Argentinien:Refugium für die Frau am Pranger

Argentinien: Cristina Kirchner eröffnet lieber Amphitheater, als zu den Vorwürfen gegen ihre Person Stellung zu nehmen.

Cristina Kirchner eröffnet lieber Amphitheater, als zu den Vorwürfen gegen ihre Person Stellung zu nehmen.

(Foto: AFP)

Argentiniens Präsidentin Kirchner steht massiv in der Kritik. Nach dem Tod des Staatsanwalts Nisman will sein Nachfolger nun die Präsidentin vor Gericht bringen. Doch die denkt nicht daran, sich öffentlich zu verteidigen.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Wenn es ungemütlich wird in Buenos Aires, zieht sich Cristina Kirchner gerne in ihr Refugium zurück. Nach El Calafate in Patagonien. Es handelt sich um ein Refugium der luxuriöseren Sorte. Der Familie Kirchner gehört das halbe Städtchen. Die Präsidentin Argentiniens will dort am Donnerstag ihren 62. Geburtstag feiern.

Bei allen taktischen Fehlern, die Kirchner zuletzt im Umgang mit dem Fall des toten Staatsanwaltes Alberto Nisman begangen hat, sie spürt offenbar, wann es sich lohnt, nicht im Büro zu sein. Als herauskam, dass Nisman bereits einen Haftbefehl gegen sie vorbereitet hatte, war Kirchner in Peking. Nun will Nismans Nachfolger, der Staatsanwalt Gerardo Pollicita, die Präsidentin wegen Strafvereitelung im Amt belangen. Er hält Nismans Recherchen für "substanziell" und hat eine überarbeitete Version vor Gericht eingereicht. Ganz Argentinien wartete am Wochenende auf Kirchners Reaktion. Die eröffnete lieber in El Calafate ein Amphitheater.

In ihrer Festrede ist es Kirchner gelungen, den Fall Nisman, der ja längst auch ihr Fall ist, mit keinem Wort zu erwähnen. Lediglich eine Anspielung ließ sich als Kommentar zur Wirklichkeit in Argentinien interpretieren: "Kein Volk kann eine Zukunft ohne Freude erschaffen, deshalb wollen sie den Völkern ihre Freude nehmen." Sie - damit waren wohl "die anderen" gemeint. Die Kirchner-Gegner.

Davon gibt es reichlich im Moment. Am Mittwoch, einen Monat nach Nismans To-destag, soll in Buenos Aires ein Schweige-marsch stattfinden. Er wird von zahlreichen Staatsanwälten organisiert und von der Opposition unterstützt. Kirchner ist explizit nicht erwünscht. "Die Präsidentin kann nicht mit uns marschieren, weil sie weiß, dass Alberto Nismans Tod ihre Regierung mit Blut befleckt hat", sagt einer der Organisatoren.

Die Umstände von Nismans Tod sind weiterhin ungeklärt. Viele Argentinier glauben, dass Kirchner hinter einem Auftragsmord steckt. Die Untersuchungen deuten bislang eher auf einen Selbstmord hin. Nisman hatte Kirchner vorgeworfen, aus ökonomischem Opportunismus die mutmaßlichen iranischen Attentäter eines Bombenanschlags auf das jüdische Zentrum Amia im Jahr 1994 in Buenos Aires zu decken. Am Tag bevor er seine Anschuldigungen präsentieren wollte, lag Nisman tot im Badezimmer. Sein Kollege Gerardo Pollicita will die Ermittlungen gegen Kirchner nun weiter vorantreiben. Ob es tatsächlich zu einer Anklage kommt, muss der zuständige Richter Daniel Refecas entscheiden. Der ist noch im Urlaub.

Die Gesellschaft ist tief gespalten - beide Lager trauen einander fast alles zu

Cristina Kirchner wittert eine gewaltige Verschwörung gegen ihre linksgerichtete Regierung. Sie suggeriert, dass Nisman vom Inlandsgeheimdienst instrumentalisiert worden sei. Zu den Verschwörern zählt sie die Opposition, die konservative Presse - und nun offenbar auch die Justiz. Während die Präsidentin in Patagonien über Freude philosophierte, ging ihre Kommunikationsabteilung in Buenos Aires in die Offensive. Der Kabinettschef Jorge Capitanich sprach in Zusammenhang mit Pollicitas Anklageschrift vom "größten versuchten Justizputsch in der Geschichte Argentiniens".

Die Opposition hält das wiederum für die größte Übertreibung in der Geschichte des Landes und fordert, dass sich die Präsidentin "ohne Wenn und Aber der Justiz stellt". Gerade so, als ob Fluchtgefahr bestehe. Bevor Kirchner tatsächlich im Gerichtssaal vorgeladen werden kann, müsste zunächst einmal der Kongress mit Zweidrittelmehrheit ihre Immunität aufheben. Kirchners peronistisches Wahlbündnis hält jedoch in beiden Kongress-Kammern die Mehrheit. Solange es zu Nismans Tod keine belastbaren Fakten gibt, darf weiter gestritten werden. Auf Basis von Gerüchten, auf teilweise unterstem Niveau.

Es gibt in diesem Streit keine ausgleichenden Kräfte. Die argentinische Gesellschaft ist traditionell tief gespalten in Peronisten und Antiperonisten. Diese Spaltung hat sich durch den Fall Nisman verschärft. Beide Lager trauen dem jeweils anderen so ziemlich alles zu, Mord und Verschwörung inklusive.

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