Pakistan:Kein Handy ohne Fingerabdruck

Pakistan: Mobiltelefone in einem Schaufenster in Lahore (Archivbild von 2010).

Mobiltelefone in einem Schaufenster in Lahore (Archivbild von 2010).

(Foto: AFP)
  • Wer in Pakistan künftig mit dem Handy telefonieren will, muss seine Fingerabdrücke in einer Datenbank speichern lassen. Die Regierung lässt alle SIM-Karten sperren, die nicht registriert wurden.
  • Das soll im Kampf gegen die Taliban helfen, die Ende 2014 ein Massaker an einer Schule anrichteten.
  • Experten zweifeln daran, ob die Sammelaktion etwas nützt. Sie zeigt aber die Strategie der pakistanischen Regierung im Kampf gegen den Terror.

Von Robert Gast

Es ist eine Maßnahme, die in Deutschland kaum vorstellbar wäre, die Datenschützer auf die Barrikaden treiben würde: Wer in Pakistan künftig via Handy telefonieren will, muss seine Fingerabdrücke von seinem Mobilfunkanbieter speichern lassen. Das soll terroristische Anschläge verhindern.

Millionen Pakistaner drängeln deshalb dieser Tage in die Handyläden des Landes. Ein Teil der SIM-Karten, die noch nicht registriert wurden, wurde am Donnerstag gesperrt, berichtet die pakistanische Zeitung Dawn. Andere Nutzer haben noch bis April Zeit, sich zu melden. Dann aber gilt: Kein Handy ohne Daumenabdruck.

Die gigantische Sammelaktion gilt als Reaktion auf den schwersten Terroranschlag in der Geschichte Pakistans. Am 16. Dezember 2014 stürmten Taliban eine Schule in der Stadt Peschawar im Norden des Landes und ermordeten fast 150 Menschen, davon mehr als 130 Schüler. "Die Angreifer haben per Handy mit ihren Auftraggebern in Afghanistan telefoniert", sagte ein pakistanischer Sicherheitsvertreter NBC News. "Wir müssen ihnen diesen Vorteil nehmen."

103 Millionen SIM-Karten müssen registriert werden

Der Handymarkt in Pakistan boomt seit Jahren. Mittlerweile haben etwa 70 Prozent der Einwohner des 190-Millionen-Einwohner-Staates ein Handy. Auf dessen SIM-Karte, dem kleinen, leicht austauschbaren Chip, sind die Telefonnummer, das Guthaben und Details zur Identität des Besitzers gespeichert.

Etwa 103 Millionen SIM-Karten sollen Mitte Januar, als die neue Regelung in Kraft trat, noch nicht registriert gewesen sein. Oft wurden sie auf der Straße verkauft und es nicht nachvollziehbar, wem sie gehören.

Terroristen nutzen Handys, um Bomben zu zünden

Westliche Beobachter überrascht die Sammelaktion nicht. "Das passt gut ins Bild", sagt der Politikwissenschaftler und Pakistan-Experte Jochen Hippler von der Universität Duisburg-Essen. Die pakistanische Regierung versuche seit längerem, Terroristen den Zugang zum Handynetz zu erschweren. So würden in Regionen, in denen die Regierung Taliban vermutet, immer wieder gezielt Funkmasten ausgeschaltet. Die Terroristen sollen Handys unter anderem dazu nutzen, um bei Anschlägen Bomben detonieren zu lassen, oder Informationen über Bewegungen des pakistanischen Militärs schnell auszutauschen.

In den vergangenen sechs Wochen haben laut Washington Post bereits 38 Millionen Pakistaner ihre Fingerabdrücke bei ihrem Mobilfunkanbieter registriert. Mitarbeiter der fünf großen Mobilfunkanbieter Pakistans vergleichen bei jedem Kunden Passnummer und den Daumenabdruck mit Einträgen einer großen Datenbank der pakistanischen Einwohnermeldebehörde NADRA.

Fingerabdrücke werden in Pakistan schon seit längerem in einer Datenbank gesammelt, etwa bei Wahlen. Knowhow und Technologie für die Erfassung haben die USA geliefert. Laut der pakistanischen Zeitung The News bezieht die pakistanische Polizei aber auch entsprechende Ausrüstung aus Deutschland.

Wer eine neue SIM-Karte mit Guthaben darauf kaufen will, muss seit Längerem bürokratische Hürden überwinden. Bereits 2013 entschied das oberste Gericht der Sindh-Provinz, dass Käufer biometrische Daten hinterlegen müssen. "Als ich letztes Jahr in einer ländlichen Region Pakistans eine SIM-Karte kaufen wollte, verlangte der Verkäufer von mir einen pakistanischen Personalausweis", erinnert sich Jochen Hippler. Der deutsche Politikwissenschaftler kaufte sich dann letztlich eine SIM-Karte auf dem Schwarzmarkt.

