Urteil gegen Bayern-Profi Boateng:Notbremse vor Gericht

FC Bayern Muenchen v FC Schalke 04 - Bundesliga

Rot für Jérôme Boateng (re.).

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Ein Spiel Sperre, wenn der Elfmeter reingeht, zwei Spiele Sperre, wenn der Torwart pariert: Das Notbremse-Urteil gegen Jérôme Boateng löst Debatten aus. Dabei ist die Regel uralt. Bedenklich an dem Fall ist etwas anderes.

Kommentar von Claudio Catuogno

Fußball ist ein ernstes Geschäft, weshalb die Wahrheit nicht nur aufm Platz, sondern oft auch vor Gericht zu suchen ist. So musste etwa der Angeklagte Jérôme B., 26, der in München einer geregelten Tätlichkeit, äh, Tätigkeit als Verteidiger nachgeht, schon häufiger in diesem Saal in Frankfurt erscheinen, in dem ihm gerade wieder der Prozess gemacht wurde. Er gilt als Wiederholungstäter im Rotkarten-Milieu. In der Regel ist B. geständig.

Aber Juristerei ist nun mal Juristerei, da kann ein Richter nicht sagen: Jérôme, passt schon, und danke übrigens für deine großartigen Grätschen kürzlich bei der WM! Er kann lediglich den konkreten Fall auf die Frage hin abklopfen, ob sich bei der Strafzumessung Sanktionsmilderungsgründe in Anwendung bringen lassen. Puh - Spaß ist was anderes.

Man darf Hans E. Lorenz, dem Vorsitzenden des DFB-Sportgerichts, zugute halten, dass er der Materie der Fußballkriminalität (rohes Spiel, Unsportlichkeit) mit Humor begegnet. Als er einst das Phantomtor von Stefan Kießling zu begutachten hatte, begrüßte er den Leverkusener mit dem Satz, nun habe dieser ja doch eine Einladung vom DFB erhalten. Eine lustige Anspielung auf die ewige Missachtung des Stürmers durch den Bundestrainer. Und als der Richter nun die Sperre gegen Jérôme Boateng wegen seiner Notbremse gegen Schalke von drei auf zwei Spiele reduzierte und den Bayern-Verteidiger darüber aufklärte, dass es noch ein Spiel weniger geworden wäre, wenn Manuel Neuer den Strafstoß des Schalkers Choupo-Moting nicht pariert hätte, fragte Lorenz schelmisch: "Hat Neuer was gegen Sie?"

Aber jetzt hat auch Hans E. Lorenz erkennen müssen, wo im Fußball der Spaß aufhört. Sein Spruch wird als "Unsinns-Urteil" verunglimpft, auch das Rechtsempfinden der Kurven hat Lorenz gegen sich: Ist Notbremse nicht gleich Notbremse? Kann man Boateng dafür bestrafen, dass Choupo-Moting nicht zielen kann? Und: Müssten dann die Torhüter - in bereits entschiedenen Partien - Elfmeter nicht absichtlich reinlassen, um ihren Kameraden die Sperren zu verkürzen?

Nun, die Regel sieht so aus: Jede Notbremse wird mit zwei Spielen Sperre bestraft - so wie jetzt bei Boateng. Will man noch weniger, braucht man einen Minderungsgrund. Etwa jenen, dass der Täter das Ziel der Notbremse, nämlich ein Tor zu verhindern, nicht erreicht hat. Nur wenn der Elfmeter drin ist, liegt dieser Minderungsgrund vor. Das ist in etwa so, wie man auch weniger lange in den Knast kommt, wenn man zwar eine Bank überfällt - aber leider sind im Tresor gerade keine Scheine, weshalb man sein Ziel, ein paar Millionen Beute, nicht erreicht hat.

Die ursprünglich verhängten drei Spiele Sperre sollte Boateng übrigens als Wiederholungstäter erhalten - allerdings hat der DFB den Wiederholungstäter-Paragrafen bei Notbremsen kürzlich abgeschafft. Wenn man den Fall also ernst nimmt, müsste man nicht Lorenz' Elfmeter-Urteil kritisieren. Sondern, dass DFB-Chefankläger und DFB-Richter der ersten Instanz die eigenen Paragrafen nicht kennen.

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