Russland unter Putin:Bär und Bärenführer

Neuer Massenprotest gegen Putin in Moskau

Gilt seit dem Jahr 2000 als Russlands starker Mann: Wladimir Putin.

(Foto: dpa)

Gabriele Krone-Schmalz versucht mit einem Buch, ein paar Ansichten über Wladimir Putin zu berichtigen. Die Fernsehjournalistin erklärt einleuchtend, warum das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ein Fehler gewesen sei.

Von Franziska Augstein

Wladimir Putin gilt vielen als ein verschlagener Despot, unehrlich und skrupellos, berechenbar nur im Hinblick auf seinen Wunsch, die eigene Machtsphäre auszudehnen. Den Bürgerkrieg in der Ukraine habe er großmachtsüchtig angeheizt, ohne jede Rücksicht auf das Leid, das sich daraus ergab.

François Heisbourg, Vorsitzender des International Institute for Strategic Studies und des Geneva Centre for Security Policy, sagte im vergangenen Sommer im Gespräch mit der SZ, Putin unterscheide sich von anderen Politikern in einer entscheidenden Hinsicht: Ihm gehe es nicht um konstruktive Politik, eher im Gegenteil.

Krieg und Krisen scheue er nicht, weil er daraus für sich in Russland Gewinn an Prestige zu ziehen erwarte. Weil es nun nicht im Interesse seiner westlichen Gegenspieler und Verhandlungspartner liegen könne, Putin in seiner destruktiven Politik zu überbieten, sei ihm schwer beizukommen. Diese nachgerade idealtypische Charakterisierung eines eiskalten Machtpolitikers ist in sich stimmig und wirkt schon deshalb plausibel. Die Frage ist nur, ob sie zur Beschreibung Putins hinlangt.

"In Serie Signale Richtung Westen"

Gabriele Krone-Schmalz befasst sich seit Jahren mit Putin und dem, was - etwas vage - als "System Putin" bezeichnet wird. Ihr Buch über Russland und den Krieg in der Ukraine zeugt davon, dass sie aufgebracht ist: Die erfahrene Fernsehjournalistin - sie arbeitete bei der ARD - kritisiert nicht bloß einseitige Berichterstattung über den Kampf in der Ukraine, die auch der ARD-Programmbeirat schon im Juni 2014 bemängelte.

Zudem moniert sie, dass zu sehr Wert auf das Jetzt gelegt werde und zu wenig darauf, wie die Dinge sich über Jahre hin entwickelt haben, bis es schließlich zur militärischen Konfrontation in der Ukraine kam.

Was war Putins Werdegang, seitdem Boris Jelzin ihn 1999 zum Ministerpräsidenten erkor, seitdem er 2000 erstmals Präsident der Russischen Föderation wurde? Wo liegen die eigentlichen Ursprünge des Ukraine-Konflikts? Was in der Berichterstattung, wie Krone-Schmalz meint, zu kurz kam, hat sie nun nachgereicht. Sie schreibt, wie sie redet; sie spricht ihre Leser direkt an und sucht sie, argumentativ zu überzeugen.

Was Putin angeht: "Als Wladimir Putin russischer Präsident wurde, sandte er in Serie Signale Richtung Westen, was zu der Zeit in Russland innenpolitisch durchaus nicht unumstritten war. Dafür hat Putin kämpfen müssen." Anstatt das zu honorieren, habe der Westen Putin quasi am ausgestreckten Arm verhungern lassen.

Nach dem Untergang der Sowjetunion sei Russland vom Westen "weniger als Partner denn als Konkursmasse behandelt worden". (Diese Beobachtung von Krone-Schmalz fand übrigens jüngst ein Echo in Barack Obamas Bemerkung, Russland sei nur "eine Regionalmacht".)

Die Nato rückte Russland auf den Pelz

In die nach 1990/91 "dringend erforderliche neue Sicherheitsarchitektur für ein geopolitisch radikal verändertes Europa", fährt Krone-Schmalz fort, "wurde Russland nicht eingebunden, stattdessen erweiterte sich die Nato Schritt für Schritt nach Osten".

Die Nato-Osterweiterung gilt im Westen als notwendig und legitim, weil osteuropäische Länder schlimme Erfahrungen mit der Sowjetunion gemacht haben und weil sie Putin nicht trauen. Gleichzeitig schilt der Westen Putin dafür, dass er die Nato-Osterweiterung als Kampfansage aufgefasst hat, wobei die Frage offenbleibt, wie er sie hätte auffassen sollen.

JELZIN ABSCHIED

Überraschende Amtsübergabe: Nach seiner Rücktrittserklärung wird Russlands Präsident Boris Jelzin am 31. Dezember 1999 von seinem Premierminister Wladimir Putin verabschiedet, der dadurch als Interims-Staatschef fungieren konnte.

(Foto: DPA)

"Schon 1993", so Krone-Schmalz, "stand dieses Thema auf der Agenda der USA." Mittlerweile sind Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien, Albanien und Kroatien Mitglieder der Nato. Die Nato ist Russland und seinen Sicherheitsinteressen auf den Pelz gerückt.

"Das Tragische an dieser Sache ist", schreibt Krone-Schmalz, "dass hochrangige deutsche Politiker im persönlichen Gespräch die Nato-Osterweiterung gleich zu Beginn als den größten Fehler nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet haben. Aber es war ihnen, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich, entsprechende Zitate zu autorisieren." Sie wundert sich, warum die Leute so vorsichtig waren - in einem Land, in dem Zivilcourage doch allenthalben gepriesen wird.