Die Sammelaktion verrät viel über die Lage in Pakistan

So würden es bis heute viele Pakistanis machen, man könne SIM-Karten nach wie vor an jeder Straßenecke kaufen, sagt Hippler. "Diejenigen, die Anschläge verüben wollen, werden sich immer über den Schwarzmarkt mit Handys eindecken können", sagt auch Christian Wagner, Pakistan-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Von daher sei fraglich, ob die aufwändige Fingerabdruck-Aktion überhaupt etwas bringe.

Diese Zweifel untermauert eine 2013 veröffentlichte Studie der GSMA, einem Verband von 800 Mobilfunkbetreibern. Eine wachsende Zahl von Staaten hätte im Kampf gegen Terror und Verbrechen zuletzt Gesetze verabschiedet, die vorschrieben, dass sich Käufer von Prepaid-SIM-Karten registrieren müssen. "Es gibt allerdings bisher keine Beweise dafür, dass diese Maßnahmen die Kriminalitätsrate senken." In Mexiko beispielsweise sei die Zwangsregistrierung 2012 nach drei Jahren wieder abgeschafft worden, weil sie sich als nutzlos erwiesen habe.

Pakistan meint es ernst im Kampf gegen den Terror

Auch wenn sie effektiv wenig bewirken mag - die neue Regelung zur Registrierung von Handys zeigt aus Sicht von Experten deutlich den Kurs Pakistans. Christian Wagner sieht sie als Teil einer umfassenden Offensive gegen den Terror. Zu dieser zähle auch eine Verfassungsänderung, die es Militärgerichten erlaubt, Todesurteile gegen mutmaßliche Terroristen zu vollstrecken. Auch habe es zuletzt große Verhaftungswellen gegeben und Versuche, Koranschulen stärker zu kontrollieren. Und nicht zuletzt hat die pakistanische Armee vergangenen Sommer eine Großoffensive gegen die Taliban gestartet.

Pakistaner finden es praktisch, wenn ihr Staat biometrische Daten sammelt

Die wachsende Macht des Militärs werde in Pakistan durchaus kritisch diskutiert, sagt Wagner. Nicht aber die aus Datenschutzgründen bedenkliche Praxis, Fingerabdrücke von sämtlichen Handynutzern zu fordern. Bekannte aus Pakistan würden ihm eher erzählen, dass eine biometrische Erfassung der Bevölkerung doch praktisch sei. Schließlich würden so die Verwandtschaftsverhältnisse, die in Pakistan eine große Bedeutung haben, offiziell erfasst.

Auch bei den Pakistanern, die ein Reporter der Washington Post in der Warteschlange vor einem Mobilfunkladen befragte, schienen eher praktische Sorgen zu überwiegen: "Ich kann es mir nicht leisten, stundenlang Schlange zu stehen", sagte ein Taxifahrer demnach. Von offizieller Seite sieht man überhaupt kein Problem: "Wir haben jetzt neue Technologien und wir sollten keine Angst vor ihnen haben", sagte der Präsident des pakistanischen Sicherheitsnetzwerks PISA der Washington Post. "Die Bewegungen von Menschen verfolgen, das ist doch ganz normal: Jeder Staat tut es."

Handys sind nicht das eigentliche Probleme Pakistans

Die großangelegte Erfassung biometrischer Daten gibt es tatsächlich auch in anderen Ländern. In Europa werden seit 2004 Fotos und Fingerabdrücke auf einem Chip im Reisepass gespeichert. Auch die USA sammeln im großen Stil biometrische Daten von Reisenden. In Indien ist es laut Christian Wagner üblich, dass Mobilfunkfirmen einmal im Jahr prüfen, ob eine SIM-Karte noch benutzt wird - und diese ansonsten sperren.

Neu ist im Falle Pakistans, dass die Abgabe von Fingerabdrücken Bedingung für etwas derart Grundlegendes wie Telefonieren werden soll. Dass die Sammelwut der Behörden nicht auf Empörung stößt, lässt sich wohl damit erklären, dass sich die Stimmung in Pakistan seit dem grausamen Massaker in Peschawar gedreht hat. In der Vergangenheit sei darüber diskutiert worden, ob es auch gute Taliban gebe, sagt Christian Wagner. Das sei nun vorbei.

"Die Handy-Aktion ist ein Indiz dafür, dass die pakistanische Regierung den Kampf gegen den Terror jetzt ernsthafter angehen will", sagt auch Jochen Hippler. Den Eliten des Landes dämmere mittlerweile, dass es nicht ausreiche, einfach nur möglichst viele Taliban zu töten. Stattdessen müsse Pakistan verstärkt an den Gründen für die Radikalisierung von Teilen der Bevölkerung ansetzen. Das bedeute: Die Korruption bekämpfen und das Misstrauen gegenüber dem Staat abbauen, das in manchen Regionen immer noch groß sei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: