Illegale Youtube-Videos:Bändiger des Bösen

Illegale Youtube-Videos: Dieses Video ist in Deutschland nicht verfügbar

Dieses Video ist in Deutschland nicht verfügbar

(Foto: Screenshot: YouTube)
  • Bei Youtube kümmert sich ein Kontrollteam darum, dass keine unerwünschten oder illegalen Videos auf der Seite bleiben.
  • Die Aufgabe ist von Menschen aber kaum zu bewältigen: Pro Minute werden 300 Stunden Videomaterial hochgeladen.
  • In Deutschland werden so viele Videos gesperrt wie fast nirgendwo sonst auf der Welt.

Von Ann-Kathrin Eckardt und Mirjam Hauck

Es gibt Jobs, die etwas für Hartgesottene sind. Sherpa etwa. Oder Mordkommissar. Oder B-Promi-Assistent. Und es gibt Jobs, die nur etwas für wirklich Hartgesottene sind. Mitarbeiter bei Youtube zum Beispiel. Genauer gesagt: Mitarbeiter der Kontrollabteilung.

Wer diesen Job annimmt, wird schnell mit den Abgründen der Menschheit konfrontiert. In einer Art Endlosfilm sieht er, was eine Milliarde Youtube-Nutzer nicht sehen sollen: missionierende Nazis, triumphierende IS-Kämpfer, nackte Kinder, blutige Unfallopfer, geköpfte Journalisten. Zusammen mit gähnenden Kätzchen und den Justin Biebers von morgen schwappen sie auf die Plattform. 300 Stunden neue Videos. Jede Minute.

Kein Kontrollteam der Welt kann so viele Videos nach gewaltsamen, abstoßenden, hasserfüllten, gefährlichen oder pornografischen Inhalten scannen (und das ist nur ein kleiner Auszug aus dem Katalog der Youtube-Verbote). Das Problem ist: Maschinen können es leider auch nicht. Zwar könnte man sie darauf programmieren, entblößte Brüste zu erkennen, aber nicht darauf, auch den Zusammenhang zu erfassen. Eine nackte Brust in einem Sexvideo? Verboten. Eine nackte Brust in einer Brustkrebs-Doku ? Erlaubt. Das Augenzeugenvideo einer Schießerei? Erlaubt. Dieselbe Schießerei mit Hassaufruf? Verboten.

Youtube verlässt sich auf die Community

Also müssen Menschen ran. Die Kontrollabteilung trennt Gut von Böse - in einem ständigen Wettlauf gegen die Zeit. Denn schon ein paar Augenblicke reichen aus, um eine Anleitung zum Bombenbau zu verbreiten. Selbst wenn es dem Kontrollteam also gelänge, 12,5 Tage Material pro Minute zu sichten, es wäre viel zu langsam.

Youtube verlässt sich deshalb auf die Community und Hilfsorganisationen, die sich zum Beispiel in der rechten Szene auskennen. Sobald sie ein Video als "nicht angemessen" markieren, schauen die eigenen Kontrolleure genauer hin. Verstößt der Clip tatsächlich gegen die Richtlinien oder gegen die Gesetze einzelner Länder? Ist eine Alterssperre nötig? Muss der ganze Account gesperrt werden? In der Praxis funktioniert das System mal mehr, mal weniger gut. Während sich das Video von der Enthauptung des Fotoreporters James Foley wie ein ansteckendes Virus verbreitete, waren die Aufnahmen von der Enthauptung des Journalisten Steven Sotloff nach wenigen Minuten offline.

Wie viele Mitarbeiter bei Youtube tagtäglich mit der Bändigung des Bösen beschäftigt sind, darüber schweigt die Google-Tochter beharrlich. Besuche von Journalisten sind ebenso verboten wie Interviews mit den Kontrolleuren. Bestätigt wird von Youtube nur: Damit das Kontrollteam rund um die Uhr agieren kann, ist es verteilt auf drei Kontinente - Amerika, Asien und Europa, genauer gesagt: Dublin. An allen drei Orten sind die Teams aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzt, um möglichst viele der mehr als sechzig Youtube-Sprachen zu verstehen.

