Arbeitsgericht über mutmaßlichen Missbrauch:Der Chef wird nicht gefeuert

  • Ein Arbeitnehmer ist mit einer Klage gegen seinen Arbeitgeber gescheitert. Er wollte die Entlassung seines Chefs bewirken, der ihn sexuell missbraucht haben soll.
  • In einem vorherigen Strafprozess zu diesem Fall war der Vorgesetzte zu einer Haftstrafe wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt worden. Gegen das Urteil hatte er Rechtsmittel eingelegt.
  • Im Gegensatz zum Gericht in dem vorherigen Prozess sah das Solinger Arbeitsgericht nun den Missbrauch nicht als einwandfrei erwiesen an. Deshalb bestehe kein Recht des Klägers auf Entlassung seines ehemaligen Chefs.

Von Jannis Brühl, Köln

Ein Arbeitnehmer muss weiter mit seinem ehemaligen Vorgesetzten in der selben Firma arbeiten, auch wenn der ihn womöglich sexuell missbraucht hat. Das Arbeitsgericht Solingen hat die Klage eines Werkzeugmechanikers abgewiesen, der die Entlassung seines Chefs erwirken wollte.

In dem ungewöhnlichen Prozess hatte der Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber geklagt. Dieser sollte den ehemaligen Vorgesetzten feuern, der in einem Strafprozess zuvor bereits wegen sexuellen Missbrauchs des Klägers verurteilt worden war. Es sei unzumutbar, dem ehemaligen Vorgesetzten am Arbeitsplatz zu begegnen, geschweige denn mit ihm zusammenzuarbeiten, argumentierte der Kläger. Doch das Unternehmen stellte sich auf die Seite des Beschuldigten, der den Missbrauch bestreitet - und bekam nun Recht.

Die Version des Klägers

Der Kläger war 2013 mit seinem Vorgesetzten auf Dienstreise und behauptet: Sein Chef habe seinen Hotelzimmerschlüssel versteckt, um ihn dazu zu bringen, in seinem Zimmer zu schlafen. Am Morgen sei er aufgewacht, während sein Vorgesetzter ihn sexuell missbraucht habe. Das Amtsgericht hat den Mann im November zu zwei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt - wegen schweren sexuellen Missbrauchs. Gegen das Urteil hat der Mann Rechtsmittel eingelegt.

Der Kläger war monatelang arbeitsunfähig. Sein Arbeitgeber zahlte ihm eine psychotherapeutische Behandlung, versetzte ihn aber auch. Das empfand der Kläger als Strafe und argumentierte, stattdessen hätte sein ehemaliger Vorgesetzter gefeuert werden müssen.

Die Version des Vorgesetzten

Auf den Strafprozess folgte nun der Streit vor dem Arbeitsgericht zwischen dem mutmaßlich missbrauchten Mitarbeiter und seinem Arbeitgeber. Das Unternehmen hat die Version des verurteilten Vorgesetzten übernommen: Es argumentierte, beide seien betrunken, der Sex einvernehmlich gewesen. Deshalb sei das Urteil im Strafprozess falsch. Und die Versetzung sei zudem keine Benachteiligung gewesen.

Das Urteil

Das Arbeitsgericht lehnte die Klage ab, weil es den sexuellen Missbrauch nicht als erwiesen ansah - auch wenn der Vorgesetzte in dem separaten Strafverfahren verurteilt wurde. Nach der Befragung beider Beteiligter sei es zwar "überwiegend wahrscheinlich", dass der Kläger Recht habe und missbraucht worden sei, allerdings seien Zweifel geblieben. Deshalb habe er keinen Anspruch drauf, dass der mutmaßliche Täter entlassen werde.

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