Funk-Musiker Keziah Jones:"Nigeria ist kaum gefährlicher als New York"

Keziah Jones

Captain Rugged rettet Lagos: Keziah Jones erfand den Superhelden als satirischen Kommentar auf die Lage in Nigeria.

(Foto: Kelechi Amadi-Obi; Kelechi Amadi Obi)

Der Musiker Keziah Jones ist international erfolgreich - und in sein Heimatland Nigeria zurückgekehrt. Vor der Präsidentschaftswahl kritisiert er die Korruption in seinem Land, preist aber auch dessen Freiheit.

Von Karin Janker

Am 28. März sollen die Nigerianer einen neuen Präsidenten wählen. Die Wahl wurde von Mitte Februar auf diesen Tag verschoben, weil der Terror der Boko-Haram-Miliz die Abstimmung in Afrikas größter Volkswirtschaft gefährdet. Nigeria ist mit geschätzt 175 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land des Kontinents, hat aber bis heute nicht zu einer gemeinsamen Identität gefunden: Dem christlich geprägten Süden steht ein muslimischer Norden gegenüber. Seit Beginn der Ölförderung konzentriert sich der wirtschaftliche Reichtum im Süden, wobei sich die Eliten des gesamten Landes hemmungslos aus den Öleinnahmen bedienen. Die breite Bevölkerung profitiert davon nicht.

Der Musiker Keziah Jones stammt aus Nigerias größter Stadt Lagos. Nachdem er sich im Ausland als Solo-Gitarrist und Sänger etabliert hatte, kehrte er vor drei Jahren nach Nigeria zurück, um dort zu leben und zu arbeiten. Zusammen mit dem Künstler Native Maqari erfand er den Superhelden "Captain Rugged", der in einem gleichnamigen Comic gegen Korruption und Verbrechen kämpft.

SZ.de: In Ihrer Jugend haben Sie Nigeria verlassen, um in London und Paris als Straßenmusiker Ihr Glück zu versuchen. Heute sind Sie weltweit erfolgreich und leben wieder in Nigerias größter Stadt Lagos. Was hat sie dorthin zurück gezogen?

Keziah Jones: Das hatte zunächst einmal persönliche Gründe. Ich habe verpasst, wie Verwandte und Freunde geheiratet und Kinder bekommen haben; Menschen, die mir nahestanden, sind gestorben. Aber in der Zeit, in der ich weg war, um meinen eigenen Sound zu entwickeln, hat sich auch meine Heimat verändert. Nigeria hat heute eine eigene lebendige Musik- und Filmindustrie, die Gesellschaft ist freier als vor 20 Jahren, als ich wegging.

Zur Person

Keziah Jones wurde unter dem Namen Olufemi Sanyaolu 1968 in Lagos geboren. Er verließ sein Heimatland Nigeria bereits als Schüler und lebte in London, Paris und New York. Zunächst schlug er sich dort als Straßenmusiker mit seiner Gitarre durch, später folgten ein Vertrag bei einem Major-Plattenlabel und zahlreiche international erfolgreiche Funk-Alben. Keziah Jones hat seinen eigenen Stil kreiert, den er als "Blufunk" bezeichnet. Sein jüngstes Album "Captain Rugged" veröffentlichte er 2013 zusammen mit einem Comic über einen Superhelden in der nigerianischen Metropole Lagos.

In die Schlagzeilen gerät Nigeria zur Zeit regelmäßig wegen Anschlägen, Entführungen und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Wie nahe gehen Ihnen diese Nachrichten?

Ich bin betroffen, die Situation wird seit ein paar Jahren immer schlimmer. Inzwischen belasten die Probleme im Norden des Landes auch die internationalen Beziehungen Nigerias. Die Regierung hat die Situation nicht unter Kontrolle, die Lage ist wirklich ernst. Gleichzeitig ist Nigeria aber kein Ort, wo man simple Erklärungen für Probleme findet, das muss die Welt begreifen.

Was verstehen Außenstehende nicht?

Wenn Menschen aus der nördlichen Hemisphäre über Nigeria sprechen, stellen sie sich ein ländliches Leben auf dem Dorf vor und erwarten, dass es sehr gefährlich ist dort. Aber das stimmt so nicht. Nigeria ist sehr städtisch geprägt, ein riesiges Land und sehr jung. Es ist kaum gefährlicher als New York, wenn man weiß, was man tun und lassen sollte.

