programm. Aber alles ohne Zwang. "Das Kochen etwa, kommt sehr gut an", sagt Kuhn. "Viele fragen schon unter der Woche auf der Facebook-Seite, was es am Freitag zu essen gibt." In der Küche laufen die Vorbereitungen an diesem Tag bereits auf Hochtouren. "Reicht die Pfanne für drei Kilo Spätzle?", fragt eines der Mädchen.

JUZ Olching

Nach dem Umzug aus dem alten Gebäude ist das Publikum deutlich jünger geworden.

(Foto: Günther Reger)

Von den Besuchern, der Tagesschnitt liegt etwa bei 25 bis 30, hat etwa die Hälfte einen Migrationshintergrund, ein Großteil besucht die Mittelschule. "Die Jugendlichen haben das Bedürfnis, sich zu separieren, sei es über den Musikgeschmack oder die Schulart", weiß Kuhn. Die Gymnasiasten, so zeigt die Nachfrage etwa bei Gregor, 17, und Jakob, 16, organisieren sich eher privat. "Im Sommer treffen wir uns oft im Park und abends besuchen wir Freunde", sagen beide. Einige der anderen Schüler erzählen von ihren zahlreichen Vereinsmitgliedschaften und dem Dauerbrennerthema Lernaufwand. Dass Mittelschüler häufiger das Jugendzentrum als Treffpunkt nutzen, habe etwa auch mit der finanziellen Situation der Eltern zu tun. "Und sie haben einen anderen Bedarf an Räumen", sagt die Leiterin. Viel habe sich an den Besuchern während der vergangenen Jahre nicht geändert, findet Kuhn. Die Besucherzahlen unterliegen zwar jahreszeitlichen Schwankungen, aber im Durchschnitt sind sie über zehn Jahre hinweg relativ stabil geblieben.

Das Besondere an den Gästen des Olchinger Juz sei aber, dass sie im Vergleich mit anderen Zentren relativ jung sind. "Das hängt einerseits mit unserem Umzug in ein relativ junges Wohnviertel zusammen, liegt aber auch an unserer engen Zusammenarbeit mit der Mittelschule", sagt Kuhn. Die Ganztagsklassen der fünften Jahrgangsstufe kommen einmal pro Woche verpflichtend ins Juz. "Egal was auf dem Programm steht, sei es Kochen, Theater oder Collagenbasteln. Letztlich geht es dabei immer um soziales Kompetenztraining", erklärt Kuhn. Von den jüngeren Schülern kommen sehr viele auch nach Ende des Projekts ins Juz. So erklärt sich Kuhn auch den außergewöhnlich hohen Mädchenanteil von 40 Prozent. Zudem lege man hier auch einen Schwerpunkt auf die Mädchenarbeit. "Normalerweise ist Juz-Arbeit Jungsarbeit", sagt sie. Die meisten Angebote liegen im sportlichen Bereich und oft stehe dabei Wettbewerb und Konkurrenzdenken im Vordergrund.

"Aber Mädchen brauchen andere Angebote. Sie wollen einen sicheren Rückzugsort, wo sie kichern, reden und glucksen können", sagt Kuhn. Deshalb habe man auch die Mädchenecke eingerichtet. Kuhn zeigt auf eine Ecke im Raum, die aussieht, als hätte Prinzessin Lillifee auf zwei Quadratmetern eine funkelnde Schlummerparty veranstaltet. Aber nicht nur die Mädchen haben ihren eigenen Ort. Viele der Jungs ziehen sich zum Fifa-Spielen in einen separaten Raum zurück. Doch das Vorurteil, dass die Jugend nur noch vor Konsolen, Smartphones und PCs sitzt, will hier niemand bestätigen. "Klar, wir schreiben schon viele Nachrichten über Whatsapp. Aber meistens um etwas für ein Treffen auszumachen", sagt der 16-jährige Osman. Nebenan liegt der Bastelraum, bis an die Decke hin gefüllt mit Farbe, Pinseln, Papier und Pappe. Dort halten sich vor allem die Sprayer auf, um neue Techniken auszuprobieren. Demnächst soll die Gruppe sogar den Olchinger Skatepark neu gestalten, verrät Kuhn. Den DJ-Raum hat eine der Besucherinnen gestrichen, die jetzt eine Lehre als Malerin beginnt. Und auch die Graffiti im Discoraum stammen von Besuchern. "Identifikation entsteht durch Partizipation", sagt Kuhn. Und weil das so ist, haben die Jugendlichen hier einen Ort geschaffen, an dem sie sich zu Hause fühlen, einen Ort, an dem Raum bleibt, um sich selbst zu finden.

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