Boom von Polit-Serien:Der Mensch ist dem Menschen ein Schwein

House of Cards; Kevin Spacey

Er ist der Böseste von allen: Frank Underwood (alias Kevin Spacey) aus House of Cards.

(Foto: Nathaniel E. Bell/Netflix/AP)
  • Polit-Serien boomen im Fernsehen.
  • In den USA startet nun die dritte Staffel von House of Cards.
  • Während The West Wing noch das schöne Märchen über Washington war, gilt dort: je böser, desto besser.
  • Michael Dobbs, Produzent von House of Cards und selbst Politiker, ist sich sicher: In der Realität ist alles noch viel schlimmer.

Von Claudia Fromme

Die Kamera fährt eine Straße mit imposanten Gebäuden entlang, Säulen säumen die Paläste, davor steht ein Wolf mit starrem Blick. Er will da rein, unbedingt, ins weiße Haus am Ende der Straße, und er würde über Leichen gehen. Auf dem Weg dahin bringt er pustend drei Schweine um ihre Bleibe und lacht böse. Sein Name ist: Frank Underwolf.

Eine Parodie der Sesamstraße auf die Serie House of Cards , deren dritte Staffel an diesem Freitag weltweit zu sehen ist, in Deutschland bei Sky. Eigentlich kein großes Ding - nur eine neue Charge Verkommenheit serviert mit Kevin Spacey als ruchlosem Abgeordneten Frank Underwood, der sich bis ins Oval Office intrigiert. Und doch haben beinahe 1,4 Millionen Menschen den Wolfspot seit Dienstag bei Youtube gesehen.

Zu hysterischen Reaktionen kam es, als bei Netflix jüngst (angeblich versehentlich) fast alle Folgen kurz zu sehen waren. Hastig twitterten Menschen, dass es um Meutereien, Abgründe, internationale Konflikte ginge, nach China sei nun Russland dran. Nichts Überraschendes, die normalen Zutaten der Serie. Fans deuteten die Weltlage hernach trotzdem neu.

Netflix weiß alles über seine Nutzer

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, in der Politik zuweilen auch ein Schwein, und wozu ein Volksvertreter fähig ist, kann man sich in den berühmten ersten 30 Sekunden der Serie ansehen. Darin drückt Demokrat Underwood einem Hund händisch die Luft ab. Netflix weiß alles über seine Nutzer, also auch, dass nach der Szene dramatisch viele Zuschauer entsetzt abgeschaltet haben. Dann nahm die Serie Fahrt auf.

Der Einstieg war das ethische Versprechen der Ära Underwood: Wer so anfängt, der ist noch zu ganz anderen Dingen fähig.

House of Cards ist die erfolgreichste Politikserie, häufiger gesehen, nobilitiert und diskutiert sogar als die Oval-Office-Operette The West Wing, die Damenversion Veep, die britische Sitcom Yes Minister, die öde Bundesversion Kanzleramt sowieso. Ihr Erfolg hat auch damit zu tun, dass sie mit dem Entwurf der Unmöglichkeiten spielt wie keine Politikserie zuvor. Ein Präsident, der eine lästige Affäre eliminiert und einen Widersacher in den Selbstmord getrieben hat? Geht es in der Politik so schmutzig zu?

Michael Dobbs, der die Romanvorlage zu House of Cards geschrieben hat und für die Tories im britischen Oberhaus sitzt, sagt: "Es ist alles noch viel schlimmer."

Spacey kennt sich gut aus mit realer Politik

Der Mann muss das wissen, er war nicht nur Executive Producer aller Staffeln der US-Version von House of Cards, sondern auch Berater von Margaret Thatcher.

Kevin Spacey, den ständig Politiker fragen, was in der neuen Staffel so passiert, sagt: "In der echten Politik ist alles viel langweiliger." Und schiebt ein meckerndes Lachen und vielsagendes "vielleicht" nach.

Der Mann müsste das auch wissen. Er hat in den Siebzigerjahren zum ersten Mal Präsident Richard Nixon gespielt, aktuell für den Film Elvis & Nixon wieder. Spacey ist so dicke mit Bill Clinton, dass in House of Cards ein Foto der beiden in der Kulisse steht, er ist edler Spender der Demokraten und bekannt mit vielen Politikern.

Kevin Spacey sagt in einer Telefonkonferenz vor ein paar Tagen, dass es in der Geschichte der USA immer wieder Präsidenten gegeben habe, die an bestimmten Punkten der Karriere als rücksichtslos kritisiert wurden. Die hätten aber auch die meisten Sachen auf den Weg gebracht. Lyndon B. Johnson etwa habe in den Sechzigern in kürzester Zeit maßgebliche Bürgerrechte durchgekämpft.