Im Norden allerdings zeigt Nigeria ein anderes Gesicht: Dort führt Boko Haram einen Feldzug gegen Regierung und Zivilbevölkerung.

Boko Haram ist eine Reaktion auf die Eliten an der Macht. Zunächst war das nur eine kleine Gruppe, ein lokales Problem. Aber die nigerianische Armee ging brutal gegen sie vor und das trieb sie in die Radikalität. Der Norden Nigerias ist arm, dort gibt es weniger Bildung und weniger persönliche Freiheit. Ganz anders als im Süden, wo Wohlstand, freie Presse und das Recht auf freie Meinung etabliert sind.

Sie leben in Lagos, ist der Terror von Boko Haram dort im Süden spürbar?

Nein, wir merken davon nichts direkt, aber die Menschen beobachten die Lage im Norden natürlich. Lagos ist eine spannende Stadt, die einem sehr viel Freiraum bietet. Hier leben verschiedene Religionen nebeneinander. Es gibt überall diese Lücken, Leerstellen, sei es, wenn all die unterschiedlichen Sprachen zusammenkommen, die wir in Nigeria sprechen, oder im Alltag, wenn Gesetze eher locker ausgelegt werden. Ich schätze diese Freiheit.

"Ein afrikanischer Superheld - das bringt die Leute zum Nachdenken"

Lagos ist auch der Handlungsort Ihres Superhelden-Comics "Captain Rugged", den Sie zusammen mit Ihrem jüngsten Album veröffentlicht haben. Was ist seine Mission?

"Captain Rugged" ist ein satirischer Kommentar auf die Situation in Nigeria. "Rugged" (deutsch in etwa: rau, wild) beschreibt die Leute in Lagos am besten, die Menschen auf den Straßen, die Taxi- und Busfahrer im alltäglichen Großstadtdschungel. Captain Rugged fragt sie: Warum sind wir entweder christlich oder muslimisch - und nicht einfach alle Afrikaner? "Rugged" ist ein Teil der nigerianischen Identität.

Identität ist ein großes Thema Ihrer Songs. Was bedeutet es für Sie, Nigerianer zu sein?

Ich bringe afro-amerikanische und afro-karibische Elemente dorthin zurück, wo sie herkommen. Mein Stil ist eine Rekonstruktion dessen, was die afrikanische Küste einst verlassen hat. Ich selbst vermeide die Identifikation mit dem nigerianischen Staat, also mit dem, was von den Briten konstruiert wurde, als sie Nigeria 1960 verlassen haben. Ich betrachte mich als Afrikaner und als frei - auch frei, mit etwas nicht einverstanden zu sein und nicht mitzumachen.

Warum braucht Nigeria einen Superhelden wie Captain Rugged?

Bei Superhelden denkt man immer an Metropolen wie New York. Wenn man eine solche Heldenfigur aber in eine afrikanische Metropole versetzt, bringt das die Leute zum Nachdenken über ihre Vorurteile.

Captain Rugged kämpft auch gegen Probleme wie Korruption. Sollte diesen Job nicht die Politik übernehmen?

In Nigeria erfüllen Politiker vor allem die Interessen des Westens. Nigeria ist wirtschaftlich auf Öl gebaut und die Ölfirmen sind westliche multinationale Konzerne. Politiker sind dazu da, einerseits für den freien Fluss des Öls aus Nigeria zu sorgen und andererseits für das Fließen der Dollars - in ihre eigenen Taschen. Wer dagegen vorgehen und Captain Ruggeds Job erledigen will, lebt gefährlich. Ein Politiker wurde ermordet.

Ende März stehen in Nigeria Wahlen an. Was erhoffen Sie sich?

Ich glaube nicht an nigerianische Parteien und gehe nicht davon aus, dass die Wahlen etwas an der Situation im Land ändern werden. Die Strukturen in Nigeria erhalten den Status quo. Ich hoffe aber, dass die Wahl dazu beiträgt, dass die Menschen umdenken. Wenn sich auch unter einer neuen Regierung nichts ändert, werden sie merken, dass die Strukturen selbst daran schuld sind. Die Zivilgesellschaft in Nigeria wird immer stärker, die Bevölkerung ist jung und wird sich Gehör verschaffen.

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