ARD-Themenabend zum Oktoberfest-Attentat:"Der Bote wird erschlagen"

Bombenattentat beim Münchner Oktoberfest, 1980

Der verwüstete Tatort nach dem Oktoberfestattentat am 26. September 1980. Der schwerste Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik forderte 13 Todesopfer und 211 Verletzte, davon 68 schwer.

(Foto: dpa)

Das Oktoberfest-Attentat ist sein Lebensthema: Nach dem Film über den Journalisten Ulrich Chaussy wird nun wieder ermittelt. Ein Gespräch über Abgründe der bayerischen Politik, mögliche Hintermänner, und warum seine Erkenntnisse erst jetzt ernst genommen werden.

Von Paul Katzenberger

Es ist eine echte Rarität, wenn eine oberste Bundesbehörde zugibt, dass sie sich geirrt hat. Das geschah am 11. Dezember 2014, als der Generalbundesanwalt mitteilte, dass er die Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat neu aufrolle. Der Fall galt seit 32 Jahren als abgeschlossen. Die Behörden hatten allein Gundolf Köhler für die Tat verantwortlich gemacht, ein angeblicher Einzelgänger, der dem Anschlag selbst zum Opfer gefallen war. An dieser Version hatte der Hörfunk-Redakteur Ulrich Chaussy aufgrund seiner Recherchen schon früh Zweifel, die er 1985 in dem Buch "Oktoberfest. Das Attentat" niederschrieb.

Neue Bewegung kam in den Fall nun im vergangenen Jahr durch den Spielfilm "Der blinde Fleck" von Daniel Harrich, der die Ungereimtheiten bei der Aufklärung des Attentats aus der Perspektive Chaussys (gespielt von Benno Fürmann) schildert. Nachdem der Film 2014 im Kino zu sehen war, gab es eine neue Flut von Zeugen-Hinweisen. Einer davon führte zu den neuen Ermittlungen. Und nun tauchte eine weitere Zeugin mit einer brisanten Information auf. Die erneute Ausstrahlung von "Der blinde Fleck" in der ARD an diesem Mittwoch, ergänzt mit der neuen Doku "Attentäter, Einzeltäter - Neues zum Oktoberfestattentat", kommt also genau zur richtigen Zeit.

SZ.de: Herr Chaussy, Sie haben für "Der blinde Fleck" das Drehbuch gemeinsam mit Regisseur Daniel Harrich geschrieben. Es gibt darin typische Thrillerelemente, wie zum Beispiel eine Auto-Verfolgungsjagd. Würden Sie mir verraten, welche Episoden im Film es in der Realität nicht gab? Zum Beispiel: Hat Ihre Frau Sie im echten Leben zwischendurch verlassen?

Ulrich Chaussy: Da nennen sie nun eine Geschichte, die im Film spiegelt, wie eine etwas obsessiv betriebene journalistische Arbeit auch die private Sphäre berührt. Aber ich kann Sie beruhigen: Ich habe dieselbe Frau, dasselbe Kind, dasselbe Haus und denselben Job bis heute.

Und wie steht es mit den konspirativen, nächtlichen Treffen mit Ihrem Informanten, Herrn Meier? Gab es die?

Sagen wir es so: Wenn Sie als recherchierender Journalist das Glück haben, auf Informanten zu stoßen, die Ihnen durch persönliches Zeugnis oder durch die Überlassung von Dokumenten die Möglichkeit geben, Dingen genau auf den Grund zu gehen, dann müssen Sie das Vertrauen dieser Gewährsleute durch Vertraulichkeit erhalten. Schon allein, weil sich niemand mehr an Sie wenden würde, wenn Sie die Namen derjenigen bekannt gäben.

Die konspirativen Treffen zwischen Ihnen und ihm sind auch so ein Thriller-Element des Films. Meier gab es also nicht.

