Super Bowl:Schlacht der Gladiatoren

Indianapolis Colts at New England Patriots AFC Championsnhip

Indianapolis Colts (weiß) gegen New England Patriots: Letztere spielen in der Nacht auf Montag um die "Super Bowl".

(Foto: dpa)
  • American Football ist ein politisch unkorrekter Sport in politisch korrekten Zeiten. Das gefährdet die Geschäfte der National Football League.
  • Probleme gibt es zuhauf: Wegen der Brutalität des Sports sind viele Spieler schon nach drei Jahren am Ende.
  • Die Gefahr für den Football geht vor allem von amerikanischen Müttern aus: Sie entscheiden, welchen Sport ihre Söhne treiben.

Von Nicolas Richter, New York

Die Weltmeisterschaft in Brasilien ist endgültig vorbei - jetzt kommen die richtigen Männer. Anders als die Spieler im europäischen Spitzenfußball verfügen diese Männer über deutlich hervortretende Armmuskeln, wohingegen ihre Frisuren egal sind. Die Haare verschwinden unter Plastikhelmen, was es den Spielern immerhin ermöglicht, den Wettbewerb zu überleben: Wenn ihr Schädel auf Knie, Ellbogen oder Drittschädel prallt, fängt die Panzerung einen Teil der kinetischen Energie ab.

Es gibt nur zwei Abende im Jahr, an denen die USA zum kollektiven Stillstand kommen: Einer ist an Thanksgiving, dem Erntedankfest, der andere, wenn um die "Super Bowl" gespielt wird, den höchsten Preis der National Football League (NFL). Die Teilnehmer sehen aus wie Klonkrieger, gewandet in Trikots, die so groß sind, dass europäische Fußballspieler darin zelten könnten. Seit Jahrzehnten ist "American Football" der beliebteste Sport in den USA, und am Finalabend zählt in Wohnzimmern und Sportbars nichts anderes mehr.

Das Konzept der Konservativen ist in Bedrängnis geraten

Für den arg bedrängten Football ist damit erst einmal wieder alles gut, jedenfalls für einen Abend. Im vergangenen Sommer hatte es während der WM in Brasilien so ausgesehen, als könnten sich die Amerikaner noch in den Fußball verlieben, den sie hier übel klingend "Soccer" nennen.

Die konservative Provokateurin Ann Coulter sah in der Soccer-Begeisterung ein Symptom für moralischen Verfall. Linke Mütter, schrieb Coulter, liebten Soccer, "weil athletisches Talent in diesem Sport so wenig Ausdruck findet, dass Mädchen mit Jungen spielen können". Im American Football hingegen würden die Verwundeten von Krankenwagen abgeholt.

Wenn also an diesem Sonntag die New England Patriots und die Seattle Seahawks als letzte Überlebende nach monatelangen Schlachten um den Titel ringen, verkörpern sie die Härte des amerikanischen Lebens, oder zumindest die Kernüberzeugung der Konservativen in diesem Land: Eine Gesellschaft lebt von Leistungsbereitschaft, Tapferkeit und Wettbewerb. Eine Gesellschaft kommt nicht voran, wenn alle immer nur nett sind (was Linke, Europäer und Soccer-Spieler gern hätten).

Dieses Konzept ist zuletzt in arge Bedrängnis geraten, einerseits politisch: Der demokratische (linke) Präsident Barack Obama hat verfügt, dass kranke Menschen einen Arzt bekommen, arme Kinder Essensgutscheine und nicht jeder ferne Feind mit den Mitteln einer militärischen Invasion bestraft wird. Wenn der Staat so nett ist zu allen, warnen Konservative, dann nimmt er den Ansporn, sich aus eigener Kraft ans Ziel zu schleppen.

Andererseits sportlich: Teile der Öffentlichkeit stören sich zunehmend am Verschleiß der NFL-Gladiatoren. Eine Karriere in der Profiliga dauert oft nur wenige Jahre, in denen die Spieler aber so viele Gehirnerschütterungen davontragen, dass sie ein Leben lang darunter leiden. Viele Ex-Spieler klagen über Gedächtnisschwund, Konzentrationsprobleme, Selbstmordgedanken, oft diagnostizieren Ärzte eine chronische Erkrankung des Gehirns.

