Pressefreiheit in Saudi-Arabien:Ein barbarisches Exempel

Pressefreiheit in Saudi-Arabien: Weltweit regt sich der Protest gegen die grausame Strafe für Raif Badawi.

Weltweit regt sich der Protest gegen die grausame Strafe für Raif Badawi.

(Foto: Youtube)

Seit seiner Verurteilung zu 1000 Peitschenhieben ist der Blogger Raif Badawi der bekannteste Häftling Saudi-Arabiens. Seine Frau hat den neuen König um Gnade gebeten. Viel Grund zur Hoffnung hat sie nicht.

Von Tomas Avenarius

Manchmal abends, bevor sie einschläft, denkt sie, es wäre am einfachsten, irgendein ausländischer Staatsmann würde ihr Land besuchen, ein vernünftiges Wort mit dem König reden und ihren Mann dann mitnehmen, außer Landes schaffen. Aber so leicht, das weiß Ensaf Haidar, ist das nicht: Ihr Ehemann Raif Badawi ist inzwischen mehr als Saudi-Arabiens bekanntester Gesinnungshäftling. Den fragwürdigen Ehrentitel dürfte der Blogger jetzt weltweit tragen. Für das Königshaus ist er zur personifizierten Prinzipienfrage geworden. Das Schicksal Badawis sorgt international für Aufsehen, weniger wegen der vermeintlichen Tat als wegen der realen Strafe. 1000 Peitschenhiebe, öffentlich, freitags nach dem Gebet vor der Moschee.

In Saudi-Arabien schmerzt Widerrede den, der sie übt.

Der Fall ist bekannt. Der 31-jährige Aktivist und Blogger Badawi, der das Königshaus vor gut zwei Jahren mit seinem Internetforum Die saudischen Liberalen herausgefordert und die Macht der islamischen Gelehrten infrage gestellt hatte, soll als verurteilter "Beleidiger des Islam durch elektronische Mittel" die ganze Härte des Gesetzes spüren. Zehn Jahre Haft, umgerechnet 200 000 Euro Geldstrafe und eben jene 1000 Peitschenhiebe: 20 mal 50 Schläge, verteilt auf ein gutes halbes Jahr. Ein selbst für saudische Maßstäbe barbarisches Vorgehen, wie nicht nur der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung zu Protokoll gab, nachdem die Strafe am 9. Januar das erste - und bisher letzte Mal - vollzogen wurde. Für Amnesty International war es der Beweis, "dass Saudi-Arabien in erschreckender Weise selbst die grundlegendsten Menschenrechtsprinzipien missachtet".

"Er sagt mir, dass es ihm nicht gut geht", sagt Badawis Frau über seine Anrufe aus dem Gefängnis

Badawis Ehefrau Ensaf Haidar, Menschenrechtler sowie Regierungen weltweit setzen nun auf öffentliches Aufsehen oder diplomatischen Druck, auf Kampagnen, Demonstrationen und Pfeifkonzerte vor Riads Botschaften oder scharfe Erklärungen aus den Hauptstädten. Saudi-Versteher wie die liberale Journalistin Somayya Jabarti hingegen bevorzugen diskrete Gespräche hinter verschlossenen Türen. Sie betrachten die zweimalige Aussetzung der Körperstrafe aus angeblich medizinischen Gründen als gutes Zeichen: Die Regierung öffne sich da erkennbar eine Hintertür, mit der sie sich "gesichtswahrend aus der Affäre ziehen" könnte. Am Telefon widerspricht Badawis Ehefrau: "Das stimmt nicht. Die Schläge sind nur aufgeschoben worden, sie sind nicht aufgehoben."

Derzeit jedenfalls herrscht Stillstand. Wie es Badawi wirklich geht, weiß keiner so richtig. Ab und an ruft der Häftling seine Ehefrau aus dem Gefängnis an, "es sind Gespräche von zwei, drei Minuten. Er sagt mir, dass es ihm nicht gutgeht, er leidet an hohem Blutdruck. Natürlich ist er von den Peitschenhieben verletzt. Aber er spricht nicht darüber." Die Ehefrau, die mit ihren drei Kindern inzwischen in Kanada lebt und dort Asyl sucht, sagt, man habe der saudischen Botschaft 100 000 Unterschriften für einen Gnadenerweis geschickt: keine Antwort, kein Resultat. "Ich bin nicht optimistisch, dass Raif freikommt."

So spricht alles dafür, dass an dem widerspenstigen Blogger ein Exempel statuiert wird, eine Warnung an die internetaffine Jugend in einem Land, in dem 70 Prozent der Menschen jünger als 30 Jahre alt sind. Schon Saudi-Arabiens kürzlich verstorbener König Abdullah, der im Ruf des vorsichtigen Reformers stand, hatte dem heute 31-jährigen Blogger und Macher der Saudischen Liberalen keine Gnade erwiesen. Das Wort "liberal" hat in der arabischen Welt einen üblen Beiklang. In den Augen vieler steht es für Säkularismus und damit für Gottlosigkeit. Beim Prozess hat das dann auch eine Rolle gespielt, aus Sicht hartleibiger saudischer Prediger und Islamgelehrter hätte Badawi noch härter bestraft werden müssen. Der junge Aktivist habe Christen, Juden und Muslime gleichgestellt, den Überlegenheitsanspruch des Islam infrage gestellt. Das, so die Richter, komme einer Infragestellung des Islam insgesamt gleich, worauf die härtesten Strafen stünden bis hin zum Tod.