Unter Boris Jelzin war Russland bekanntermaßen ein Abzockerstaat: Wer gute Verbindungen hatte und zugriff, wurde Milliardär und politisch einflussreich. Jelzin war an die Macht gekommen, nachdem er 1991 den Putsch gegen Michail Gorbatschow niedergeschlagen hatte. Bis heute ist nicht ganz klar, warum er Putin zu seinem Nachfolger bestellte.

Putin schraubte nach Amtsantritt die Sozialausgaben hoch

Krone-Schmalz erwähnt einen möglichen Grund, der unter Russlandkennern allerdings umstritten ist: Einen Tag, nachdem der Putsch begonnen hatte, quittierte Putin seinen Dienst beim KGB - "zu einem Zeitpunkt", so Krone-Schmalz, "zu dem man noch nicht sicher sein konnte, wie die Sache ausgeht". Sicher ist, dass Putin es verstand, sich in den Folgejahren als Nachfolger in Empfehlung zu bringen.

Als Präsident Russlands regierte Putin dann aber anders als Jelzin. Im russischen Haushalt von 2002, schreibt Krone-Schmalz, "standen zum ersten Mal die Sozialausgaben an erster Stelle. Für Ausbildung wurde nachweislich mehr ausgegeben als für die Landesverteidigung. Die Lage der Rentner wurde zur Chefsache, ebenso die pünktliche Auszahlung von Löhnen und Gehältern. Langsam aber spürbar normalisierte sich das Leben in Russland."

Russland unter Putin: Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens. C. H. Beck, 2015. 176 Seiten, 14,95 Euro.

Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens. C. H. Beck, 2015. 176 Seiten, 14,95 Euro.

Putin stand dafür ein, Staatlichkeit wieder einzuführen. In den ersten Jahren ist ihm das gelungen. Jetzt hingegen, so Krone-Schmalz, "geht es aus russischer Perspektive darum, sich zur Wehr zu setzen und sich nicht reinreden zu lassen. Die restriktiven Veränderungen der letzten Jahre in Russland passen sehr viel besser in die Kategorie ,Reaktion' als unter die Überschrift ,Aktion'".

Moskau sei verlässlich gewesen, sagt der deutsche General a. D.

In der Ukraine sieht es anders aus: Seitdem sie unabhängig wurde, gab es dort keine Regierung, die ernstlich interessiert gewesen wäre an Rechtsstaatlichkeit und ordoliberaler Wirtschaftsführung. Die Ukraine war und wird bestimmt von Oligarchen. Einst galt das Land als eine "Kornkammer". Heute liegen viele Felder brach. Landwirte, die sie nachhaltig bestellen könnten, haben vielfach keinen Zugang zu den nötigen Krediten für Pacht und Maschinen.

Den Krieg in der Ostukraine sieht Krone-Schmalz nicht als Folge von Putins Machtgelüsten. Das Desaster habe eher der Westen sich zuzuschreiben: "Es gab einige wenige in Politik und Medien, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt davor warnten, dass es die Ukraine zerreißen könnte, wenn sie sich zwischen EU und Russland entscheiden muss. Denn genau in diese Situation wurde die Ukraine vonseiten der EU gebracht, wissentlich oder versehentlich."

Fachleute - Historiker, Politologen, Journalisten - erörtern, ob es so etwas wie ein ukrainisches Nationalbewusstsein gebe. Tatsache ist, dass viele Ukrainer sich der EU und den USA nahe fühlen, während viele andere Russland bevorzugen.

Krone-Schmalz erklärt ausführlich und einleuchtend, warum das Assoziierungsabkommen ein Fehler gewesen sei. Unter anderem erwähnt sie, dass darin "von der Vertiefung militärischer Zusammenarbeit" die Rede sei. Sie zitiert Artikel 4 Absatz 2, der von "gemeinsamem Krisenmanagement" bei "regionalen Herausforderungen und Schlüsselbedrohungen" handelt. Dann wendet sie sich an ihre Leser: "Wie soll Russland das verstehen? Und würden Sie das in einem EU-, nicht Nato-Assoziierungsabkommen erwarten?"

Ungeschicktes Verhalten Brüssels

Zwischen der EU und der geplanten Eurasischen Union sei es zu einer "Art Tauziehen um die möglichen Beitrittskandidaten" gekommen: "Und in dieses Gezerre geriet die Ukraine hinein." Wobei die EU sich denkbar ungeschickt verhalten habe: "EU-Kommissionspräsident Barroso erklärte bereits im April 2011, eine Mitgliedschaft der Ukraine" in der geplanten Eurasischen Zollunion " sei mit dem EU-Assoziierungsabkommen nicht vereinbar".

Und, noch gravierender: "Der Westen begriff die Dimension der ökonomischen Herausforderung nicht, die mit der einseitigen Entscheidung für die EU zwangsläufig verbunden war. Russland hatte die Ukraine seit Jahrzehnten über den Gaspreis subventioniert und vielfältige Kredite vergeben. Diese Rolle aber war die EU nicht bereit zu übernehmen. Es ging um Geld, und die EU redete über Werte."

Letzteres sieht Harald Kujat ähnlich. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr und ehemalige Vorsitzende des Militärausschusses der Nato, trat neulich in einer Talkshow auf: Mit den Russen - das war auch auf Putin gemünzt - habe er immer sehr gut zusammenarbeiten können. Sie würden Verabredungen einhalten und seien verlässlich: Die Deutschen, sagte Kujat, betrieben "Wertepolitik", die Russen "Interessenpolitik".

Wie Putin regiert, was das "System Putin" ist, kann auch Gabriele Krone-Schmalz nicht erklären. Wer aber bereit ist, Russland nicht bloß als Bären zu betrachten, der von seinem Meister am Nasenring durch die internationale Manege geführt wird, kann aus ihrem Buch eine Menge lernen.

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