Das Super-Bowl-Publikum ergötzt sich so gesehen daran, dass sich junge Männer - trotz Helm - die Köpfe einschlagen. Profi-Football ist ein politisch unkorrekter Sport in politisch korrekten Zeiten, und dies gefährdet nicht nur die Geschäfte der NFL, sondern den American Football als Ganzen.

Die NFL leugnet gern ihre Probleme

Die NFL geht mit Problemen meist um, indem sie leugnet, verharmlost, vertuscht. So auch beim größten Skandal der vergangenen Saison: Als Ray Rice, ein Spieler aus Baltimore, seine Verlobte Janay Palmer misshandelt hatte, sperrte ihn die NFL für lediglich zwei Spiele. Später zeigte die Website TMZ ein Überwachungsvideo; man sah, wie Rice der jungen Frau so hart ins Gesicht schlug, dass sie bewusstlos zusammensank. Erst als diese Bilder in der Welt waren, flog Rice aus seinem Team, und die NFL versuchte, ihn dauerhaft zu sperren.

Aber die Gefahr für diesen Sport geht weniger von brutalen Stars aus als von amerikanischen Müttern. Meist entscheiden sie über den Sport ihrer Kinder, sie fahren ihre Söhne zum Training und sehen dabei zu, wie die Jungen zusammengebrüllt werden, weil sie nicht hart genug zupacken. Früher dürften die Mütter gedacht haben, es gehöre eben zum Mannwerden, Durchsetzungsvermögen zu lernen, in einer Gesellschaft zumal, in der man ohne sportliches Können nur ein halber Mensch (oder ein Europäer) ist.

Verfallen die USA in eine "moralische Panik"?

Inzwischen aber dürften viele Mütter auch an eine endlose Serie von Medienberichten und neurologischen Studien denken. An die Geschichte des High-School-Spielers zum Beispiel, der mit 17 an einem Gehirntrauma starb. Oder an eine neue Untersuchung, wonach Demenz bei Ex-Profis besonders verbreitet ist, wenn diese vor dem zwölften Lebensjahr mit dem Training begonnen haben.

Obwohl die NFL seit Jahren gezielt um Mütter wirbt, scheint sich der Trend gegen diesen Sport zu wenden. Vielerorts soll der Zulauf zu Jugendmannschaften rückgängig sein. Nach einer neuen Umfrage von Bloomberg Politics erklärt die Hälfte aller Amerikaner, ihr eigener Sohn solle nicht Football spielen, und nur 17 Prozent glauben, dass der Sport in den kommenden Jahrzehnten an Beliebtheit gewinnt.

Verfällt das Land in eine "moralische Panik", wie es der Autor Jonathan Chait vermutet? Chait ist ein Linker, aber er wirft den Linken auch Hysterie und Intoleranz vor. Während der plutokratische Unterhaltungskonzern NFL jede Kritik verdiene, sei der Sport für Schüler eher harmlos, die Todesrate an Highschools sogar niedriger als bei Basketball und Wasserpolo. Football verkörpere konservative Werte wie Loyalität, Disziplin und eine gewisse Verachtung für Feiglinge, aber dies sei nicht schon deswegen lächerlich, weil es konservativ sei.

Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Football in Bedrängnis geraten, als ein Spieler an einer Gehirnblutung starb. Damals entstanden viele neue Regeln, der Sport wandelte sich von einer Massenschlägerei in ein taktisches Manöver, in dem kluge Pässe über den Erfolg entscheiden. Sollte die NFL den Sport nun entschärfen, dürften die Bedenken ähnlich sein wie einst. Damals warnte der Künstler Frederic Remington davor, dem Football die "heroische Qualität" zu stehlen. "Football ist am besten, wenn es am schlimmsten ist", schrieb er, "wem das nicht gefällt, sollte es mit Kartenspielen versuchen".

Hundert Jahre später, in einer viel empathischeren und weniger risikofreudigen Gesellschaft, wollen die Amerikaner im Prinzip beides: Ihre Kinder sollen der Gewalt nicht ausgesetzt sein, aber im Fernsehen fasziniert sie noch immer.

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