TV-Duell zur Hamburg-Wahl:Scholz hat die Zahlen, Wersich die Pointen

TV-Duell zur Bürgerschaftswahl

Stellten sich den Fragen des Publikums: Herausforderer Dietrich Wersich von der CDU (links) und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz von der SPD

(Foto: dpa)

Er wird wohl auch in Zukunft Hamburgs Erster Bürgermeister sein. Trotzdem ist das TV-Duell gegen Dietrich Wersich für SPD-Kandidat Olaf Scholz kein Selbstläufer. Auch wenn sich sein Herausforderer einen Satz wie aus einer Tampon-Werbung leistet.

Von Hannah Beitzer, Hamburg

Dietrich - wer? Es steckt schon eine fiese Spitze in der Art und Weise, wie in der Wahlarena des NDR Dietrich Wersich anmoderiert wird. Wersich, Spitzenkandidat der CDU für die Hamburger Bürgerschaft, trifft hier auf den Ersten Bürgermeister Olaf Scholz. Ein ungleiches Duell. Denn jüngsten Umfragen zufolge zählt die CDU in der Hansestadt fast schon zu den kleinen Parteien, während sich Olaf Scholz über Beliebtheitswerte freuen kann, von denen die SPD anderswo nur träumt. 46 Prozent wollen einer Umfrage des NDR zufolge am Sonntag in Hamburg der SPD ihre Stimme geben. Bei der CDU sind es nur klägliche 18 Prozent. Das hätte die Wahlarena zu einer ziemlich öden Angelegenheit werden lassen können. Doch es kam anders. Das lag zum einen an dem ungewohnt angriffslustigen Kandidaten Wersich. Aber vor allem daran, dass die Idee der Publikumsbeteiligung diesmal voll aufging. Die Sendung im Check.

Das Format

170 Hamburger hat der NDR ausgewählt, das Duell zwischen Scholz und Wersich live im Studio zu begleiten. Sie sind dem Sender zufolge ein Querschnitt der Hamburger Bevölkerung, mit Hilfe der Meinungsforscher von Infratest dimap ausgewählt. Ihren Fragen müssen sich die Kandidaten stellen - und tatsächlich sind viele Aufregerthemen des Hamburger Wahlkampfs dabei. Zum Beispiel: Wie will Hamburg mit dem wachsenden Flüchtlingsstrom umgehen? Wie soll das Problem mit dem Verkehr gelöst werden? Was wollen die Parteien tun, um die Kinderbetreuung und die Bildung an den Hochschulen zu verbessern?

Die Kandidaten

Olaf Scholz: mit hohen Umfragewerten im Rücken

Seine Stärken: Olaf Scholz kann Zahlen. Große Zahlen, viele Zahlen. "Warum wird in meiner Nachbarschaft schon wieder ein Flüchtlingsheim gebaut?", fragt ihn zum Beispiel ein Zuschauer. Immerhin habe Hamburg im vergangenen Jahr Platz für 6000 neue Flüchtlinge schaffen müssen, erklärt Scholz. 300 Millionen Euro habe die Stadt für die Flüchtlinge ausgegeben - im Vergleich zu 60 Millionen Euro im Jahr 2011. Ähnlich funktioniert das mit den Kitas. Gleich zwei Kita-Mitarbeiterinnen beschweren sich in der Diskussion bei Scholz über die Zustände in ihren Einrichtungen. "Wir haben die Ausgaben von 400 Millionen auf 650 Millionen Euro erhöht", sagt er.

Wo es keine Zahlen gibt, listet er im selben Muster Maßnahmen auf. Die Busbeschleunigung zum Beispiel, die die SPD gerade in der ganzen Stadt umsetzt, ruft viel Protest hervor, wird als zu teuer und zu wenig effizient kritisiert. Scholz spricht dann erst einmal von bereits erzielten Erfolgen, dann von Ampelschaltungen, von barrierefreien Haltestellen, vom Ausbau einer Autobahn, von den Plänen der SPD, eine neue U-Bahn-Linie einzuführen, von der Verlängerung von S-Bahnstrecken. Bis an die Busse keiner mehr denkt.

Geschickt ist auch, dass er so nebenbei immer wieder darauf verweist, seine Versprechen einzuhalten. Und eben nie mehr zu versprechen als er leisten kann. So erteilt er etwa der Forderung nach einer besseren Betreuung für Flüchtlinge erst einmal eine Absage. Und die empörten Erzieherinnen vertröstet er mit einer Vereinbarung, die die Stadt mit den Trägern geschlossen hat - die allerdings Verbesserungen im Betreuungsschlüssel erst in einigen Jahren vorsehen. Das ist selten knackig, aber wirkt seriös.