Natürlich hat es Meier so nicht geben können. Im Film wird er als persönlicher Referent des real existierenden Dr. Hans Langemann dargestellt, des damaligen Staatsschutzchefs im bayerischen Innenministerium. Wenn ich dem nur einen anderen Namen gegeben hätte, dann wäre das eine Recherche von drei Minuten, um seine richtige Identität herauszufinden. Aber die Informationen, die als Behörden-Akten gezeigt werden, die gab es. Die Informationen im Film stimmen, sonst hätte ich längst Ärger gekriegt. Wie ich zu ihnen komme, kann und muss sogar verschleiert werden.

Das Oktoberfest-Attentat ist bis heute nicht aufgeklärt. Kann man denn überhaupt davon ausgehen, dass Gundolf Köhler der Täter ist?

Ich glaube, dass er eine Randfigur ist. Dafür gibt es viele Indizien: Er hatte den Sprengstoff nicht, er kann diese Bombe nicht alleine gebaut haben. Schon von dieser Seite her muss dieser Anschlag ein Gruppenprodukt gewesen sein. Ich denke, dass er dafür gecastet worden ist und bei etwas mitgemacht hat, von dessen Dimension er gar nicht wusste. Aber das wird man nur herausfinden können, wenn mal Mittäter gefunden werden sollten. Im Augenblick wissen wir ja noch nicht einmal, ob der Anschlag so ablaufen sollte, wie er stattgefunden hat.

Warum wissen wir so wenig? Warum waren die Ermittlungen so mangelhaft?

Es gab sehr schnell Hinweise, dass Köhler Kontakte zur Wehrsportgruppe Hoffmann hatte. Doch genau das war wegen der Nähe des obersten bayerischen Staatsschützers Hans Langemann zur Staatsregierung das Problem. Langemann wollte unter allen Umständen verhindern, dass eine Ermittlung gegen die Wehrsportgruppe Hoffmann zum Erfolg kommt. Weil das in politischer Hinsicht die Katastrophe schlechthin gewesen wäre. Der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß hatte am Abend des Attentats noch Bundesinnenminister Baum als 'Unsicherheitsminister' diffamiert. Wörtlich hatte er der Bild am Sonntag gesagt: 'Dieser Skandalminister mit seinen liberalen Bürgerrechtsideen verunsichert unsere Geheimdienste, unsere Justiz und Polizei derartig, dass die Behörden sich nicht mehr trauen, im Umfeld radikaler Gruppierungen ordentlich zu ermitteln. Minister Baum hat deswegen große Schuld auf sich geladen.'

Ulrich Chaussy

BR-Reporter Ulrich Chaussy: "Vertrauen von Informanten durch Vertrauen danken."

(Foto: Robert Haas)

Was war an dieser Aussage politisch so heikel? Ist das nicht der normale politische Schlagabtausch? Das Land stand immerhin kurz vor einer Bundestagswahl und Strauß war Kanzlerkandidat.

Weil es ausgerechnet Baum gewesen war, der die Wehrsportgruppe Hoffmann verboten hatte, während Strauß sie seit 1974 hatte gewähren lassen. Und das, obwohl es von der SPD- und FDP-Opposition im Landtag mehrfach Anfragen an die Innenminister gegeben hatte, mit dem Verweis auf die Gefährlichkeit dieser Gruppierung. Doch ob Alfred Seidl oder Gerold Tandler (bayerische Innenminister zwischen 1978 und 1982, Anm. d. Red.), beide haben jedes Mal dieselbe Leier gebetet: 'Wehrsport an sich ist nicht strafbar, Wehrsport mit verlöteten Waffen geht in Ordnung.' Alles, was Strauß gesagt und getan hatte, drohte ihm am Morgen des 27.September 1980 mit voller Wucht auf die Füße zu fallen.

"Es zeigt sich, dass sich Menschen doch noch erinnern"

Ulrich Chaussy, Daniel Harrich und Benno Fürmann bei den Dreharbeiten zu "Der blinde Fleck".

Ulrich Chaussy (Mitte) mit Regisseur Daniel Harrich (links) und Benno Fürmann (rechts) bei den Dreharbeiten zu "Der blinde Fleck".

