Berlinale-Gewinner Jafar Panahi:Zur seelischen Genesung ein Goldener Bär

Seit Jafar Panahi in seiner Heimat einem Berufsverbot untersteht, haben Preise für den iranischen Regisseur immer eine politische Dimension. Der Goldene Bär für seinen Berlinale-Beitrag "Taxi" geht aber auch künstlerisch in Ordnung.

Von Paul Katzenberger, Berlin

Der größte Preis des Abends wird bei Gala-Veranstaltungen immer erst ganz am Schluss verkündet. Allein schon, um einen Spannungsmoment zu schaffen, der sich dann mit voller Kraft entladen kann. Bei der Preisverleihung der diesjährigen Berlinale hätte Jury-Präsident Darren Aronofsky das Schlusswort allerdings nicht mehr ergreifen müssen, denn er sprach nur das aus, was jeder im Berlinale-Palast ohnehin schon wusste: Dass der Goldene Bär in diesem Jahr an Jafar Panahi für seinen Film "Taxi" gehen würde.

Das war Sekunden zuvor klar geworden, als die Jurorin Claudia Llosa den letzten der mindestens sieben zu vergebenden Silbernen Bären dem Chilenen Pablo Larraín für sein Drama "El Club" zuerkannt hatte. Panahis Name war bis dahin nicht gefallen. Und dass der Iraner ganz ohne Preis bleiben würde - das war schlicht undenkbar. Das wäre selbst dann ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, wenn "Taxi" nicht so humorvoll und geistreich ausgefallen wäre, wie sich der Film tatsächlich darstellt.

Denn Auszeichnungen für Panahi gebieten sich für Berlinale-Jurys fast von selbst, allein um ihm Solidarität zu signalisieren: Der 54-Jährige unterliegt in seinem Heimatland seit Jahren einem Hausarrest und Berufsverbot.

Ihn mit Preisen zu bedenken, ist eine der wenigen Möglichkeiten, die politisch motivierte Gängelung des Filmemachers durch das Mullah-Regime wirkungsvoll zu missbilligen. Bereits für "Parde" ("Closed Curtain"), seinen Wettbewerbsbeitrag von 2013, war ihm ein Silberner Drehbuch-Bär verliehen worden, wobei dieser Film den Kritikern deutlich weniger gefallen hatte als sein diesjähriger Beitrag.

Am ehesten ein verzweifelter Aufschrei

Media take pictures of Golden Bear for Best Film awarded to Iranian film director Panahi during news conference following 65th Berlinale International Film Festival in Berlin

Verleihung in Abwesenheit: der Goldene Bär für Jafar Panahi und seinen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag "Taxi"

(Foto: REUTERS)

Sind Preise für Panahi aber auch der gerechte Lohn für großartige künstlerische Leistungen? Bei "Parde" stellte sich die Frage vor zwei Jahren durchaus. Der Film, der praktisch keinen narrativen Aufbau hat, ist am ehesten als verzweifelter Aufschrei Panahis zu beschreiben. Das Werk eines Mannes, den das Berufsverbot in seiner Heimat krank macht, ihn in eine Depression treibt.

"Taxi" ist nun allerdings der Beleg dafür, dass sich Panahi seelisch erholt hat. Er demonstriert, wie man mit einfachsten Mittel - als kluger und humorvoller Beobachter seines Umfeldes - einen ergreifenden Film machen kann. Mit viel Selbstironie präsentiert er in der Rolle eines sich selbst filmenden Taxifahrers mit wechselnden Fahrgästen die Eigenheiten seines Heimatlandes. Dafür bekam er schon bei der Aufführung am zweiten Tag dieser Berlinale den verdienten Szene-Applaus des Publikums.

Allein dadurch war Panahi von Beginn an wie kein Zweiter für den Goldenen Bären prädestiniert. So berechtigt die Neigung zur Verbeugung vor dem mutigen Filmemacher zu sein scheint, so stellt sie doch auch eine Art Wettbewerbsverzerrung dar. Denn zwei Konkurrenten Panahis hätten mit Recht an den Hauptpreis dieser Berlinale gelangen können, wenn sie sich nicht gegen den wiedererstarkten Dissidenten hätten antreten müssen.