In Deutschland sind besonders viele Videos gesperrt

Auch die Anzahl der Videos, die schließlich gesperrt werden, hält Youtube geheim. Fest aber steht, dass die Zahlen von Land zu Land stark variieren. Das hängt vor allem mit den Gesetzen der Länder zusammen. In Thailand sind beispielsweise Bilder des Königs tabu, in Deutschland die Gesetze bei nationalsozialistischem Gedankengut besonders streng.

Und in Deutschland gibt es die Gema. Die "Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte" vertritt die Interessen von 68 000 Komponisten, Textautoren und Musikverlegern in Deutschland. Sie soll dafür sorgen, dass die Künstler ihren Anteil an den Einnahmen bekommen, die andere mit ihren Liedern erzielen. Das allerdings ist leichter gesagt als getan, denn während Youtube in mehr als 40 Ländern bereits Vereinbarungen mit Musikrechteverwertern geschlossen hat, tobt in Deutschland ein erbitterter Kampf. Youtube weigert sich zu zahlen, was die Gema fordert: mindestens 0,375 Cent pro abgespieltem Lied.

Ganze sechs Jahre dauert der Streit nun schon - inzwischen beschäftigt er drei Gerichte. In München hat die Gema Youtube auf 1,6 Millionen Euro Schadensersatz verklagt. In Hamburg soll ein Gericht klären, ob Plattformbetreiber überhaupt für die Inhalte auf ihrer Seite haften. Und ebenfalls in München verbuchte die Gema im vergangenen Jahr einen Etappensieg, als das Landgericht Youtube dazu zwang, den Text der berüchtigten Sperrtafeln zu ändern. Bis zu diesem Urteil wies Youtube in der Ansicht, die der Nutzer anstatt des Musikvideos sah, darauf hin, dass die Gema die "erforderlichen Musikrechte nicht eingeräumt hat". Jetzt heißt es, das Video könnte Musik enthalten, über deren Verwendung "wir uns mit der Gema bisher nicht einigen konnten".

In "guten Gesprächen" mit der Gema

Die Auswirkungen des Streits: Das betrübte rote Strichgesicht taucht in Deutschland wesentlich häufiger auf als in anderen Ländern. Zwar gibt es keine offiziellen Zahlen, wie viele Videos aus Urhebergründen in Deutschland gesperrt werden, aber eine Statistik von OpenDataCity, einer Agentur für Datenjournalismus, zeigt: In keinem anderen Land der Welt wurden 2013 so viele Videos gesperrt wie in Deutschland (Länder wie China, in denen Youtube erst gar nicht ins Land darf, einmal ausgenommen). Die Sperrquote unter den tausend beliebtesten Clips lag bei 61,5 Prozent.

Zum Vergleich: Afghanistan (4,4 Prozent), USA (0,9 Prozent), Österreich (1,1 Prozent), Vatikan (5,1 Prozent), Südsudan (15,2 Prozent). An den deutschen Zahlen dürfte sich nicht viel geändert haben. Zwar sind einige der bisher gesperrten Musikvideos mittlerweile über die Plattform Vevo, an der auch Google beteiligt ist, bei Youtube zu sehen. Aber wie lange noch, ist fraglich. Vevo profitiert als Neuling von einem Gema-Einsteigertarif - wie anfangs auch Youtube.

Gegen das Sperrtafel-Urteil hat Youtube übrigens Berufung eingelegt. Trotzdem versichern beide Seiten, man sei zurzeit in guten Gesprächen. Bis aus den guten Gesprächen eine Einigung wird, so lange sperrt Youtube in Deutschland weiterhin fast alle Musikvideos - und zwar leider ganz automatisch. Den Traumjob Musikvideo-Sperrer gibt es nicht.

In der ersten Version des Artikels hieß es, dass die Gema Youtube auf 1,6 Milliarden Euro Schadensersatz verklagt hat. Das ist falsch. Es handelt sich um 1,6 Millionen Euro.

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