(Foto: BR/Theresa Högner)

Wurden Sie vom Bayerischen Rundfunk bei Ihren Recherchen unterstützt oder eher behindert? Ihr Sender war zu der Zeit ja für seine Staatsnähe bekannt.

Am Anfang war das alles kein Problem. Als der Anwalt der Opfer, Werner Dietrich, die Behauptung aufstellte, es gebe ganz andere Tatzeugen, der Täter sei nicht allein gewesen, da habe ich versucht herauszufinden, wie mit den Zeugen gearbeitet worden war. Und ich stieß schnell auf Dinge, die Fragen aufwarfen. Als ich etwa bei zwei Zeugen feststellte, dass sie schon nach dem Oktober 1980 nicht mehr befragt worden waren, keine Lichtbildvorlagen, nichts. Oder als ich feststellte, dass der Hauptzeuge Frank Lauterjung während der Ermittlungen verstirbt und die nehmen davon überhaupt keine Kenntnis.

Diese Erkenntnisse konnten Sie alle ungestört im Bayerischen Rundfunk verbreiten?

Ja, weil das ja alles ohnehin in der Welt war. Der Werner Dietrich genauso wie die Zeugen. Nur als dann daraus auch noch Staatsschutzgeschichte mit den besagten Behinderungen der Ermittlung durch den bayerischen Staatsschützer wurde, da wurde es für mich schwierig. Entsprechende Berichte hätten mich meinen Job beim Bayerischen Rundfunk kosten können.

Nicht allen im Freistaat haben Ihre Ermittlungen gefallen, das zeigt auch der Film. Sie haben all Ihre Erkenntnisse aber schon 1985 in dem Buch "Oktoberfest. Das Attentat" veröffentlicht und von da an auch im Bayerischen Rundfunk darüber berichten können. Warum ging das dann doch?

Wenn bei solchen Geschichten noch nicht alles abgerundet und beweisbar ist, und Sie veröffentlichen Berichte, die auf vertraulichen Dokumenten beruhen, dann werden in der Öffentlichkeit immer die Spekulationen darüber in den Vordergrund gezogen, wie Sie an die Informationen gekommen sind. Die Botschaft spielt keine Rolle mehr, der Bote wird erschlagen. Wenn Sie aber an den Punkt kommen, dass die Botschaft veröffentlicht ist, wie in meinem Fall in dem 1985 bei Luchterhand erschienen Buch, und die Sache konnte nicht widerlegt werden, dann sind Sie fein raus. Das Buch übrigens ist jetzt neu und erweitert erschienen: "Oktoberfest. Das Attentat - Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann".

Dann haben Sie ja nicht mehr recherchiert, zumindest im Film nicht.

In der Wirklichkeit schon.

Mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt haben Sie kaum noch gerechnet, zumindest haben Sie das immer wieder gesagt. Nun ist es doch so gekommen. Glauben Sie dass man nach 35 Jahren noch Mittätter Köhlers ermitteln kann?

Es gibt eine Parade unwiederbringlich verpasster Chancen: Ich erinnere an die vielen Zeugen, die 1980 Begleiter Köhlers gesehen haben - und mit denen man nach kurzer Zeit nicht mehr gearbeitet hat, als die Ermittler sich auf die Einzeltätertheorie festgelegt hatten. Ich erinnere mich an den Skandal, die Asservate dieses 13-fachen Mordfalles zu vernichten. Dabei verjährt Mord nie. Aber: Es zeigt sich, dass sich Menschen doch noch erinnern, und wenn sie jetzt auch das Gefühl vermittelt bekommen: Ihre Erinnerung zählt und wird ernstgenommen, dann gibt es Hoffnung, dass die Mittäter und Hintermänner des Oktoberfestattentates vielleicht doch noch ermittelt werden können.

Der blinde Fleck - Das Oktoberfestattentat, ARD, 20.15 Uhr

Attentäter - Einzeltäter?, Doku zum Film, ARD, 21.45 Uhr

Web-Dokumentation Das Oktoberfest-Attentat. Spurensuche auf der Website des Bayerischen Rundfunks

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