Generalstaatsanwalt unter Verdacht:Man wünscht sich, der Vorwurf träfe nicht zu

Frank Lüttig

Der Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Frank Lüttig, am 12. März vergangenen Jahres nach seiner Aussage in der Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages in Berlin

(Foto: dpa)

Es ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik: Generalstaatsanwalt Frank Lüttig steht unter Verdacht, im Verfahren gegen Christian Wulff Ermittlungsgeheimnisse verraten zu haben. Doch auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

Von Heribert Prantl

In der Geschichte der Bundesrepublik hat es das noch nicht gegeben: Ein Generalstaatsanwalt steht unter Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen. Das ist so, als stünde ein General der Bundeswehr unter Verdacht, er habe Waffen aus Beständen der Armee verkauft. Der Vorwurf wiegt so schwer, dass man sich wünscht, er träfe nicht zu.

Wenn er zutrifft, schadet er der Staatsanwaltschaft insgesamt; er beschädigt den Ruf einer Institution, die von der Integrität lebt - davon also, dass sie ohne Zorn und Eiferei arbeitet, möglichst ohne Einflussnahme von außen, ohne Willfährigkeit politischen Wünschen gegenüber, ohne private Rachsucht und Gehässigkeit.

Hat der Generalstaatsanwalt Wulff bewusst schaden wollen?

Erhärtet sich der Vorwurf, führt das zu Weiterungen - weil man sich dann fragen müsste, warum der Generalstaatsanwalt Ermittlungsdetails verraten hat. Aus Plaudersucht? Wichtigtuerei? Oder aus dem Kalkül heraus, auf diese Weise immer wieder die Empörung der Öffentlichkeit zu schüren und ein nachhaltig negatives Klima für den Beschuldigten zu schaffen? Und: Wer könnte daran interessiert gewesen sein und warum?

Die Antworten führen womöglich hin zu einer Staatsaffäre. Der Vorwurf des Geheimnisverrats wird Frank Lüttig, dem Generalstaatsanwalt von Celle, gemacht; Lüttig ist derjenige Generalstaatsanwalt, der für den Abschluss der Ermittlungen und die Anklageerhebung gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff verantwortlich war. Die Ermittlungen wurden mit großem Aufwand im In- und Ausland geführt.

Am Anfang stand ein Antrag auf Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten, der zu dessen Rücktritt führte. Am Ende stand eine Anklage, in der es noch um einen Betrag von 753 Euro und 90 Cent ging. Und am Schluss des Prozesses, der wegen dieses Betrags geführt wurde, stand der Freispruch. Unter anderem aus den Ermittlungen in diesem Verfahren soll Lüttig Informationen weitergegeben haben - in sieben Fällen.

Spektakulär ist der Vorgang, spektakulär ist die Zahl der Fälle. Gleichwohl: Das Spektakuläre ändert nichts daran, dass derzeit de jure nur ein Anfangsverdacht vorliegt. Es gilt die Unschuldsvermutung - auch für einen Generalstaatsanwalt. Sie gilt so, wie man sich das in anderen Verfahren, etwa in dem gegen Wulff, auch gewünscht hätte. Damals wurden Kontostände, Rechnungen, Belege und Ermittlungshypothesen an bestimmte Medien durchgestochen - Details, die bis heute das Bild eines nassauernden Spitzenpolitikers formen.

Verdächtige werden zu Beschuldigten

Wer für diesen fortgesetzten Aktenausriss und Aktenmissbrauch verantwortlich ist, das ist nun Gegenstand der Ermittlungen. Die zuständige Staatsanwaltschaft Göttingen hat zunächst monatelang unter einem U-Js-Aktenzeichen ermittelt - also gegen unbekannt.

Sobald sich in einem solchen Verfahren ein Tatverdacht gegen bestimmte Verdächtige konkretisiert, werden diese zu Beschuldigten - und das U-Js- wird in ein Js-Aktenzeichen umgeschrieben. Wann man das macht, liegt im Ermessen. In heiklen Fällen wie dem von Lüttig macht man das angesichts der Tragweite üblicherweise erst, wenn der Verdacht handfest wurde.

"Die objektivste Behörde der Welt"

Es ist kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, darauf hinzuweisen, dass sich Generalstaatsanwalt Lüttig während des Strafprozesses gegen Wulff immer wieder befremdlich parteiisch geäußert hat. Damit hat er Zweifel an seiner Unbefangenheit und Lauterkeit geweckt; das ist nicht strafbar, aber verwerflich. Man darf darauf hinweisen, dass Lüttig Abteilungsleiter für Strafrecht bei Justizminister Bernd Busemann war, bevor er von diesem zum Generalstaatsanwalt ernannt wurde; Busemann ist seit jeher innerparteilicher Gegenspieler von Wulff.

Das ist das politische Koordinatensystem der Causa. Dieses Koordinatensystem lag unter und über den Ermittlungen gegen Wulff. Es liegt nun auch unter und über den Ermittlungen gegen Lüttig.

Staatsanwälte sind, anders als Richter, nicht unabhängig; auch der Generalstaatsanwalt ist es nicht. Staatsanwälte haben "dienstlichen Weisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen"; so steht es im Gerichtsverfassungsgesetz. Gleichwohl ist die deutsche Staatsanwaltschaft, so lernen es die Juristen im Studium, "die objektivste Behörde der Welt" - weil die Staatsanwälte zulasten und zugunsten eines Beschuldigten ermitteln und so den Richter in seiner Wahrheitsfindung unterstützen.

Der Superlativ ist über hundert Jahre alt und stammt von Hugo Isenbiel, weiland Generalstaatsanwalt am Berliner Kammergericht. Das schöne Bild der Objektivität hat freilich - bei allem Respekt, den die Staatsanwaltschaft zu Recht genießt - Risse und Brüche. Es kann sein, dass aus dem Ermittlungsverfahren gegen Generalstaatsanwalt Lüttig ein Verfahren zur Vermessung dieser Risse wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: