Verhaftete Russin:Siebenfache Mutter und angebliche Landesverräterin

Artur, son of Russian activist Davydova and her husband Gorlov, holds up a photo of his mother to the camera, at their home in Vyazma

Artur, einer von Swetlana Dawydowas Söhnen, hält ein Bild seiner Mutter in die Kamera.

(Foto: REUTERS)
  • Eine 36-jährige Russin ist vom Geheimdienst FSB vor zehn Tagen festgenommen worden - und sitzt seitdem in Haft.
  • Der siebenfachen Mutter wird von offizieller Seite Landesverrat vorgeworfen.
  • Sie hatte die ukrainische Botschaft über den Inhalt eines Gespräches informiert, das russische Soldaten in einem Linienbus geführt hatten.

Von Julian Hans, Moskau

Was Swetlana Dawydowa im vergangenen Sommer in einen Notizblock schrieb, erinnert an Tagebücher aus den 1930er-Jahren, wie sie der Historiker Orlando Figes in seinem Buch "Die Flüsterer" veröffentlichte: "Meine Ansichten können früher oder später zu Repressionen führen", schrieb Dawydowa. "Ich bin Mutter vieler Kinder. Die Gesetze werden verschärft, die Menschenrechte eingeschränkt, das Recht auf freie Meinungsäußerung. Früher oder später könnte meine Familie offene Gewalt zu spüren bekommen."

Am Morgen des 21. Januar bewahrheiteten sich die Befürchtungen. Gegen halb neun klingelte die Polizei an der Tür in einem Plattenbau in der Stadt Wjasma, 240 Kilometer westlich von Moskau. 20 Ermittler des Geheimdienstes FSB in schwarzen Uniformen durchsuchten die Räume. Beschlagnahmt wurde auch eine Aufzeichnung, datiert auf den 24. April: "Soldaten des (russischen Militärgeheimdienstes Red.) GRU aus dem Stützpunkt 48886 treffen am Montag in Zivilkleidung in Moskau ein, vorgeblich auf eigene Rechnung. Waffen sollen sie vor Ort bekommen."

Seit zehn Tagen sitzt die 36-Jährige im Moskauer Lefortowo-Gefängnis. Die Ermittler werfen ihr Landesverrat vor, darauf stehen zwischen 12 und 25 Jahre Haft. Dawydowas Haus steht gegenüber dem Stützpunkt 48886. Auf einer Fahrt mit dem Linienbus hatte sie gehört, wie ein Soldat am Telefon erzählte, sie würden "in kleinen Gruppen nach Moskau geschickt, unbedingt in Zivil, von dort geht es weiter auf Dienstreise". Daraufhin habe sie bei der ukrainischen Botschaft in Moskau angerufen und von ihrem Erlebnis berichtet, so der Vorwurf der Ermittler.

Verhaftet, weil sie verraten haben soll, was offiziell nicht existiert

Swetlana Dawydowa zieht sieben Kinder auf, vier leibliche und drei aus der ersten Ehe ihres Mannes. Ihre jüngste Tochter Kassandra ist zwei Monate alt. Als der FSB die Mutter abholte, bekam das Baby noch die Brust. Ihr Anwalt will nun erst einmal erreichen, dass der Haftbefehl aufgehoben wird und sie bei ihrer Familie sein kann.

Neben dem menschlichen Aspekt stellt sich die Frage, wie Dawydowa etwas verraten konnte, was es nach Darstellung des Kremls gar nicht gibt: russische Soldaten in der Ukraine? Wegen Landesverrats werden gewöhnlich Geheimnisträger angeklagt, die Informationen weitergegeben haben. Aber 2012 wurde das Strafgesetzbuch geändert. Nun kann jede Hilfe für ausländische Organisationen als Landesverrat gewertet werden, wenn der Staat seine Sicherheit bedroht sieht.

Genau so formulierte es der Generalstab: Dawydowas Anruf sei geeignet gewesen, "die Sicherheit der Russischen Föderation zu gefährden", namentlich "die Effektivität der Grenzsicherung mit der Ukraine". Dass der erste Fall, in dem die neue Regelung angewendet wird, eine stillende Mutter mit sieben Kindern trifft, könnte eine Warnung sein, glaubt Dawydowas Anwalt Iwan Pawlow. Russische Staatsbürger sollen sich in Zukunft hüten, mit Ausländern zu sprechen.

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