Sport:Kaltstart mit drei Bären

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Der ehemalige Spitzensprinter Marius Broening hat die Spikes gewechselt. Statt auf Leichtathletik-Bahnen ist der Wahlmünchner seit diesem Winter als Anschieber in mehreren Bobs unterwegs

Von Johannes Heil

Es ist der 14. Dezember, Bob-Europacup am Königssee. Marius Broening möchte sich am liebsten nur noch verkriechen. Und das, obwohl er am Vortag als Anschieber des ehemaligen Bob-Weltmeisters Manuel Machata die Viererbob-Konkurrenz gewonnen hat. Doch an diesem Sonntag, bei der zweiten Viererbobkonkurrenz, ist es nicht so gut gelaufen - ganz und gar nicht gut sogar. Als Machatas Bob im Ziel ankommt, fehlt einer. Marius Broening liegt oben, knapp 40 Meter unterhalb des Starts. Auf dem Bauch. Er starrt gen Tal. "Ich bin beim Anschieben abgerutscht und außer Tritt gekommen", schildert er später. Danach gab es für ihn kein Festhalten mehr. "Wenn die drei anderen Bären so richtig anschieben, wird der Bob derart schnell, dass man loslassen muss."

Marius Broening ist 31 Jahre alt, für einen Sportler schon ein gestandenes Alter. Dennoch steht er in diesem Winter wieder ganz am Anfang. Der ehemalige Leichtathlet war einer der besten deutschen Sprinter, nun hat er sich eine neue Herausforderung gesucht, von der Tartanbahn in den Eiskanal. Ein gewagter Schritt, für ihn aber ein notwendiger: "Ich war über zehn Jahre professionell in der Leichtathletik unterwegs. Ich brauchte einfach einen neuen Input", erklärt Broening, der seit Ende 2013 in München lebt und trainiert.

Bereits 2012 hatte ihn Machata, Viererbob-Weltmeister von 2011, für sein Team engagieren wollen. Doch damals sei er noch mit Herz und Seele bei der Leichtathletik gewesen, hatte die Olympischen Spiele in London vor Augen, für die er sich aber letztlich nicht qualifizieren konnte.

Als Machata dann im vergangenen Sommer erneut auf Broening zukommt, sagt er Ja - und lässt sich auf das Abenteuer ein, auch wenn er damals vom Bobsport "keine Ahnung" hatte, wie er zugibt.

Mit 31, nach schweren Verletzungen, will er sich noch einmal neu erfinden. (Foto: oh)

Das erste Mal, als Broening das Erlebnis Bobfahren am eigenen Leib mitbekommt, ist am 20. November in Oberhof, im Viererbob. Eine äußerst einprägsame Erfahrung für den gebürtigen Tübinger: "Im Ziel habe ich mich gefragt, ob ich mir das wirklich noch einmal antun soll", sagt Broening. Doch der sportliche Ehrgeiz siegt über die aufkommenden Zweifel: "Ich habe es als Herausforderung angesehen, und wir haben an demselben Tag gleich noch zwei Läufe absolviert." Dennoch fährt bei ihm das Wissen um das Risiko noch immer ein Stück weit im Hinterkopf mit: "Während der Fahrt wandert dann schon mal das ein oder andere Stoßgebet nach oben."

Nicht nur im Eiskanal stellt ihn sein zweites Sportlerleben vor völlig neue Herausforderungen, auch abseits der Bahn ist vieles ungewohnt: "Man muss im Bobsport wirklich alles selbst machen." Morgens um sechs gehe es schon los: den 200 Kilo schweren Bob in den Transporter hieven, zur Bahn fahren, wo das Gefährt natürlich wieder ausgeladen werden muss. Dann Kufen montieren, den Bob startklar machen. "Früher habe ich einfach meine Schuhe in den Turnbeutel geschmissen und bin zum Training gegangen." Im Vergleich dazu sei das Drumherum im Bobsport "etwas zehrend", bekennt Broening.

