Schuldenkrise:Europa gewinnt Zeit

Pierre Moscovici, Wolfgang Schaeuble

Der holländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem (Mitte) spricht angeregt mit seinem österreichischen Kollegen Hans Jörg Schelling.

(Foto: AP)
  • Hinter dem Streit um das Reformprogramm für Griechenland steht ein Kampf zwischen gemäßigten und radikalen Kräften in Europa.
  • Populistische Parteien wie in der Rechts-Links-Koalition Griechenlands haben auch in anderen europäischen Ländern Auftrieb. Sie stellen die Währungsunion und die EU insgesamt infrage.
  • Deswegen konnte der griechische Ministerpräsident Tsipras auch keine Verbündeten in den linken Regierungen Italiens und Frankreichs gewinnen.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Europa ist am Freitagabend ein wichtiger Schritt aus der größten Krise seit Gründung der Währungsunion gelungen. Griechenland und die Euro-Partner einigten sich in der dritten Krisensitzung binnen zehn Tagen zur Zukunft des auf Finanzhilfe angewiesenen Landes auf einen befristeten Kompromiss, um die Zahlungsunfähigkeit Athens abzuwenden.

Die Euro-Länder sind bereit, Athen für weitere vier Monate finanziell zu unterstützen, wenn das Land seine Kreditverpflichtungen und das Reformprogramm erfüllt. Bis Dienstag muss Athen zunächst noch Auflagen erfüllen.

Es geht um die Glaubwürdigkeit der Währungsunion

Durch die Machtübernahme radikal-populistischer Linker und Rechter steht Europas Währungsunion in der größten Krise ihrer Geschichte. Die Regierung von Premier Alexis Tsipras hat ihr Schicksal an das Versprechen geknüpft, der Euro-Politik eine neue Richtung zu geben.

Die Euro-Partner, regiert von Parteien der gemäßigten Mitte, lehnten dies ab. Das grundsätzliche Problem: Die gemäßigten Parteien in Europa können den radikalen Parteien, die seit 2011 immer mehr Zuspruch erhalten, keine Zugeständnisse machen, ohne die EU in ihrer jetzigen Form zu riskieren. Man ringe nicht um Zahlen oder Reformen, sagt ein hoher EU-Diplomat, sondern "darum, dass die Regeln der Währungsunion eingehalten werden". Also um Glaubwürdigkeit.

So sieht es auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. "Es geht nicht um einzelne Länder. Es geht um Europa. Und dass wir das Vertrauen in allen europäischen Ländern für den Fortgang dieses europäischen Einigungswerks bestärken." Man müsse tun, was "in griechischem Interesse und europäischer Verantwortung nötig ist".

Der Streit über die Kredite für Griechenland, das nach fünf Jahren Rettungspolitik weiter auf finanzielle Hilfe angewiesen ist, läuft auf eine Entscheidung über den Verbleib des Landes im Euro hinaus.

2011 und 2012, als in vertraulichen Runden erstmals über das Ausscheiden beraten wurde, entschied Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass Athen bleiben solle - wegen des Drucks von Finanzmärkten und Investoren und unvorhersehbarer Folgen.

2015 ist ein wichtiges Wahljahr in Europa

2015 ist der Euro gegen Krisen gewappnet, sind die Finanzmärkte beruhigt. Das Problem ist jetzt aber: Die Zahl derer wächst, die die Rettungspolitik als zu lasch oder zu streng empfinden - und ablehnen. Populisten und Radikale gewinnen.

Der Ausgang des Streits mit Griechenland ist enorm wichtig, weil Europa vor einem außergewöhnlichen Wahljahr steht und die Entscheidung in Athen sich direkt in den Nachbarländern auswirken kann. In zehn der 28 Staaten der EU wird 2015 ein neues Parlament gewählt - überall kämpfen gemäßigte Parteien um ihre traditionellen Wähler.

Die erste Wahl in Griechenland hat Populisten haushohe Gewinne beschert und zu einer Regierung geführt, die radikale Parteien vereint, die wiederum aber nur in einem Punkt übereinstimmten: Die Sparpolitik im hoch verschuldeten Euro-Krisenland muss sofort beendet werden.

Der wachsende Zuspruch der Griechen für ihre radikale Regierung, die vehement für die Umsetzung ihrer Wahlversprechen kämpft, hätte den gemäßigten Parteien "einen Schock versetzt", sagt ein hoher EU-Diplomat. Der Kampf um Wähler verlaufe nicht mehr zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten, sondern zwischen Populisten und Radikalen einerseits und allen Parteien der Mitte.

Rom und Paris stehen hinter der Großen Koalition in Berlin

Für die Analyse der EU-Diplomaten spricht, dass die linken Regierungen in Paris und Rom die Linie der großen Koalition aus Berlin stützen. Zwar wurde Tsipras dort freundlich empfangen - mehr als einen Händedruck gab es für den Linksradikalen aber nicht. In der Sache stehen François Hollande und Matteo Renzi hinter Merkel. Sie wollen nicht die Schulden erlassen; sie bestehen auf Reformen - kein Geld ohne Gegenleistung.

Der nächste Markstein in Europa wird der 19. April sein - in Finnland. Dort strebt die rechtspopulistische Partei Die Finnen in die Regierung. Am 7. Mai wählen die Briten. Siege der Populisten in den Euro-Ländern könnten die europhobe Ukip-Partei stärken. Später wählen Polen, Dänemark, Portugal; im November die Spanier. Dort hat die linke Protestpartei von Pablo Iglesias gute Chancen, den konservativen Premier Mariano Rajoy abzulösen. Die viertgrößte Euro-Wirtschaftsmacht stünde vor einem politischen Farbwechsel. Der europäische Wahlkalender wird neben innen- und parteipolitischen Überlegungen der Grund dafür sein, dass Merkel nicht nachgeben kann.

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