Obamas Strategie gegen Extremismus:"Wir sind nicht im Krieg mit dem Islam"

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  • "Wir sind nicht im Krieg mit dem Islam" - Obama warnt in einer Rede vor der Diffamierung von Muslimen
  • Der US-Präsident fordert die Zivilgesellschaft auf, sich der IS-Propaganda entgegen zu stellen.
  • Das US-Außenministerium will in sozialen Netzwerken gegen die Ideologisierung anwirken.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Eine Weisheit - oder ist es eine Hoffnung? - des 21. Jahrhunderts lautet: Der Kampf gegen den Terrorismus kann nicht auf dem Schlachtfeld, sondern nur in den Herzen und Köpfen der Menschen gewonnen werden.

Es gibt Zeiten, in denen diese Formel schmerzhaft naiv wirkt - in der Regel dann, wenn Akteure mit ausgeleerten Herzen und Köpfen die Bildfläche betreten und Extrem-Grausamkeiten begehen. Der Vormarsch des "Islamischen Staates" war ein solcher Moment, die Anschläge von Paris ebenso. Letztere führten dazu, dass US-Präsident Barack Obama jetzt in Washington auf einem Podium steht und zu den Teilnehmern der Konferenz mit Namen "Countering Violent Extremism" (CVE) spricht.

Der Name ist ausnahmsweise kein Euphemismus für ein Militärprogramm, sondern steht für den Versuch, der hässlichen Attraktivität des Islamismus etwas entgegen zu setzen. Kurz: Es geht um die Terror-Prävention. Das Weiße Haus will mit der dreitägigen Veranstaltung einen anderen Ton anschlagen, außen- wie innenpolitisch. Bei Obama klingt der so: "Wir sind nicht im Krieg mit dem Islam. Wir sind "im Krieg mit Menschen, die den Islam pervertiert haben."

"Religion ist nicht für Terrorismus verantwortlich"

In der arabischen Welt, wo die Folgen des Irak-Kriegs und Drohnen-Angriffe das kollektive Bewusstsein geprägt haben, gibt es auch andere Interpretationen. Andererseits bietet die extreme Brutalität des IS dem US-Präsidenten die Gelegenheit, den Eindruck zu korrigieren. Er werde hart gegen IS vorgehen, aber "Religion ist nicht für Gewalt und Terrorismus verantwortlich. Menschen sind für Gewalt und Terrorismus verantwortlich."

Seine Worte sind nicht nur an Muslime außerhalb der USA, sondern auch und gerade an Amerikaner dieses Glaubens gerichtet - und jene, die ihnen kollektiv misstrauen. Islamophobie ist auch in den Vereinigten Staaten auf dem Vormarsch, die extremere politische Rechte zeigt sich spätestens seit den Anschlägen auf Charlie Hebdo immer offener feindselig gegenüber Vertretern des Islams. Die tödlichen Schüsse eines militanten Atheisten auf drei muslimische Studenten in Chapel Hill haben das Land schockiert und verstört, auch wenn das Motiv des Täters noch nicht abschließend geklärt ist.

USA
:Mord an muslimischen Studenten löst Spendenflut aus

330 000 Dollar in kürzester Zeit: Der Mord an drei muslimischen Studenten in der US-Universitätsstadt Chapel Hill hat auf einer Online-Plattform eine Spendenflut ausgelöst. Präsident Obama will den Angriff vom FBI untersuchen lassen.

"Als Amerikaner, egal welcher Religion oder welchen Hintergrunds, teilen wir Ihren Schmerz und bieten unsere Liebe und Unterstützung an", sagt Obama in Richtung der muslimischen Amerikaner. Die Verunsicherung, das weiß auch er, ist allerdings nicht erst eine Woche alt: Die Überwachung prominenter Muslime und unverdächtiger islamischer Gemeinden durch US-Sicherheitsbehörden haben in den vergangenen Jahren nicht gerade zu einem Gefühl der Teilhabe beigetragen.

Gegen-Aktionen über soziale Medien

Gleichzeitig ist die Gefahr der Radikalisierung durch die Federführung der USA im Kampf gegen den "Islamischen Staat" gewachsen - eine Entwicklung, die in der Rede unausgesprochen bleibt. Die Regierung hat inzwischen in vier Städten Pilotprojekte gestartet, in denen Vertreter der Zivilgesellschaft, religiöse Führer und Gesetzeshüter gemeinsam gegen extremistische Strömungen agieren. Obama muss versichern, dass dies nicht eine Vordertür zur stärkeren Kontrolle ist, sondern ein Versuch der Aufklärung: "Wir müsse diese Ideologien diskreditieren", sagt er, "wir müssen ihnen entgegentreten und uns nicht vor diesen Diskussionen drücken."

Ein Teil dieser Strategie soll daraus bestehen, die Zivilgesellschaft auch online dazu zu ermutigen, der Propaganda internationaler Extremisten entgegen zu wirken. Und falls das nicht genügt: Eine Abteilung des US-Außenministeriums will künftig 350 Konten in sozialen Netzwerken nutzen, um die radikalen Botschaften der Dschihadisten zu kontern, die sich derzeit in täglichen Lawinen über das Netz ergießen.

Auf Propaganda mit Gegen-Propaganda zu antworten, wirkt nicht nur auf den ersten Blick etwas hilflos. Was wirklich zählt, weiß auch Obama: "Wir müssen die Missstände beseitigen, die Terroristen ausnutzen, auch die ökonomischen." Ob der Kapitalismus amerikanischer Prägung das bewerkstelligen kann, bezweifeln allerdings inzwischen selbst im Westen viele Menschen.

Energie "auf etwas Positives" konzentrieren

So bleibt der Appell an die Geduld. "Es wird Zeit brauchen", sagt der Präsident, "es handelt sich um eine Herausforderung für eine ganze Generation."

Das Magazin The Intercept zitierte jüngst aus einem Bericht des für die De-Radikalisierung zuständigen "National Counterterrorism Center". Dort heißt es, dass Extremisten aller Art sich kaum vom Rest der Bevölkerung unterscheiden ließen. Gegen die Ideologisierung helfe "emotionale Unterstützung", Aussteiger sollten ihre Energie auf "etwas Positives" konzentrieren und "positives Feedback" erhalten.

Das klingt so vage wie die Ideen des Präsidenten.

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