Seine Schwächen: Zahlen sind ja schön und gut - aber sie genügen nicht immer. Wenn etwa ein Zuschauer nach der Integration von Flüchtlingen fragt, hilft es ihm wenig, zu wissen, wie viele Millionen Euro die Stadt im vergangenen Jahr für Unterkünfte ausgegeben hat. Da wirkt Scholz dann schnell ein wenig kühl. Er versucht das dadurch auszugleichen, dass er Dinge sagt wie: "Es gibt ganz viele wie Sie, das ist ganz großartig" zu einer Frau von einer Flüchtlingsinitiative oder "Sie leisten großartige Arbeit" zu einer wütenden Kita-Erzieherin. Zu Beginn wirkt das noch nett, dann irgendwann ein wenig aufgesetzt, wenn er auf die Frage nach der Integration zwar artig sagt: "Ich finde das Engagement, das in Ihrer Frage steckt, sehr wichtig." Und danach über alles, aber nicht über Integration redet. Und schließlich sogar unehrlich, wenn er auf die anhaltenden Klagen derselben Kita-Erzieherin schnappt: "Da sind Sie aber die Einzige, die das so sehen."

Dietrich Wersich: mit dem Mut der Verzweiflung

Seine Stärken: Die Ausgangslage für Dietrich Wersich ist denkbar ungünstig. Viele Hamburger kannten ihn bis vor kurzem nicht einmal. In dieser Situation macht der Herausforderer von Olaf Scholz das einzig Richtige: Er setzt auf Angriff. Wersich ist zwar kein brachial-brutaler Typ, doch an diesem Abend gibt er der Diskussion geschickt Tempo. Zum Beispiel, wenn er Scholz darauf hinweist, dass der Flüchtlingsstrom, von dem sich der Senat so überrascht zeigte, ja keineswegs über Nacht zustande kam. Oder wenn er Scholz vorhält, er hätte die Sorgen der Bürger über die Busbeschleunigung nicht ernst genommen, sei nicht zu den Bürgerversammlungen erschienen. "Das finde ich feige", ruft er. Und: "Wenn sich tausend Bürger versammeln, haben sie ein Anrecht darauf, dass die Regierung sich dem stellt."

Das Busbeschleunigungsprogramm geißelt er zur Freude der Zuschauer als "Verkehrsschikane". Er wirft Scholz außerdem vor, immer erst kurz vor den Wahlen auf die Bürger zuzugehen - wie zuletzt eben auf die Kita-Träger, die immerhin schon länger gegen die Überlastung ihrer Einrichtungen demonstrieren. "Wir können doch nicht künftig jedes Jahr wählen, nur damit die SPD vor der Wahl noch Fehler einsieht." Wersich beklagt außerdem hohe HVV-Preise und die Zustände an den Universitäten. Kurz: Er hakt alle Themen zielsicher ab, die Scholz schaden können. Und das sind nicht allzu viele.

Seine Schwächen: Die Schwäche Wersichs ist eigentlich die Schwäche der gesamten Hamburger CDU. Ein Zuschauer bringt sie in einer Frage auf den Punkt: "Wie kann jemand, der selbst zehn Jahre Gestaltungshoheit gehabt hat und damit nach Ansicht vieler Hamburger nicht wirklich erfolgreich war, auf einmal daherkommen und alles anders machen wollen?" Und in der Tat gilt die CDU weder als die Partei der Kita-Erzieherinnen noch als diejenige, die besonders gerne besonders viel Geld für Flüchtlinge ausgibt. Jedenfalls nicht im Vergleich zur SPD.

Und was das spezielle Hamburger Thema Verkehr angeht, kann Wersich über die Scholz-Schelte hinaus auch nicht punkten. Die CDU will eine Stadtbahn statt der Busbeschleunigung. Und hier kann Olaf Scholz wieder mit einer seiner Zahlen auftrumpfen: 70 Prozent der Hamburger sind gegen eine Stadtbahn, sagt er. Wersich gelingt es also, Olaf Scholz den ein oder anderen Schlag zu verpassen. Doch eigene inhaltliche Schwerpunkte kann er kaum setzen. Da müsste er vielleicht für das nächste Mal Zahlen-Nachhilfe bei Scholz nehmen. Aber klar, Wersich hat vier Jahre Opposition unter einer alleinregierenden SPD hinter sich - auf viele erfolgreiche eigene Initiativen kann er da nicht verweisen. Und so gerät auch Wersichs Abschlusssatz zu einem Statement wie aus einer Tamponwerbung: "Ich will dafür sorgen, dass Hamburg sauberer und sicherer wird."

Fazit: Es geht in der Wahlarena tief hinein in die Lokalpolitik - oder weiß außerhalb Hamburgs jemand, was es eigentlich mit der Busbeschleunigung auf sich hat? Doch gerade mit diesen Themen funktioniert das Format. Häufig wirkt es ja ein wenig schief, wenn ganz normale Menschen mit ihren ganz normalen Sorgen und den ganz normalen Leben im Fernsehen auf die große Politik treffen. Da tut es gut, wenn kleinteilige Stadtpolitik anstelle von schwammigen Wahlprogrammen diskutiert wird.

Scholz und Wersich treffen in der Wahlarena auf selbstbewusste Zuschauer, die sich damit auskennen, was jeden Tag auf der Straße vor ihrem Haus, in ihrem Viertel, in ihrer Kita passiert. Die sich nicht belehren oder abspeisen lassen, sondern auf ihren Fragen beharren. Und die im Zweifelsfall auch in Zukunft schnell im Rathaus stehen und protestieren, wenn es nicht so läuft, wie versprochen.

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