Weit vor der gesamten etablierten Konkurrenz

Pablo Larraín etwa hätte für "The Club", eine klug inszenierte Generalabrechnung mit der katholischen Kirche und ihrem verlogenen Umgang mit pädophilen Priestern, den Golden Bären mehr als verdient gehabt. Und auch dem guatemaltekischen Regisseur Jayro Bustamante wäre Gold zu gönnen gewesen - für "Ixcantul", eine bildgewaltige Einladung an sein Publikum, am ebenso fremden wie faszinierenden Leben der Indios in Guatemala teilzuhaben.

So aber mussten sich sowohl Larraín als auch Bustamente mit den nächstwichtigen Ehrungen zufrieden geben: der Chilene mit dem "Großen Preis der Jury", der Guatemalteker mit dem "Alfred-Bauer-Preis", der für Filme vergeben wird, die neue Perspektiven eröffnen.

Ein großer Erfolg ist das für die beiden aufstrebenden Enddreißiger aus Südamerika trotzdem, immerhin landeten sie weit vor der gesamten etablierten Konkurrenz dieser Berlinale. Terrence Malick, Cannes-Gewinner von 2011, ließen die Juroren mit seinem "Knight of Cups", der nebelhaften und arbiträren Identitätssuche eines offenbar erfolgreichen Filmemachers in Hollywood, ebenso in der Versenkung verschwinden wie den deutschen Groß-Regisseur Werner Herzog, der sich mit "Queen of Desert" auf seine alten Tage tatsächlich noch eine Kitsch-Schmonzette geleistet hat.

Andreas Dresen, bisher gefeiert für die großen Dramen des leisen Nachbarmenschen, steuerte zu dieser Berlinale seinen lauten DDR-Nachwendefilm "Als wir träumten" bei, und erschien der Jury damit ebenfalls zu Recht nicht auf der Höhe seines Schaffens.

Richtig lagen die Juroren auch bei ihrer Entscheidung, sowohl Tom Courtenay als auch Charlotte Rampling den Silbernen Bären für die beste männliche und weibliche Hauptrolle im selben Film zuzugestehen. Die zwei Routiniers trieben sich in dem Ehedrama "45 Years" des britischen Regisseurs Andrew Haigh gegenseitig zu schauspielerischen Höchstleistungen.

Warum ging Laura Bispuri leer aus?

Ein Gegenüber wie Rampling hätte auch die schlesische Schauspieler-Legende Janusz Gajos in dem Magersuchts-Drama "Body" gebrauchen können. Doch ihm stand nur die junge Laien-Darstellerin Justyna Suwala zur Seite, insofern hatte Gajos gegenüber dem etwa gleichaltrigen Courtenay (beide sind weit in den Siebzigern) mit einem Wettbewerbsnachteil zu kämpfen, den er trotz überzeugender Leistung nicht kompensieren konnte. Immerhin durfte sich Małgorzata Szumowska über den silbernen Regie-Bären für "Body" freuen.

Die Entscheidung der Jury war an diesen Punkten insgesamt begründet, doch es blieben auch Fragen. Zum Beispiel, warum die Italienerin Laura Bispuri für ihren faszinierenden Erstlingsfilm "Vergine giurata" (Sworn Vergin) über eine Albanerin, die erst im westlichen Umfeld zu ihrer Sexualität findet, völlig leer ausging? Wahrscheinlich ging es da vor allem um Geschmacksfragen; außerdem hat Bispuris Film einige wenige Plausibilitäts-Probleme.

Auch Sebastian Schipper war im Vorfeld hoch gehandelt worden. Mit "Victoria" hat er einen Film ohne jeden Schnitt zustande gebracht, der Emotionen an den Zuschauer heranträgt, wie das bisher selten der Fall war. Leider ist sein couragiertes Werk in den Anfangssequenzen etwas zu lang geraten. Der Silberne Bär für eine "herausragende künstlerische Leistung" ging dann aber völlig zu Recht an Schippers Kameramann Sturla Brandth Grøvlen, der sich die Auszeichnung mit Serhij Mychaltschuk und Jewgeni Priwin teilte, die für ihre Kameraführung in dem visuell ambitionierten Beitrag "Under Electric Clouds" aus Russland geehrt wurden.

Unter den ausgezeichneten Filmen war schließlich fast all das zu finden, was in diesem Jahr preiswürdig war. Nur Laura Bispuri hat beim nächsten Mal etwas gut.

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