Urteil des BGH:Spenderkinder haben frühzeitig Recht auf Vaterschaftsauskunft

Zentrum für Reproduktionsmedizin

Kontrolle im Zentrum für Reproduktionsmedizin in Münster (Nordrhein-Westfalen).

(Foto: Friso Gentsch/dpa)
  • Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Spenderkinder grundsätzlich ein Recht darauf haben, frühzeitig den Namen ihres biologischen Vaters zu erfahren.
  • In Deutschland gibt es geschätzte 100 000 Spenderkinder. Sybille S. ist eins davon. Sie sagt: Kinder sollten selbst entscheiden können.
  • Das BGH-Urteil könnte auch Konsequenzen für Samenspender haben.

Von Anna Fischhaber

Ab welchem Alter haben per Samenspende gezeugte Kinder Anspruch auf den Namen ihres biologischen Vaters? Und braucht es für diese Auskunft eine bestimmte Reife? Nein, hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschieden. Kinder haben grundsätzlich ein Recht darauf, frühzeitig den Namen ihres biologischen Vaters zu erfahren. "Ein bestimmtes Mindestalter des Kindes ist dafür nicht erforderlich", heißt es in dem Urteil.

In Deutschland ist - anders als in vielen anderen europäischen Ländern - die Rechtsunsicherheit beim Thema Samenspende noch immer groß. Geklagt hatten in diesem Fall zwei 1997 und 2002 geborene Schwestern aus der Nähe von Hannover, vertreten durch ihre Eltern. Diese hatten vor der Geburt ihrer Töchter bei der Klinik notariell auf Auskunft über die Identität des Samenspenders verzichtet. Samenbanken sicherten Spendern in Deutschland jahrzehntelang vertraglich eine solche Anonymität zu.

Doch nun hat sich die Familie umentschieden - offenbar will sie frühzeitig für Klarheit sorgen. Das Amtsgericht in Hameln hatte der Klage der Mädchen im Juni 2013 stattgegeben, das Landgericht Hannover war anderer Meinung. Dort entschieden die Richter, die Klägerinnen könnten ihr Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres geltend machen. Die Begründung: Kinder könnten erst dann die Konsequenzen solch einer Auskunft "beurteilen und verarbeiten". Das hat der BGH nun verworfen. Die Revision der Mädchen hatte Erfolg.

Was ein Spenderkind sagt

Sibylle S. ist eins von geschätzt 100 000 Spenderkindern in Deutschland. Die Frau hat erst mit 32 erfahren, dass ihr Vater nicht ihr Vater ist. Gewundert habe sie sich schon immer, dass sie ihm nicht ähnlich sieht, ein Vergleich der Blutgruppen brachte dann Klarheit. "Das war ein Schock", sagt sie heute - acht Jahre später. "Je älter man ist, desto schlimmer ist es."

Zu ihren Eltern hat S. inzwischen keinen Kontakt mehr, doch auch die Chance, ihren biologischen Vater zu finden, gibt es nicht. "Der Arzt, der meinen Eltern beim Kinderwunsch geholfen hat, war damals schon drei Jahre tot. Und alle Unterlagen vernichtet." S. findet deshalb: Eine Altersbegrenzung mache wenig Sinn. "Jedes Kind, jede Familie muss für sich selbst entscheiden, wann das Alter richtig ist, den Namen des Vaters zu erfahren."

Familientherapeutin Petra Thorn, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Kinderwunschberatung, hat mehrere Ratgeber zur Familiengründung mit Spendersamen geschrieben. Ein Buch unterstützt Eltern, die mit ihrem Kind über dessen Herkunft sprechen möchten. Es ist für Kinder zwischen drei und sechs Jahren gedacht und soll Identitätsbrüche verhindern. Spenderkind Sibylle sagt: "In diesem Alter lernen die Kinder noch spielend, dass es eben zwei Väter gibt. Wenn erst mit 18 das Familiengeheimnis gelüftet wird, ist das in jedem Fall ein Schock."

Das Recht der Kinder

"Das Recht der Kinder hat ein ganz erhebliches Gewicht", hatte der Vorsitzende Richter des XII. BGH-Zivilsenats bereits bei der mündlichen Verhandlung betont. Der Vertreter der Klinik hatte dagegen gezweifelt, ob es wirklich die minderjährigen Schwestern sind, die Auskunft wollen - oder ob nicht vielmehr die Eltern die Frage nach dem biologischen Vater umtreibt. Die Töchter seien schließlich nie selbst bei Gericht erschienen. Und selbst wenn sie es wollten, so der Klinik-Anwalt weiter: "Ist alles, was kleine Kinder wollen, vernünftig?"

Der BGH ist offensichtlich anderer Meinung und hat sich gegen eine Altersgrenze entschieden - theoretisch kann der Name des Vaters also schon bei der Geburt verlangt werden. "Machen die Eltern den Anspruch als gesetzliche Vertreter ihres Kindes geltend, setzt dies voraus, dass die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangt wird", heißt es allerdings in dem Urteil. In dem konkreten Fall der Schwestern soll darüber nun das Landgericht Hannover entscheiden, an den er zurückverwiesen wurde.

Warum die rechtliche Unsicherheit bleibt

Dass Kinder grundsätzlich Anspruch auf Klärung ihrer Herkunft haben, hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1989 entschieden. Die Klärung der eigenen Abstammung sei ein "unabdingbarer Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts", hieß es damals.

Das Oberlandesgericht Hamm setzte das in die Praxis um - und gab 2013 dem Anliegen der 21-jährigen Sarah P. statt. Sie war das erste Spenderkind, das in Deutschland den Auskunftsanspruch auf ihren biologischen Vater eingeklagt hatte. Bereits seit 2007 sind Kliniken verpflichtet, die Daten der Spender 30 Jahre lang aufzubewahren.

Die Entscheidung des BGH könnte nun auch Konsequenzen für Samenspender haben: Je niedriger die Altersgrenze, umso früher können sie von ihren Kindern zu Unterhaltszahlungen aufgefordert werden. Denn bislang gibt es in Deutschland kein Gesetz, das Samenspender grundsätzlich von Unterhaltsansprüchen befreit. Das Urteil des BGH dürfte also nicht das letzte zum Thema Samenspende in Deutschland sein.

(Mit Material der Agenturen)

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