Als Leichtathlet kann der 31-Jährige auf eine ereignisreiche Zeit zurückblicken: 2004 in Athen und 2008 in Peking war er bei den Olympischen Spielen dabei, 2010 gewann er bei der Europameisterschaft in Barcelona Bronze mit der 4×100-Meter-Staffel. Die schönste Erfahrung seiner Karriere, "weil man dann auch mal was im Schrank hängen hat, was international glänzt", wie er sagt. Ein weiterer Höhepunkt datiert aus den Anfängen seiner Laufbahn: Die Junioren-Weltmeisterschaft 2002 in Kingston, Jamaika. "Das Stadion dort fasst circa 30 000 Menschen, und es war komplett voll." Die Massen hätten eine wahnsinnige Stimmung erzeugt: "Bei der Staffel habe ich mein eigenes Wort nicht mehr verstanden." Insbesondere einem ihrer Landsleute jubelten die Jamaikaner damals zu: einem gewissen Usain Bolt. "Der war damals drei oder vier Jahre jünger als alle anderen und hat dennoch schon alles in Grund und Boden gelaufen", erinnert sich Broening.

Gemischte Gefühle: Als Leichtathlet blickt Marius Broening auf eine Karriere mit Höhen und Tiefen zurück. (Foto: AFP)

Seine Auftritte bei den Olympischen Spielen betrachtet Broening hingegen mit gemischten Gefühlen. Obwohl er 2004 und auch 2008 nominiert worden war, kam er bei den Wettkämpfen selbst nicht zum Zug. "Vor allem 2008 war das richtig nervig, als mir in der Staffel jemand vor die Nase gesetzt wurde." Trotzdem denkt er gern an Athen und Peking zurück. "Es ist der Wahnsinn, Olympia einmal selbst mitzuerleben." Vor allem die Stimmung im olympischen Dorf sei einmalig. "Dort trifft man Athleten aus aller Herren Ländern und aus verschiedensten Sportarten." Er erinnert sich etwa an Pläuschchen mit dem ehemaligen brasilianischen Weltfußballer Ronaldinho oder dem Basketball-Star Kobe Bryant.

In den Jahren 2012 und 2013 hätten Broening zwei schwere Knieverletzungen - ein Knorpelschaden und eine Zyste - beinahe die Sportlerkarriere gekostet. "Das waren richtig schwere Stunden", erinnert er sich. "Damals war fraglich, ob ich überhaupt jemals wieder Freizeitsport machen kann." Er ließ sich nicht unterkriegen. Gemeinsam mit einem befreundeten Unternehmer gründete er in dieser Zeit eine eigene Firma. Bei "Athletes for All" kann man Profi-Sportler als Personal Trainer buchen. Schon immer war es dem 31-Jährigen wichtig , abseits des professionellen Sports "nach rechts und links zu schauen", wie er es nennt. Er hat einen Bachelor-Abschluss in Sport und Gesundheitsförderung, derzeit schreibt er seine Masterarbeit im Studiengang Sportmanagement. "Man muss sich bewusst sein, dass Leistungssport vielleicht etwas länger als zehn Jahre geht. Was danach kommt, dauert viel länger", sagt er.

Noch befindet sich Marius Broening mitten im Leistungssport, wenn auch in einer völlig neuen Umgebung. Doch auch in dieser findet er sich mittlerweile immer besser zurecht. Bei der deutschen Meisterschaft Ende Dezember in Winterberg erreichte er im Zweierbob mit der Nachwuchshoffnung Johannes Lochner, bei dem Broening ebenfalls zum Einsatz kommt, den dritten Platz - hinter etablierten Größen wie Juniorenweltmeister Nico Walter und dem aktuellen Weltmeister im Zweierbob, Francesco Friedrich. Beim Europacup in St. Moritz Mitte Januar wurde Broening in Lochners Viererbob Vierter. Der ehemalige Weltmeister Manuel Machata indes hat seine Saison nach verpasster WM-Qualifikation bereits beendet.

Seit Ende 2013 wohnt und trainiert Broening in München. Die Stadt hatte es ihm schon lange davor angetan. "Ich habe hier früher öfters einen Kumpel besucht und gemerkt, dass München eine tolle Stadt ist." Auch deswegen entschied er sich dazu, in den Jahren 2010 und 2011 für die LG Stadtwerke München an den Start zu gehen und 2013 schließlich komplett nach München zu ziehen. Neuer Sport, neue Stadt - Marius Broening fühlt sich sichtlich wohl in seinem neuen, sportlichen und privaten Umfeld. "Es ist alles super", sagt er. Trotz des Missgeschicks vom 14. Dezember am Königssee.

© SZ vom 31.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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