Onlinemagazin mit kostenpflichter Kommentarfunktion:Trolle zur Kasse, bitte

Beim amerikanischen Onlinemagazin "Tablet" kosten Kommentare nun Geld, das soll Pöbler fernhalten. Doch was, wenn die Trolle brav zahlen - und weiterstänkern? Die Chefredakteurin gibt sich pragmatisch.

Von Viola Schenz

Trolle sind die Plage des Netzzeitalters und das Grauen aller Chatroom-Administratoren. Es sind Menschen, die den Sinn des Lebens darin sehen, in Diskussionsforen zu beleidigen und zu provozieren oder Web-Debatten sonst wie zu stören. Die Trolle haben sogar eine neue Berufsgruppe generiert: Internet-Moderatoren. Die versuchen nichts Geringeres, als unpassende, verletzende, gesetzeswidrige Beiträge aus Foren zu entfernen und eine zivilisierte Debattenkultur aufrechtzuerhalten. Inzwischen gibt es für diese Aufgabe sogar spezielle Computerprogramme.

Auch die Macher von Tablet, einem kostenlosen Onlinemagazin mit Sitz in New York City, müssen sich mit Trollen rumschlagen. Tablet - A new read of jewish life wird von der gemeinnützigen jüdischen Organisation Nextbook finanziert. Neben Rubriken wie "News & Politics" oder "Arts & Culture" bietet Tablet auch Texte unter dem Label "Longform" für Fiction, Reportagen und Essays.

Der Zugang zu den Artikeln ist kostenlos, seine Autoren befassen sich mit "jüdischem Leben, Künsten und Ideen", wie es auf der Homepage heißt. Antisemiten tummeln sich sehr gerne im Kommentarbereich von Tablet.

Zwei Dollar am Tag, 18 Dollar im Monat oder 180 im Jahr

Seit einer Woche nun greift die Redaktion zu einem ungewöhnlichen Mittel: Wer etwas kommentieren will, muss zahlen - zwei Dollar am Tag, 18 Dollar im Monat oder 180 im Jahr. Das Internet leiste Erstaunliches, aber es fordere auch die zivilisierte und konstruktive Diskussion heraus, was destruktiven - und oft anonymen - Personen freie Hand gebe, begründet Chefredakteurin Alana Newhouse den Schritt. Statt die Leserkommentare einzustellen, hätten sie und ihre Kollegen sich für die Gebühr entschieden - bei einem Magazin, das es sonst zum Nulltarif gibt.

Sie sehen das als eine Art Geste der Mitverantwortung. Schmerzensgeld von Netzpöblern?

Dieser Einfallsreichtum macht Newhouse derzeit zu einer gefragten Person in Amerikas Internet- und Mediengesellschaft. Man muss ihr schon eine Weile hinterhermailen und -telefonieren, bis man sie endlich erreicht, irgendwo zwischen Redaktionsmeetings, Interviews und Dienstflügen, und nicht wieder auf ihrem Anrufbeantworter landet. "Wir wollen damit nicht Geld verdienen, sondern wir hoffen, ein angenehmeres, kultivierteres Umfeld für alle unsere Leser zu schaffen", sagt Newhouse, als man sie endlich erreicht.

"Solange sie zahlen, können sie sagen, was sie wollen"

Und wie haben die Leser bisher auf die Forderung reagiert? "Die einen lieben sie, die anderen hassen sie - so wie bei allem, was wir bei Tablet tun." Die ersten hätten schon gezahlt, ohne zu murren, wie viele es bisher sind, das will Newhouse nicht verraten. Eine Sichtung am Wochenende ergab allerdings, dass Kommentare unter den aktuellen Texten bei Tablet im Moment eher rar sind.

Es gibt allerdings auch Leser, die kritisieren, dass ein Bezahlsystem diejenigen ausschließt, die sich an einer Diskussion beteiligen wollen, denen die Gebühren aber zu hoch sind. "Nun, man kann weiter kostenlos über Twitter, Facebook oder andere soziale Medien mit uns interagieren", erklärt die 38-Jährige die neue Politik, "oder einen klassischen Leserbrief schreiben."

Und wenn das die Trolle nicht juckt, wenn sie brav begleichen - und weiterstänkern? "Solange sie zahlen", erklärt Chefredakteurin Newhouse ungerührt, "können sie sagen, was sie wollen. Das genau ist der Punkt."

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