Jordanien und IS:Aufruhr in der Oase der Ruhe

Activists protest in Amman, after the release of a video purportedly showing Islamic State captive Jordanian pilot Kasaesbeh being burnt alive

Ruf nach Rache: In Amman fordern Demonstranten Vergeltung für den Mord an einem Piloten der jordanischen Luftwaffe.

(Foto: Ahmad Abdo/Reuters)
  • Nach der Veröffentlichung der schockierenden Bilder vom Flammentod eines jordanischen Piloten ist das ganze Land in Wut vereint.
  • Ursprünglich waren die Jordanier dem Kampf ihres Landes gegen die IS-Terrormiliz gegenüber skeptisch eingestellt, nun hat sich die Stimmung jäh geändert.
  • Das ganze Land fordert Rache, darunter der Vater des getöteten Piloten. Plötzlich findet sich die Regierung in der Rolle als Getriebene wieder.
  • Nun stellt sich die Frage, ob Jordaniens König etwas anderes übrig bleibt, als sich noch tiefer in den Kampf gegen IS zu verstricken.

Von Ronen Steinke

Die erste Reaktion der jordanischen Regierung ist von tödlicher, geradezu mechanischer Logik. Um vier Uhr morgens am Mittwoch legt der Henker im Swaka-Gefängnis südlich der Hauptstadt Amman zuerst einer Frau, dann einem Mann die Schlinge um den Hals, zwei verurteilten Dschihadisten: der Irakerin Sadschida al-Rischawi und dem Al-Qaida-Mann Siad Karbuli.

Für die Islamisten werden sie nun Märtyrer sein, vor allem al-Rischawi, die sich 2005 zusammen mit ihrem Mann in einem Hotel in Amman in die Luft sprengen wollte. Ihr Mann führte den Anschlag aus, 38 Menschen starben. Sie indes hatte den Zünder ihres Sprengstoffgürtels in letzter Sekunde nicht betätigen können.

Zwei Hinrichtungen, um die Ermordung eines Kriegsgefangenen zu vergelten

Noch wenige Stunden vor ihrer Hinrichtung hatte Jordanien angeboten, beiden Delinquenten die Freiheit zu schenken, im Austausch gegen einen Piloten der königlichen Luftwaffe, den die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) festhielt. Aber der Pilot ist tot, wie man jetzt weiß, ermordet auf bestialische Weise. Also gibt es keinen Deal. Und so verrichtet der Henker im Swaka-Gefängnis bei Morgengrauen sein Werk.

Seit zwölf Stunden verbreiten die Dschihadisten da bereits ein Video im Netz, das die Wut in der jordanischen Bevölkerung hochkochen und den Ruf nach noch wesentlich radikaleren Antworten laut werden lässt. Es zeigt, wie das Leben des 26 Jahre alten Piloten endet, und es ist von einer Grausamkeit, auf die niemand vorbereitet war. Offenbar in Benzin getränkter Kleidung wartet der Todgeweihte in einem Metallkäfig, bis ein maskierter Dschihadist mit einer Fackel Feuer legt und eine Flammenspur auf den Käfig zurast. Das Opfer verbrennt bei lebendigem Leib.

Zwei Hinrichtungen am Galgen, um die Ermordung eines Kriegsgefangenen zu vergelten: Die erste Reaktion der Regierung ist noch relativ nah an dem, was das Völkerrecht als Repressalie toleriert. Obendrein wahrt sie den Anschein der Rechtsstaatlichkeit, weil die Regierung schon im Dezember die Todesstrafe wieder aktiviert hatte, mit gleich elf Hinrichtungen im ersten Monat, nach acht Jahren Moratorium.

Doch wenige Stunden danach ist die Zeit der gemessenen Antworten und des Anschein-Wahrens in Jordanien auch schon vorbei, und die Regierung, die bislang eine kriegsskeptische Bevölkerung gegen sich hatte, findet sich plötzlich in einer neuen Rolle als Getriebene wieder.

Jordanien jagt angebliche IS-Mitglieder

Als die Sonne aufgeht, hat sich der Vater des jordanischen Piloten zu Wort gemeldet, Safi Kasasbeh, ein einfacher Mann aus der Stadt Kerek, der allerdings einem einflussreichen Stamm angehört, den Bararsheh. Seit Wochen hatte er auf allen Kanälen an die Regierung appelliert, seinen Sohn endlich freizukaufen. Er erklärt nun: Zwei Hinrichtungen genügten nicht, um den Tod seines Sohnes zu sühnen.

Schnell melden sich weitere, die meinen, in Jordaniens Gefängnissen gebe es noch viele weitere Dschihadisten, die man exekutieren solle. Mit Extremisten hat Jordanien bisher ein geringeres Problem als viele Nachbarländer. Das liegt vielleicht auch daran, dass der Sicherheitsapparat angebliche IS-Mitglieder erbarmungslos jagt, vor allem in der seit Jahrzehnten benachteiligten Region Maan, wo wütende junge Männer in den Siebzigerjahren zu den Kommunisten gingen und heute zu den Bärtigen.

