Island:Ansturm im Zungenbrecherland

1,2 Millionen Urlauber werden in diesem Jahr in Island erwartet, die meisten reisen im Sommer an. Das ist gut für den Tourismus, nur leider nicht für die Natur. Schuld ist wieder mal der Eyjafjallajökull.

Von Silke Bigalke

Kurz vor dem Gletscher hilft nur noch die gute alte Schaufel weiter. Ein kleiner, aber ruppiger Fluss trennt die Gruppe vom uralten Eis des Eyjafjallajökull. Das andere Ufer verschwindet unter knapp zwei Metern Schnee. Þorvarður Ingi Þorbjörnsson, kurz Ingi, springt von einem Stein zum nächsten durch das Flussbett. Auf der anderen Seite beginnt er, Stufen in den Schnee zu graben. Dann hilft er der Reisegruppe hinüber.

Jenseits des Flüsschens fühlt man sich, als betrete man unentdecktes Land. Das ist natürlich nicht so. Ingi erzählt, dass er selbst erst vor zehn Tagen hier war. Doch der Schnee sieht unberührt aus, der Gletscher leuchtet türkisfarben. Noch ein Stück den Hang hinauf, dann kann man das glatte, klare Eis berühren. Nur an wenigen Stellen ziehen sich Aschefäden von Vulkanausbrüchen hindurch. Der Ausbruch vor fünf Jahren unter dem Eyjafjallajökull brachte Island weltweit in die Nachrichten, weil seine Aschewolke den Flugverkehr über Europa lahmlegte. Seither steigen die Besucherzahlen.

Vergangenes Jahr kamen knapp eine Million Touristen, mehr als doppelt so viele wie vor dem Ausbruch. 2015 erwarten die Isländer 1,2 Millionen Besucher - das wären fast vier Mal so viele Menschen, wie auf der Insel leben. Die meisten kommen in den Sommermonaten und übernachten in der Hauptstadt Reykjavík. Nun versucht der Handels- und Tourismusverband Promote Iceland der Lage Herr zu werden und die Gäste stärker übers Jahr und übers Land zu verteilen.

Island im Winter also, wenn der Wind stärker bläst und sich das Wetter so schnell ändert, dass man manchmal alle vier Jahreszeiten an einem Tag erlebt. Schnee und Eis verschließen dem Touristen dann Teile des Landes. In die Nähe des Gletschers Eyjafjallajökull gelangt man im Winter nur mit einem Tourenführer wie Ingi, der einen Superjeep fährt, einen besonders geländegängigen Wagen.

Der Weg führt durch ein weites Tal zwischen drei Vulkanbergen. Hier ist die Flut hinunter geschossen, als der Vulkan Eyjafjöll unter dem Eis ausbrach. Alles hat das Wasser mitgenommen, hat die Lagune leer geschwemmt, in die die Gletscherzunge zuvor mündete, und am Ausgang des Tals die Straße weggerissen. Seither sehe alles anders aus, sagt Ingi. Immer neue Bäche und Flüsse bahnen sich ihren Weg durch die Weite, unter Eis- und Schneeschichten hindurch, zwischen Felsbrocken und Geröll. Einen erkennbaren Weg gibt es nicht. Im Sommer kann man hier wandern, im Winter ist das gefährlich. Deswegen ist die Gegend menschenleer, das macht sie noch beeindruckender.

Wer sich eine Tour mit einem Superjeep leisten kann, will nicht in einer Hütte schlafen

Weiter hinten im Tal wartet Ben Rehn aus Bremen mit dem Mittagessen. Der 28-Jährige ist seit Oktober hier bei den Volcano Huts, gemeinsam mit vier anderen Helfern, die die Einsamkeit suchen. Sie schaufeln Schnee und setzen Suppe auf, wenn sich Gäste anmelden. Im Sommer sind die etwa 120 Betten in den Hütten und Schlafsälen am Bergrücken Þórsmörk oft ausgebucht. Die Volcano Huts liegen an der beliebten Trekkingroute Laugavegur.

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Im Winter kommt nur, wer das Geld hat, um einen Superjeep samt Fahrer zu mieten, etwa 800 Euro für eine Tagestour für vier Personen. Die Besitzer der Hütte würden das Winter-Geschäft gerne ausweiten, erzählt Ben Rehn. Aber wer sich die Tour mit dem Jeep leisten könne, der wolle meist nicht im Schlafsack in einer Holzhütte übernachten.

In Island konzentriert sich viel auf Reykjavík. Neue Hotels mit insgesamt bis zu 1000 Zimmern seien hier in nächster Zeit geplant, schätzt Ann-Cathrin Bröcker, Miteigentümerin der Reiseagentur Island ProTravel. Seit 20 Jahren organisiert sie Island-Reisen. "Wichtig ist, dass wir die Touristen weg von Reykjavík bringen", sagt sie. Nur so würde auch rund um die Insel die nötige Infrastruktur mit Hotels entstehen, die dem Besucher-Ansturm im Sommer gerecht werden kann und auch im Winter geöffnet bleibt.

Für Gudny Valberg und Olafur Eggertsson ist es mit der Einsamkeit vorbei, seit vor fünf Jahren der Vulkan hinter ihrem Haus ausbrach. In ihrem kleinen Museum nebenan zeigen die Landwirte, was im Frühjahr 2010 passierte. Der kalte Gletscher, der die Ausbruchstelle bedeckte, ließ die Lava quasi explodieren, schleuderte Asche in die Luft. Der Hof von Gudny und Olafur verschwand in einer schwarzen Wolke, die Familie wurde in Sicherheit gebracht. Militärfahrzeuge brachten Olafur nur dann zurück, wenn er die Kühe im Stall melken musste. Als der Himmel vor der großen Finsternis kurz aufriss, schoss der Bauer ein Foto.

Ein Foto, das die Alltagsruhe kostete

Zuerst druckte es eine Zeitung in Reykjavík, dann ging es um die Welt. "Wir mussten alle weg und gleichzeitig stand das Telefon nicht still wegen all der Leute, die dieses Bild haben wollten", erzählt Gudny Valberg. Ihr Mann steht schweigend im Hintergrund.

A plume of volcanic ash rises into the atmosphere from a crater under about 656 feet (200 metres) of ice at the Eyjafjallajokull glacier

Das Bild, das alle wollten: die Aschewolke über dem Hof von Hof von Gudny und Olafur.

(Foto: Olafur Eggertsson/Reuters)

Alle drei bis vier Jahre bricht in Island ein Vulkan aus, auch jetzt gerade. Der Bárðarbunga im Osten spuckt viel mehr Lava als der Eyjafjöll damals. Doch er ist nicht explosiv, weil er nicht unter dem Eis ausbricht, eine Aschewolke blieb bisher aus. Zudem liegt er weit entfernt von jeder Siedlung in einem derzeit abgesperrten Gebiet. Touristen kommen nur mit dem Hubschrauber in seine Nähe. 2010 war das anderes.

Gudny Valberg und Olafur Eggertsson hatten keine Ruhe vor Journalisten und Neugierigen, die ihnen quasi beim Aufräumen zusahen. Um ihr Zuhause wieder für sich zu haben, eröffnete das Ehepaar 2011 das Museum in einer alten Scheune, hängte Zeittafeln, Karten und Fotos auf. 43 000 Besucher kamen im ersten Jahr, 2014 waren es bereits 74 000.

Die Ruhe ist wohl das wichtigste Argument für Island im Winter. Doch was, wenn die Natur irgendwann knapp wird? Viele Isländer befürchten das bereits. Auf der Insel darf jeder fast überall hin, Zäune und Kassenhäuschen gibt es vor den Geysiren, Wasserfällen und brodelnden Quellen nicht. Wenn im Sommer drei Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig in Reykjavík anlegen und mehrere Tausend Touristen am Tag um den Geysir Strokkur und den Wasserfall Gullfoss laufen, verlieren diese irgendwann ihren Zauber. Die Besucher lassen ihren Müll da und wissen oft nicht, wo sie hintreten dürfen und wo sie Moose zerstören, die in Jahrhunderten auf dem Lavaboden gewachsen sind. Andererseits ist der Tourismus heute Islands wichtigster Wirtschaftszweig. Es gibt längst eine Diskussion darüber, wie man ihn besser regulieren könnte. Möglich wäre zum Beispiel ein Naturpass, den jeder Island-Besucher pauschal bezahlen müsste.

Informationen

Anreise: Die isländische Fluglinie Wow-Air fliegt im Winter fünfmal in der Woche von Berlin nach Reykjavík und zurück ab 99 Euro, www.wow-air.de

Unterkunft: Eines der wenigen Hotels, das außerhalb von Reykjavik neu eröffnet hat, ist das Hotel Stracta im Süden der Insel, 119 Euro für DZ ohne Frühstück, www.stractahotels.is/de

Weitere Auskünfte: Isländischen Hummer gibt es ganzjährig zum Beispiel im Roten Haus in Eyrarbakki, www.raudahusid.is/en. Nicht weit entfernt liegt das heiße Naturbad Secret Lagoon, www.secretlagoon.is

"Es ist fast unnormal, wie schnell der Tourismus wächst, fast gefährlich", sagt Superjeep-Guide Ingi. Ihm seien Besucher im Winter deswegen lieber. "Das Land wird dann nicht so geschädigt", sagt er. Der Frost schützt es, das Hochland bleibt dann fast unberührt. Mehr Wintertouristen hätten auch einen wirtschaftlichen Vorteil. Sie würden es Restaurants und Gasthäusern außerhalb Reykjavíks ermöglichen, das ganze Jahr über zu öffnen. Die ersten versuchen dies bereits. Tessi Kingan und Johann Jönsson zum Beispiel, ein junges Paar. Die Spezialität in ihrem Rauða Húsið, dem Roten Haus im winzigen Küstenort Eyrarbakki, ist isländischer Hummer. Im Sommer kämen bis zu 200 Gäste täglich, oft ohne Reservierung, erzählt Johann Jönsson. Im Winter machen sie dafür jeden Tag Verluste. Trotzdem hofft er, dass sich die Kontinuität irgendwann auszahlt.

Auch die Secret Lagoon, ein warmes Naturbad nahe dem Ort Flúðir und seit Jahrzehnten in Familienbesitz, hat im Winter geöffnet. Es ist längst dunkel, Dampf wabert über das Wasser. Die Isländer schwimmen mit Pudelmütze auf dem Kopf durch den Dunst. Die Touristen tun es ihnen nach: Badesachen anziehen, Mütze auf, Mut fassen. Ein kurzer Sprint durch die Kälte, dann ist man im 40 Grad warmen Wasser. Später am Abend kommen noch ein paar Schwimmer dazu, und man ahnt, dass auch die Secret Lagoon womöglich bald kein Geheimtipp mehr sein wird.

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