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Zeichen des Protests vergangene Woche vor der saudischen Botschaft in Berlin.

(Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Dass sich die vollständigen Protokolle des Badawi-Blogs nach mehr als zwei Jahren im Internet nicht mehr auffinden und die angeblich gotteslästerlichen Äußerungen sich daher nicht zweifelsfrei belegen lassen, scheint die Richter wenig gestört zu haben. Ebenso, dass Badawis Kritik offenbar nicht der Religion selbst, sondern der in ihrem Namen gemachten Politik gegolten hat: Er soll die mächtigen Religionsgelehrten kritisiert haben, die in Saudi-Arabien weniger über einen zeitgemäßen Islam nachdenken als darüber, wie sie ihre puritanischen Moralvorstellungen als gottgewollt verkaufen können. So trügen sie bei zum Machterhalt des Königshauses.

Politik am Golf ist ein bigottes Tarieren

Wohl deshalb hatte der gerade verstorbene König Abdullah zugelassen, dass der Körperstrafen-Teil des Urteils vollzogen wird. Der König lag da schon auf dem Sterbebett, entschieden haben werden demnach andere. Der als Scharfmacher und Anti- Terror-Kämpfer bekannte Innenminister Mohamed Bin Naif etwa, die undurchsichtige Entourage am Hof, die Geistlichen natürlich.

Politik im Königreich am Golf ist weniger ein Geben und Nehmen als ein ewiges, ziemlich bigottes Tarieren, ein Verschieben vermeintlich islamischer Gewichte und Gegengewichte. Eine Uni für die Frauen hatte König Abdullah gebaut, trotz Protesten ein Post-Graduate-Institut dazu, in dem Frauen und Männer gemeinsam forschen. Das Autofahren hat er den Frauen dennoch beharrlich verweigert, es ist der ewige saudische Balanceakt, das Perpetuum Mobile einer sich gelegentlich selbst karikierenden Reformpolitik mit ihren dauernden Zugeständnissen an die Konservativen. Badawi könnte leicht als nützliches Gegengewicht im Bemühen um minimale Reformen und die versuchte Modernisierung von oben enden: ein Bauernopfer zur Beruhigung der Hardliner, falls denn auch der neue König Salman wirkliches Interesse an einer Fortsetzung der ultralangsamen Reformpolitik Abdullahs hat.

SAUDI ARABIAN BLOGGER FLOGGING

Ensaf Haidar zweifelt daran, dass ihr Mann freikommt: "Ich bin nicht optimistisch."

(Foto: Cole Burston/dpa)

Alle Hoffnung knüpft sich jedenfalls an den Nachfolger auf dem Thron, den ebenfalls greisen Salman. Der neue Herrscher kann zum Amtsantritt eine Amnestie für Hunderte Häftlinge aussprechen, solch termingerechter Großmut hat Tradition im Königreich. Badawis Ehefrau hat den Monarchen über die BBC bereits wissen lassen, dass er doch bitte einen Gnadenerweis aussprechen soll. Passiert ist bisher wenig. Salman soll zwar eine generelle Amnestie eingeleitet haben, ob auch Badawi darunter fällt, ist aber unklar.

Drei Hinrichtungen in einer Woche - eine Abkehr von Körperstrafen sieht anders aus

Einiges spricht dagegen. Seit Salman den Thron bestiegen hat, sind mindestens drei Menschen hingerichtet worden, öffentlich, geköpft mit dem Schwert. Die mittelalterliche Exekutionsmethode wird seit Jahren weltweit angeprangert, was die Saudis nicht weiter schert. Eine Abkehr vom Gebrauch der Körperstrafen, ob mit der Peitsche oder dem Henkersschwert, sähe jedenfalls anders aus als gleich drei Hinrichtungen in nur einer Woche unter dem neuen König.

Die Hoffnung auf Gnade für den Internetaktivisten Badawi hält sich also in Grenzen. Innenminister Naif, bekannt für Härte gegenüber Aktivisten, Dissidenten und Freigeistern, ist durch den Thronwechsel noch mächtiger geworden. Und der Prinz - in diesem Land sind alle Spitzenpolitiker Prinzen - hat mit dem Blogger möglicherweise sogar eine Rechnung offen, indirekt jedenfalls. Badawis Anwalt beim Prozess wegen der angeblichen Islam-Beleidigung war der bekannte Menschenrechtler Walid Abulkheir - und der ist mit Badawis Schwester Samar verheiratet. Der Anwalt steht seit Jahren selbst für den gelebten Ein- und Widerspruch, er sitzt derzeit ein, verurteilt zu 15 Jahren Haft.

Möglicherweise sieht der saudische Staatsapparat in der Badawi-Familie inzwischen eine regelrechte Dissidentensippe, als seien die unterschiedlichen Fälle ein Paket. Denn auch auf Badawis Schwester Samar wird der Polizeiminister schlecht zu sprechen sein: Sie hatte den Innenminister in ihrer Rolle als Menschenrechtsaktivistin zu verklagen versucht - wegen seines Vorgehens gegen autofahrende Frauen.

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