"American Sniper" im Kino:Agiles Biest

´American Sniper"

Bedient den Mythos vom "Natural Born Warrior": Bradley Cooper als Scharfschütze Chris Kyle

(Foto: dpa)

Gnadenlose Hasspropaganda oder gar ein Antikriegsfilm? Clint Eastwoods "American Sniper" wird sehr kontrovers besprochen, dabei ist der Fall ziemlich eindeutig.

Von Tobias Kniebe

Gnadenlose Hasspropaganda, klarer Antikriegsfilm, Superheldenkino mit realen Soldaten, wichtiges Statement gegen Schusswaffenwahn. So kontrovers sind die Bewertungen, die "American Sniper" vorausgehen, dass man erst einmal gar nicht glauben kann, dass sie sich alle wirklich auf denselben Film beziehen.

Aber sie tun es, und dazu kommt, dass der Film in den USA schon sehr erfolgreich ist. Quer durch alle Milieus hat er bereits Rekorde gebrochen, selbst bei den Oscars war er sechsfach nominiert. Man studiert diese heftigen Reaktionen (siehe auch SZ vom 17.02.) und fragt sich, was für ein vielköpfiges Ambivalenzmonster Hollywood da nun wieder geschaffen hat.

Es ist, das offenbaren dann schon die ersten Minuten im Kino, ein schlankes, ziemlich agiles Biest. Clint Eastwood, der Regisseur, hat es handwerklich sauber und ziemlich spannend gestaltet. Inhaltlich ist es voll cleverem Understatement, geschickter Entscheidungen und heimlicher Tücke, mit ein paar schmutzigen Ideologiebomben am Wegesrand.

Zum Einstieg blickt man gleich einmal durchs Zielfernrohr auf eine Trümmerstadt, die wohl Nasiriya im Irak sein soll. Unten im Staub rücken amerikanische Marines vor, ein Panzer und ein Platoon zu Fuß. Oben auf dem Dach aber liegt Chris Kyle flach auf dem Bauch, "der tödlichste Scharfschütze in der Militärgeschichte Amerikas", wie es schon in der Werbung heißt.

Seine lange Präzisionsflinte hat er aufgestützt und in die Schulter geklemmt, das rechte Auge klebt am Zielfernrohr. Und dann sind da in seinem Blickfeld plötzlich eine schwarzverschleierte Frau und ein Junge, und in der Hand des Jungen ist eine russische Anti-Panzer-Granate, und die Marines kommen näher, und näher rückt auch die unausweichliche Entscheidung, die Kyle nun fällen muss. Man hört ihn atmen, tief ein, tief aus, tief ein.

Klarer hat man einen Beschützerinstinkt selten gesehen

Wie die Sache ausgeht, erfährt man in diesem Moment noch nicht. Denn jetzt springt der Film erst einmal zurück in Kyles Kindheit, zum Jagen, zum ersten getöteten Hirsch und zur Predigt des Vaters am Mittagstisch, die für das Weltbild des Films zentral sein wird. "Es gibt drei Arten von Menschen", sagt er. "Schafe, Wölfe und Hirtenhunde. Manche Leute wollen glauben, dass das Böse auf der Welt nicht existiert, und sollte es je ihre Schwelle verdunkeln, sie wüssten sich nicht zu wehren. Das sind die Schafe. Dann gibt es das Raubwild, das Gewalt benutzt, um die Schwachen zu jagen. Das sind die Wölfe. Und dann gibt es jene, die mit der Gabe der Aggression gesegnet sind, einem unstillbaren Bedürfnis, die Herde zu schützen. Diese Männer sind eine seltene Rasse, die lebt, um dem Wolf entgegenzutreten. Das sind die Hirtenhunde."

"American Sniper" wird nun alles tun, um Chris Kyle als einen kompulsiven Hirtenhund zu zeigen. Er rastet fast aus, wenn Kameraden im Krieg in Gefahr sind; und selbst wenn seine neugeborene Tochter im Krankenhaus schreit und er nicht zu ihr kann, ballt er die Faust und blickt mordlustig. Klarer hat man einen unbezähmbaren Beschützerinstinkt noch selten im Kino gesehen - vielleicht ist das schon die kollektive Sehnsucht, die hier befriedigt wird.

Hass auf das Böse

Die krude Analogie aus dem Tierreich, die all dem zugrunde liegt, stammt aber gar nicht von Chris Kyles Vater, und sie steht auch nicht in Kyles Autobiografie "American Sniper", die seine 160 offiziell bestätigten "Kills" im Irakkrieg feiert und 2012 ein Bestseller wurde. Tatsächlich ist sie ein Mantra von amerikanischen Soldaten, Ultrarechten, Polizeikräften und Waffenlobbyisten, das 2004 von einem anderen Soldaten-Publizisten in die Welt gesetzt wurde, Lieutenant Colonel David Grossman.

Dass der Film sich Grossmans Weide-Typologie derart ungeniert bedient, lässt alle Versuche, das Endprodukt als ideologisch neutral hinzustellen, ziemlich lächerlich erscheinen. Das ganze Drehbuch ist daraufhin optimiert, Chris Kyle in genau jedem Licht zu zeigen, wie ihn seine Ehefrau, seine Kameraden und seine Fans von ganz rechts am liebsten sehen würden.

