Nordische Ski-WM:Vorsicht, Teamkollege

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Bloß nicht kollidieren: Johannes Rydzek und Eric Frenzel bei der nordischen Ski-WM. (Foto: Getty Images)
  • Die deutschen Kombinierer hoffen bei der WM auf Medaillen - doch manchmal räumen sie sich gegenseitig aus dem Weg.
  • Damit es nicht wieder Missgeschicke gibt, haben sie an ihrer Taktik gefeilt.

Von Volker Kreisl, Falun

Am 21. Dezember, in Ramsau, war es wieder passiert. Johannes Rydzek saß im Schnee, das Adrenalin im Blut, der Geist verwirrt, die Gegner schossen an ihm vorbei. Drei Sekunden saß er, dann sprang er auf und versuchte, wenigstens einen Teil des Sprinttempos wiederzugewinnen. Aber es reichte nur noch zu Platz sechs, und der Gedanke drängte sich auf: Die deutschen Kombinierer könnten richtig gierige, unschlagbare Sieger sein, aber sie kannibalisieren sich gegenseitig.

Denn es waren die Ski des Teamkollegen Fabian Rießle, in denen sich der Pechvogel Rydzek beim Schlussspurt mit seiner Skispitze verfangen hatte, ehe er stürzte. Und vor Bundestrainer Hermann Weinbuchs innerem Auge ploppte, wie bei allen Kombinations-Beobachtern, sofort das andere, noch viel drastischere Bild auf: vom 18. Februar bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi. Da waren sie dicht nebeneinander, zu dritt, mit Chancen auf Gold sowie weitere Medaillen auf die Zielgerade eingebogen. Zu dicht - nur Rießle kam durch, er holte noch Bronze.

Nun steckt das Team wieder mittendrin in einem Saisonhöhepunkt, der WM in Falun. Zweimal Gold gab es schon, durch die Staffel und durch Rydzek, der deswegen auch am Donnerstag von der Großschanze als Siegkandidat gilt. Als gleich stark ist Eric Frenzel, der Gesamtweltcupführende, einzuschätzen; Rießle und Björn Kircheisen können bei günstigen Bedingungen auch ganz vorne eingreifen.

Weinbuch hat sich viele Gedanken gemacht, und gemeinsam haben sie daran gearbeitet, Wege zu finden, dass in Zukunft nicht wieder die Kollegen auf der Strecke bleiben. Das Thema, sagte Weinbuch nach dem Vorfall in Ramsau, ist ja kompliziert. Es betrifft nicht nur die jeweilige Zuspitzung vor dem Ziel, sondern in gewisser Weise auch die Konkurrenz- Situation in der gesamten Saison. Es geht um den Teamgeist, um Psychologie und ganz simple Handgriffe. Es ist die Kehrseite des Dauererfolges eines Teams aus Einzelsportlern.

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Auf diesen Triumph haben die deutschen Kombinierer 28 Jahre gewartet: Die Mannschaft gewinnt bei der WM in Falun Gold in der Staffel. Jubeln darf auch das deutsche Mixed-Team der Skispringer.

Was kann man da konkret vereinbaren? Rydzek, Rießle, Frenzel und Kircheisen können sich ja nicht im höchsten Tempo darüber absprechen, wer heute mal den Vortritt hat und wer sich mal ein bisschen zurückhält. Ins Gehege kommen sich in Positionskämpfen viele Langläufer, nur: Teamgefährten, die sich gegenseitig abräumen, fallen eben auf. Seine Top-Leute, sagt Weinbuch, müssten aber voll konzentriert und zu allem bereit sein, "da kannst du nicht mehr unterscheiden, wer neben dir läuft".

Das Risiko kann höchstens minimiert werden, und zwar schon vorher. Teaminterne Duelle sollten erst direkt vor der Ziellinie ausgetragen werden und nicht schon Hunderte Meter davor in engen Passagen. "Diese Bredouillen müssen wir vermeiden", sagt Weinbuch. Sein Team hat daher vor dieser WM taktische Situationen geübt. Dass einer den Gegner innen durchschlüpfen lässt, wie Rydzek in der Ramsau, woraufhin alle den Kopf verlieren, dürfe eben nicht passieren. Solche Wenn-und-Hätte-Fantasien hassen Trainer normalerweise, aber in diesem Fall muss Weinbuch sie analysieren. Auch die Situation in Sotschi hätte verhindert werden können, wenn sich das Team gemeinsam effektiver gegen den Norweger Jørgen Gråbak verteidigt hätte, der dann Gold holte.

Olympia-Trauma: In Sotschi kamen sich die Kombinierer Johannes Rydzek, Fabian Rießle und Björn Kircheisen (von links) in die Quere. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Der Wettkampf in Sotschi: Da denkt man zwangsläufig an Björn Kircheisen, 31, den dienstältesten Kombinierer der Deutschen und seit Jahren schnellsten in der Loipe, der sich auf dem Weg zu Gold auch manchmal selbst aus dem Weg geräumt hatte und daher den liebevollen Beinamen "Silbereisen" trägt. Man denkt daran, dass Kircheisen in Sotschi seine größte Chance auf Gold hatte, weil er nach einem Riesensatz von der Großschanze vorne lag. Dass die Trainer ihm einbläuten, nicht wieder zu früh zu übertreiben, sondern erst am letzten Anstieg zu beschleunigen, "anzugasen", wie Weinbuch sagt. Aber Kircheisen lief und lief und vergaß die Taktik und verausgabte sich zu früh.

Der Wettkampf in Sotschi aus Sicht der Deutschen: hätte, könnte, wäre.

Und doch sind die Nordischen Kombinierer - neben den Biathleten - Jahr für Jahr die verlässlichsten Lieferanten für Skimedaillen im Dachverband DOSB. Trotzdem kämpfen sie weiterhin um Aufmerksamkeit. Die WM in Falun könnte eine seltene Chance sein, die Aufmerksamkeit im Winter auf einen Sport zu lenken, der eigentlich leichter zu verstehen ist als man glaubt. Es geht um Skispringen, Langlaufen - und am Ende halt darum, unfallfrei zu sprinten.

Dafür haben die Deutschen vor der WM in Gruppen extra ausprobiert, wo der beste Windschatten auf den letzten Kurven vor dem Ziel zu erwarten ist, wo man die Spur dicht machen kann, ab wann es sich nicht mehr überholen lässt. Die Vorzeichen vor diesem Donnerstag sind nicht schlecht. Johannes Rydzek hat im ersten Einzel mit seiner Goldmedaille vorgeführt, wie es funktioniert. Der Staffelsieg, der erste seit 28 Jahren, hat das gegenseitige Vertrauen, das nach den Stürzen durchaus gelitten haben könnte, wieder hergestellt.

Und Björn Kircheisen, der ewige Zweite, hatte zwar wieder Pech und war in der Staffel nicht dabei, aber vielleicht kann er seinen Beinamen ja doch noch tilgen, wenn er am Vormittag einen exzellenten Sprung erwischt. Um Silber wegzuradieren, gibt es nur eine Farbe.

© SZ vom 26.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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