Schalke-Niederlage gegen Madrid:Fast auf Augenhöhe mit Los Bonbonfarbenen

Ein Jahr nach dem Debakel zieht sich Schalke 04 diesmal gegen Real Madrid achtbar aus der Affäre. Dennoch bleiben nach dem 0:2 kaum noch Aussichten auf das Erreichen des Viertelfinales. Zwei Youngster sorgen aber für Furore.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Die ersehnte Sensation ist Schalke 04 nicht geglückt beim Wiedersehen mit Real Madrid, aber es war auch kein Desaster wie noch im Vorjahr beim 1:6. Nach der 0:2-Niederlage gegen den spanischen Titelträger verabschiedeten die Zuschauer ihre Mannschaft nach tapferem Kampf mit tröstlichem Applaus. Und mit doppelter Wehmut: Zum einen, weil dieses Ergebnis für das Rückspiel wenig Hoffnungen aufs Weiterkommen lässt. Und zum anderen, weil es sogar Momente gab, in denen sich ein besseres Schicksal andeutete.

Aber gerade dann, als die just in Schwung gekommenen Schalker sich zur großen Schlussoffensive aufzuraffen schienen, verdarb Reals brasilianischer Linksverteidiger Marcelo in der 79. Minute mit einem präzisen Schlagschuss (mit rechts!) die aufkommende gute Laune. Am Ende stellte sich dann die Frage, was schlimmer war an diesem Abend: die erwartete Niederlage oder die Verletzung von Torjäger Klaas-Jan Huntelaar, der zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden musste, weil er zumindest eine schwere Schienbeinprellung davontrug. Das Spiel hatte bereits mit einem Schock für die Zuschauer in Gelsenkirchen begonnen: Real Madrid, los Blancos - die Weißen -, kam in bonbonfarbenen Kostümen auf den Rasen. Aber das blieb die einzige sichtbare Narretei der Gäste, die mit begrenztem Aufwand und weitreichender Spielkontrolle ihren standesgemäßen Auswärtssieg einspielten. Toni Kroos, der deutsche Gaststar, begnügte sich mit einer eher unauffälligen Rolle und haderte: "Wir haben uns ein bisschen schwergetan, was auch am Platz lag, das soll keine Ausrede sein, aber der war eine Katastrophe."

Verdacht auf Wadenbeinbruch

Das Spiel entfaltete sich, wie das allgemein erwartet worden war, zunächst eher verhalten. Real Madrid führte den Ball, Schalke formierte sich so dicht wie möglich um den Strafraum. Auch die beiden Angreifer Klaas-Jan Huntelaar und Erik- Maxim Choupo-Moting traten dem Gegner tief in der eigenen Hälfte entgegen. Aber das Bild änderte sich bald. Nach einigen Minuten lockerten die Hausherren die strenge Ordnung und suchten ihrerseits den Weg nach vorn.

Der Schrecken, den sie dadurch verbreiteten, hielt sich allerdings in Grenzen. Nach 14 Minuten ergab sich immerhin eine plausible Gelegenheit, ein spanisches Freistoßgeschenk in 1-A-Position: Doch Dennis Aogo schoss den Ball so was von mitten in die Mauer, als ob er das mit Absicht getan hätte.

Ein wenig Achtung konnten sich die Blauen erarbeiten, zumindest beim heimischen Publikum, das den ersten Eckstoß (16.) bejubelte, als ob das erste Tor gefallen wäre. Fünf Minuten darauf kam Aogo nach einer schönen Kombination frei zum Schuss - das Ziel verpasste er dann aber trotzdem um viele Meter.

Platte trifft für Schalke nur die Latte

Dann sorgte endlich Ronaldo für Spaß. Eben noch nach einem kleinen Tritt theatralisch über Knöchelschmerz klagend und humpelnd wie ein Versehrter, rannte er im nächsten Moment blitzgenesen dem Ball hinterher - und die Zuschauer nutzten die Gelegenheit, den extravaganten Weltstar auszupfeifen. Noch größer war die Freude auf den Rängen, als Ronaldo kurz darauf aufs Tor schoss und der Ball knapp vor der Eckfahne verendete.

Aber der Portugiese rächte sich sogleich für den billigen Spott - beim nächsten Angriff war er plötzlich zur Stelle, um den Flankenball von Daniel Carvajal mit dem Kopf im Tor zu versenken. Außenverteidiger Aogo hatte im Zweikampf mit dem Passgeber seinen Auftrag ebenso verfehlt wie der fürs Zentrum zuständige Spezialist Joël Matip. Reals erster gefährlicher Angriff richtete gleich maximalen Schaden an - nun wissen die Schalker, dass die Kunde vom großen Madrider Formtief eher eine Fehlinformation war.

"Die Qualität hat schon den Unterschied gemacht. Real hatte vielleicht drei Chancen und damit zwei Tore geschossen", resümierte Schalkes Trainer Roberto Di Matteo halbwegs gefasst. Die Stimmung auf den Tribünen wurde nicht besser, als kurz nach dem 0:1 Huntelaar am Mittelkreis zu Boden sank und die herbeigeeilte medizinische Abteilung zügig anzeigte: Auswechseln!

Roberto Di Matteo wählte als Ersatzlösung eine ebenso logische wie verblüffende Variante: Er wechselte zwar positionstreu einen Stürmer ein, doch handelte es sich dabei um den 19-jährigen Felix Platte, den Torjäger der A-Junioren. Das war nicht das Zeichen zur Schadensbegrenzung, und Platte ging seiner Arbeit als Sturmspitze nicht nur furchtlos und energisch nach, sondern auch fast erfolgreich. Beinahe hätte er sich mit dem Ausgleich verewigt, doch nach seinem gewaltigen Direktschuss in der 74. Minute blieb es bei der unvermeidlichen Schlagzeile: Platte an die Latte!

Di Matteo zählte 0 und 1 zusammen und wusste: "Wenn wir da den Ausgleich erzielen, kann das Spiel auch anders ausgehen." Auch Timon Wellenreuther, der zweite 19-jährige Champions-League-Anfänger, erlebte einen Abend, den er nicht vergessen wird. Bei den Toren traf den Torwart keine Schuld, stattdessen konnten sich die Mitspieler mehrfach beim Nachwuchskeeper bedanken, weil er weitere Treffer der Los Bonbonfarbenen verhinderte. Tosenden Applaus erntete er, als er einen Ronaldo-Freistoß aus dem Winkel boxte.

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