Allerdings - und das ist der zweite wichtige Erfolgsfaktor - mit deutlichen Zugeständnissen an den Mainstream. Denn man kann es sich schon denken, wenn der Film zurück in den Irak springt: Der Junge mit der russischen Anti-Panzer-Granate wird natürlich umgenietet. Genauso wie seine Mutter, die das Ding in die Hand nimmt und dann doch noch in Richtung der Marines zu werfen versucht.

"Diese Frau war vom Bösen besessen", schreibt Chris Kyle. "Und dieses Böse habe ich tief und wahrhaftig gehasst. Ich hasse es bis heute. Das war es, was wir im Irak bekämpft haben - grausame, verabscheuungswürdige Bosheit. Sie war auch der Grund, warum wir alle, ich eingeschlossen, die Feinde immer nur ,Wilde' genannt haben."

Was nicht passt, wird ausgeblendet

Soweit das Buch. Im Film aber sagt Chris Kyle in diesem Moment nichts. Da darf er der große Schweiger sein. Er starrt noch eine halbe Sekunde wie benommen auf den toten Jungen in seinem Zielfernrohr. Der Kommentar "fucking evil bitch" wird auf den Kameraden ausgelagert, der neben ihm liegt, der unfehlbare Schütze selbst verbittet sich krude Gratulationen.

Für die Logik des Films ist das unerlässlich - ein Hirtenhund darf nicht schäumen vor Hass, sonst nähert er sich dem Wolf zu sehr an.

Sein Hass aber ist es, der den echten Chris Kyle in ein dunkelrotes Zwielicht rückt. So brüstete er sich auch damit, während der Hurrikan-Katrina-Katastrophe Plünderer erschossen zu haben, genauso wie zwei Tankstellendiebe in Texas - nur gab es nie den geringsten Beleg für diese Abenteuer; die Behauptung, einmal den Politiker Jesse Ventura verprügelt zu haben, wegen abweichender Meinung zum Irakkrieg, wurde ihm dagegen gerichtlich verboten unter Androhung einer Millionenstrafe. All das muss "American Sniper" natürlich geflissentlich ausblenden.

Nur an einer Stelle Skepsis gegenüber dem Kriegshandwerk

Jason Hall, der Drehbuchautor, erkennt zudem recht schnell ein Grundproblem der Geschichte. Immer nur auf dem Dach zu liegen und nach und nach 160 Feinde umzuknipsen, wirkt nicht besonders heroisch.

Bald will der Film von dieser Mission auch nicht mehr viel wissen: Kyle muss zurück auf die Erde und mit in die Häuser reingehen, aus dem Scharfschützen wird eine Art Terroristenjäger. Den syrischen Sniper der Gegenseite, den er dann wie besessen verfolgt, gibt es vor allem auf Wunsch Steven Spielbergs. Der war der erste, der die Geschichte verfilmen wollte, bevor er kalte Füße bekam.

Bleibt natürlich die Frage, was der große alte Clint Eastwood mit der Sache zu tun hat, und die korrekte Antwort lautet: nicht viel. Der Autor Hall und der Hauptdarsteller Bradley Cooper, der sich im Übrigen sehr überzeugend in Chris Kyle verwandelt hat, waren zuerst an der Story dran, Cooper sogar als Produzent. Eastwood kam dazu, als das Buch längst fertig und Spielberg schon wieder gegangen war.

Er betont, dass ihm das Leid von Kyles Ehefrau wichtig war, und das zeigt er auch deutlich - das einzige Element des Films, das eine gewisse Skepsis gegenüber dem Kriegshandwerk ahnen lässt. Nur: In ein Gesamtwerk, das auch "Dirty Harry" enthält, einen anderen hochbegabten Hirtenhund, der unter der Hand zum Wolf mutierte, fügt sich "American Sniper" natürlich nahtlos ein.

Er darf nicht überleben

Wirklich ambivalent ist dann nur die finale Ironie der Geschichte. Kyle könnte nicht so gefeiert werden, wie Amerika es jetzt tut, wenn er nicht tot wäre. Das hängt mit dem immer noch wirkmächtigen Mythos vom "Natural Born Warrior" zusammen, den der Film so entschlossen bedient.

Spätestens seit Homer ist dieser Heros sehr klar definiert. Er darf all seinen Gegnern überlegen sein, fast unvorstellbare Verwüstung unter ihnen anrichten, aber er darf am Ende nicht überleben. Die Götter geben ihm eine Ferse der Verwundbarkeit, und sie bestimmen seinen frühen Tod, damit er wirklich in die Ruhmeshalle der großen Krieger eingehen kann.

Genauso haben sie es, wenn man so will, mit Chris Kyle gemacht. Erschossen wurde er nicht im Irakkrieg, da war er unbesiegbar geblieben, sondern zu Hause, im Frieden. Von einem traumatisierten Irakveteranen, dem er helfen wollte - der zu schwach war, länger ein Hirtenhund zu sein, und am Ende ein Wolf im Schafspelz wurde.

Es gibt drei Arten von Menschen, und am Ende kann sie niemand wirklich auseinanderhalten. Vielleicht ist das schon das ganze verdammte Problem.

American Sniper, USA 2014 - Regie: Clint Eastwood. Buch: Jason Hall. Kamera: Tom Stern. Mit Bradley Cooper, Sienna Miller. Warner, 132 Min.

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