Man muss dazu aber auch sagen, dass Johnson, der als narzisstisch jenseits aller Vorstellungskraft galt, seinen Stab wie Unrat behandelte, seine Frau öffentlich abkanzelte, und angeblich auf die Frage, warum die USA in Vietnam seien, seinen Penis herausgeholt habe und "Darum!" gerufen habe. Er gilt als ruchlosester aller US-Präsidenten. Tröstlich fast, dass der ruchloseste aller TV-Präsidenten sagt: "Ich imitiere keinen besonderen Politiker - eher Typen." Vielleicht sei genau das die Stärke der Serie: dass sie es im Ungefähren lasse, was wahr ist oder erfunden.

Martin Sheen for President

Wird der Kunst bisweilen die Aufgabe zugesprochen, den Entwurf einer besseren Welt zu bieten, gibt es den bei House of Cards garantiert nicht. Dafür war The West Wing zuständig, mit einem auf Lateinisch betenden Präsidenten Josiah Bartlet. Die Serie spielte von 1999 bis 2006 und feierte die prosperierenden Clinton-Jahre noch, als die USA längst von Krise zu Krise taumelten. Mit der Realität hatte das nicht mehr viel zu tun, sondern mit einem schönen Märchen aus Washington, das, wie alle Politikserien aus den USA, natürlich auch attraktiv wird durch die Grandezza säulengesäumter Sandsteinbauten, die viel schöner sind als beispielsweise die vollgestopften Ministerzimmer der großartigen Serie The Thick of It, die aus dem Maschinenraum der britischen Politik berichtet.

Viele Amerikaner wollten Martin Sheen, der den Menschenfreund Bartlet spielte, zum echten Präsidenten ihres Landes wählen. Darauf käme man bei Kevin Spacey wohl nicht. Träfe man ihn im Dunkeln, man würde sehen, dass man wegkommt. "West Wing war der Traum, wie unsere Regierung sein könnte. House of Cards ist der Albtraum, wie unsere Regierung tatsächlich geworden ist", schreibt die New York Times.

Das Erstaunliche ist, dass Politiker Fans von House of Cards sind, obwohl es eine Schau der Verkommenheit ihrer Zunft ist. "Ich wünschte, die Dinge wären so ruchlos effizient hier", sagt Barack Obama. Manchmal bewundert er Underwood. "Der Typ kriegt eine Menge geregelt." Die fiktiven Politiker erscheinen ihm und seinen echten Kollegen wohl so konstruiert böse, dass sie glauben, mit einem Bekenntnis zu House of Cards gefahrlos punkten zu können.

"Der Typ kriegt eine Menge geregelt"

Bei Borgen ist das sehr anders. Jedenfalls in Dänemark. Wurde die TV-Serie um die Premierministerin Birgitte Nyborg international gefeiert, war die Kritik im Land teils sehr harsch. Das hatte damit zu tun, dass sie für viele dänische Politiker und selbst Parlamentsjournalisten zu nah war an der Realität. Zu jeder Person und Partei gibt es eine Entsprechung im realen Dänemark, analysiert Indes, die populärwissenschaftliche Zeitschrift für Politik und Gesellschaft. Søren Espersen von der Dänischen Volkspartei, an den der rechte Trampel Svend Age Saltum in Borgen erinnert, fragte demnach wutentbrannt in der dänischen Zeitung Politiken, warum man an selber Stelle denn nicht einen pädophilen Politiker der Sozialistischen Volkspartei sehe.

In Zeiten großer Politikverdrossenheit laufen Politikserien extrem gut, gerade jene, die Vorurteile gegen satte und korrupte Volksvertreter aufgreifen. House of Cards nehme da eine besondere Rolle ein, weil der Zuschauer Teil der Story sei und so ein Stück Kontrolle über das Geschehen und so auch die Politik habe, sagt Kevin Spacey. "Der Zuschauer ist Konspirant." Er liest SMS mit, und so wie der spätere Richard III., der sein Publikum einweiht, wie er gedenkt, den Thron zu erobern, spricht Underwood es an. Spacey musste sich nicht umgewöhnen, Shakespeares König spielte er lange im Old Vic Theater in London.

Auch wenn die Geschichte des nackten Strebens nach Macht eine uralte sei, glaubt Spacey, dass House of Cards vor nicht langer Zeit wohl kein Erfolg gewesen wäre. Anfang der Nullerjahre hätten Tempo und Komik Serien bestimmt, erst mit der komplexen Erzählung der Mafiaserie Sopranos habe sich viel geändert. Die Zuschauer hätten auf einmal Spaß daran gehabt, Machiavelli und komplizierte politische Zusammenhänge anzuschauen, wie vielleicht nie zuvor.

Ihn freue das, er sei ein sehr politischer Mensch, habe sein ganzes Leben mit Politik zu tun gehabt. Und? Läuft für ihn gerade in den USA alles politisch rund? Die Frage könne er unmöglich beantworten, sagt er, durchaus verstimmt. "Es gibt Zeiten, in denen Politik uns enttäuscht. Aber kann ich das beurteilen?"

Er sei nur der Schauspieler, den Rest erledige Frank Underwood.

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