Schiedsrichter bei Handball-WM:Es bleibt ein mulmiges Gefühl

Lesezeit: 3 min

Patrick Wiencek (re.), verwundert über manchen Pfiff (Foto: dpa)

Die eigene Leistung war zu schwach - doch auch mit den Schiedsrichtern hadert das deutsche Team nach dem verlorenen Viertelfinale der Handball-WM. Es besteht der Verdacht, dass der Gastgeber mit aller Macht weiterkommen sollte.

Von Saskia Aleythe

Die Haare tropfen noch, das Trikot klebt an Silvio Heinevetter. Es ist Mittwochabend, Deutschland hat gerade das Viertelfinale der Handball-WM verloren, denkbar knapp mit 24:26. Gegen den Gastgeber Katar. Heinevetter tritt vors Mikrofon, er soll erklären, warum es mit einem Sieg nicht geklappt hat. Der 30-Jährige lächelt verbittert, wirft sich das Handtuch über die Schulter, hält inne. "Wir haben nicht unser bestes Spiel gemacht", sagt Heinevetter, "aber heute können wir das Spiel nicht gewinnen." Was das bedeute, wird er gefragt, Heinevetter sagt: "Das weiß jeder. Wir sind immer noch Gäste hier in diesem Land. Man muss aufpassen, was man sagt."

Silvio Heinevetter ist ein emotionaler Mensch. Einer mit einer starken Meinung, und wenn die im deutschen Torhüter brodelt und nach draußen will, dann gelingt ihr das auch. Manchmal zu drastisch, in der Bundesliga gab es schon Verfahren wegen Schiedsrichterbeleidigung gegen ihn. Doch an diesem Abend in Katar war es nicht nur der aufgeregte Berliner, den ein mulmiges Gefühl umgab. Dieses Gefühl, dass Katar mit aller Macht ins Halbfinale kommen sollte. Auch mit Hilfe der Schiedsrichter.

"Ich verliere normal nie ein Wort über die Schiedsrichterleistung", sagte etwa Bernhard Bauer, Präsident des Deutschen Handballbundes, "aber jeder, der etwas vom Handball versteht, hat gesehen, was hier heute abgelaufen ist." Wer etwas von Handball versteht, weiß: Es ist ein sehr dynamisches Spiel, der Erfolg jedes Angriffes hängt auch von den Entscheidungen des Schiedsrichters ab. Alle paar Sekunden kommt ein Pfiff und die Regeln lassen viel Spielraum zur Interpretation. Und zur Beeinflussung, die niemand tatsächlich nachweisen kann. Alles Auslegungssache.

Mit komischen Pfiffen hatten zuvor die Österreicher ihre Erfahrung gemacht: Im Achtelfinale schied das Team gegen Katar aus. Auffällig: viele zweifelhafte Stürmerfouls. Trainer Patrekur Jóhannesson sagte später: "Ich glaube, Katar wird Weltmeister."

Und wie war das im Viertelfinale der Deutschen? Genau: Es wurden viele zweifelhafte Stürmerfouls gepfiffen. In der 39. Minute stand es plötzlich nur noch 20:19 für Katar, so wenig Vorsprung hatten die Gastgeber seit der zehnten Minute nicht mehr gehabt. Die folgenden Angriffe der Deutschen beendeten die Schiedsrichter mit zwei fragwürdigen Entscheidungen auf Stürmerfoul gegen Patrick Wiencek und Paul Drux. Katar machte derweil vorne seine Tore und war mit 22:19 wieder in einer komfortablen Situation.

Dass in der ersten Halbzeit bereits eine sehr strittige Szene für Aufsehen gesorgt hatte, war da schon fast wieder vergessen: Bertrand Roine hatte am Kreis Uwe Gensheimer mit Wucht am Trikot gezogen, als längst kein Ball mehr in Reichweite war - eine Aktion, die als Tätlichkeit gewertet werden kann. Schiedsrichter Gjorgi Nachevski aus Mazedonien nestelte sekundenlang an seiner Brusttasche und der roten Karte, zeigte nach Diskussion mit dem Oberschiedsrichter, seinem Vater Dragan Nachevski, aber beiden beteiligten Spielern zwei Minuten.

Entscheidungen dieser Art gibt es in jeder Bundesliga-Partie, mit entsprechenden Diskussionen um eine womöglich beabsichtigte Einflussnahme. Dass Katar enorm viel Geld in die Hand genommen hat für diese WM und deshalb gesteigertes Interesse am Erfolg der eigenen Mannschaft hat, mag den Verdacht zusätzlich verstärken. Mehr als 200 Millionen Euro allein für das Turnier, auch die eingebürgerten Profis europäischer Ligen bekommen ein stattliches Gehalt. Dieses Viertelfinale hat die Nation ohne einen Treffer eines gebürtigen Katerers gewonnen. Die beste Platzierung einer katarischen Auswahl bei einer WM bisher: Rang 16 im Jahr 2003.

Klar ist aber auch: Deutschland hätte das Halbfinale trotzdem aus eigener Kraft erreichen können, das war auch dem Team bewusst. "Wir haben heute das schlechteste Spiel bei der WM abgeliefert", sagte etwa Uwe Gensheimer, "wir haben heute zu viele Chancen liegenlassen, das hat sich dann am Ende gerächt." Am schmerzhaftesten: In den letzten 90 Sekunden hatte Patrick Groetzki gleich zwei gute Torchancen - es wären zwei Tore gewesen, die für den Ausgleich und die Verlängerung gereicht hätten. Doch er scheiterte an Torwart Danijel Saric.

Für Deutschland geht es nun noch um die Qualifikation für Olympia, zunächst gegen Kroatien. In zwei Partien der Platzierungsrunde werden die Ränge fünf bis acht ausgespielt, nur der Achte verpasst das spätere Qualifikationsturnier. Bis Freitag bleibt erst einmal Zeit, das Viertelfinale zu verarbeiten. Das tut jeder auf seine eigene Weise. "Meine Playlist für heute Nacht", schrieb Michael Kraus über ein Foto bei Instagram:

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