Grippeimpfung:Enfant terrible der Impfstoffe

Grippeschutzimpfung im Landtag in Mainz

Die Grippeimpfung ist noch immer sinnvoll.

(Foto: dpa)

Derzeit werden 80 Prozent der Grippe-Infektionen von einem Virustyp verursacht, gegen den der Impfstoff kaum schützt. Das Beispiel zeigt, wie wichtig neue Wirkstoffe sind. Ideen gäbe es genug, nur mit der Finanzierung halten sich die Pharmafirmen vornehm zurück.

Ein Kommentar von Kai Kupferschmidt

In einigen Tagen treffen sich in Genf wieder Experten, um die Zukunft vorherzusagen. Sie müssen schätzen, welche Varianten des Grippevirus in neun oder zehn Monaten wohl das größte Risiko darstellen werden. Auf der Grundlage ihrer Prognose produzieren Pharmafirmen dann Hunderte Millionen Dosen Impfstoff für die am Ende dieses Jahres zu erwartende, nächste Grippesaison.

Dieses System ist das beste, was derzeit möglich ist, doch ist es fehleranfällig. Was passiert, wenn die Experten falsch liegen, lässt sich zurzeit beobachten. Einer der Stämme, vor dem der aktuelle Impfstoff schützen soll, ein Virus vom Typ H3N2, hat sich in den vergangenen Monaten verändert, und nun grassiert eine Variante des Virus, welche die Forscher nicht auf dem Zettel hatten. In Deutschland verursacht dieser Virustyp zurzeit 80 Prozent der Infektionen. Der Impfstoff schützt davor kaum.

Erneut zeigt sich, dass der Grippeimpfstoff so etwas wie das Enfant terrible unter den Vakzinen ist. Er braucht ständige Betreuung, und häufig tut er trotzdem nicht, was er soll. Selbst wenn die Experten Monate vor der nächsten Infektionswelle auf die richtigen Varianten getippt haben, schützt der Grippeimpfstoff nur einen Teil der Geimpften. Ausgerechnet ältere Menschen sind nur mit 40 bis 70 Prozent Sicherheit immun. Das ist verheerend bei einer Krankheit, die allein in Deutschland im vergangenen Winter mehr Menschen getötet hat als der jüngste Ebolaausbruch in ganz Westafrika.

Ein bisschen Schutz ist besser als keiner

Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen und Schwangere sollten sich dennoch weiterhin impfen lassen. Der Impfstoff ist gut verträglich, und ein bisschen Schutz ist besser als keiner. Möglicherweise schützt der Impfstoff sogar jene, die dennoch erkranken, vor einem besonders gefährlichen Verlauf.

Doch die aktuellen Probleme sind auch eine Warnung, dass endlich mehr Geld in die Entwicklung besserer Grippeimpfstoffe investiert werden sollte. Ideen gibt es genug: Neue Wirkstoffverstärker, die das Immunsystem anstacheln. Impfstoffe, die jene Teile des Grippevirus angreifen, die sich kaum verändern. Das würde die alljährliche Impfung überflüssig machen. Doch für die Weiterentwicklung dieser Ideen sind große, teure Studien mit vielen Probanden nötig. Zu komplex ist das Wechselspiel des menschlichen Immunsystems mit den Grippeviren, auf die es Jahr für Jahr trifft.

Noch ist nicht klar, welcher Weg zum universellen Grippeimpfstoff der beste ist, und so halten sich die Pharmafirmen, die mit den nur teilweise wirksamen Vakzinen genug Geld machen, vornehm zurück. Wie bei der Suche nach neuen Antibiotika sollte die öffentliche Hand auch hier die Forschung gezielt unterstützen. Dann könnten die Experten versuchen, die Zukunft nicht nur vorherzusagen, sondern sie zu verbessern.

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