Zunächst gab es Proteste gegen den Anti-IS-Einsatz, nun ändert sich der Ton

Das Land erfreute sich bisher relativer Ruhe. Die USA haben hier ihren wichtigsten Partner in der Region, die stabile Oase, was Ägypten nicht mehr ist. König Abdallah II. herrscht autoritär, aber zum Gefallen des Westens, und er versteht es weitestgehend, sich aus Konflikten herauszuhalten.

Jordanien, dieses kleine, rohstoffarme Land mit offiziell sechs, in Wahrheit eher acht Millionen Einwohnern, ist auch durch die Stürme des Arabischen Frühlings mit eingezogenem Kopf und großteils unbeschädigt hindurchgekommen: Nicht einmal die gebildete Jugend in den Großstädten hat es lange für klug gehalten, den König zu attackieren, weil man ringsum sah, wie die Staaten zerfielen.

Als die Regierung des Königs sich im vergangenen September der Anti-IS-Koalition anschloss, gab es Proteste auf den Straßen, auch von einigen Parlamentsabgeordneten, die eine westlich angeführte Intervention gegen Muslime ablehnten. Solche Kritik dauerte auch an, als der jordanische Pilot bereits in die Hände der IS-Kämpfer gefallen war. Immer wieder ließen die oppositionellen Muslimbrüder anklingen: Schuld an dieser Geiselnahme sei auch die jordanische Regierung, weil sie einen Pakt mit dem Westen eingegangen sei.

Nun aber ändert sich der Ton. Der Regierungssprecher Mohammed al-Momani - bisher darin geübt, das militärische Engagement seiner Regierung vor der eigenen Bevölkerung kleinzureden - hat eine "erdbebenähnliche Vergeltung" gegen den IS angekündigt. Der Sprecher der unteren Kammer des Pseudoparlaments, Ates Taraweneh, sagt: Mit dieser Bluttat zeige der IS sein wahres Gesicht als Verbrecherbande.

Und König Abdallah II. selbst kündigte am Mittwoch einen "gnadenlosen Krieg" gegen die Extremisten an.

Selbst die Muslimbrüder wagen es gerade nicht, den König zu kritisieren

Es fällt auf, dass selbst die Muslimbrüder nur ihr Entsetzen über die "unmuslimische", verdammungswürdige Tat des IS ausdrückten, aber keine Kritik mehr an der Regierung. "Es dreht sich der politische Wind", sagt die Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Amman, Anja Wehler-Schöck.

Zweierlei ist den Jordaniern nun deutlich geworden, erklärt eine Ammaner Journalistin: nicht nur die Unmenschlichkeit des IS, sondern auch die Tatsache, dass man mit ihm nicht verhandeln könne. Die Dschihadisten hätten mit falschen Karten gespielt, so verbreitet es zumindest die jordanische Regierung am Mittwoch, wenn auch noch ohne Belege.

"Das Blut unseres Helden wird nicht umsonst vergossen worden sein"

Man habe Erkenntnisse, denen zufolge der Pilot bereits am 3. Januar ermordet worden sei, was der IS aber in den Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch schlicht verschwiegen habe. Die Folge: Zu Verhandlungen dürften die Jordanier künftig noch weniger bereit sein als vorher.

Jordanien ist ein "Ölstaat ohne Öl", wie es ein westlicher Beobachter in Amman ausdrückt: Das Geld, das der König mit beiden Händen an unzählige Staatsangestellte verteilt, kommt zum größeren Teil aus Saudi-Arabien und den USA. Sie stützen damit das Regime des Königs, die einen aus Solidarität mit einem loyalen Monarchen, dessen Fall auch für sie selbst ein Menetekel wäre.

Die anderen aus Interesse an einem arabischen Land, das sich als Makler für den Westen anbietet und einen Friedensvertrag mit Israel hat. Jordaniens König konnte deshalb gar nicht anders, als mitzumachen bei der amerikanisch-saudischen Militärkoalition gegen den IS.

Ob er nun anders kann, als sich noch tiefer in diesen Kampf hinein zu verstricken? Die Vereinigten Arabischen Emirate, eines der drei arabischen Länder, die sich neben Jordanien noch an den Luftangriffen der Anti-IS-Koalition beteiligen, haben zwar kürzlich den Rückzug vorgemacht - just unter Verweis auf das Schicksal von Muaz Kasasbeh und die Sorge um ihre eigenen Piloten. In Jordanien aber ließ ein Militärsprecher am Mittwoch wissen: "Das Blut unseres Helden und Märtyrers wird nicht umsonst vergossen worden sein."

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