70 Jahre Unimog:Zu robust für einen Neukauf

Mercedes Unimog U5000

Nur wenige Fahrzeuge sind so geländegängig wie ein Unimog.

(Foto: Daimler AG - Global Communicatio; Daimler AG)

Es gibt ihn als Traktor, als Luxusgefährt für arabische Scheichs und auch als Entwicklungshelfer: Das "Universal-Motorgerät" Unimog wird 70 Jahre alt. Dabei war seine Karriere schon einmal fast vorbei.

Von Max Hägler, Wörth

Es ist wie auf der Achterbahn. Gerade eben ging es so steil bergauf, dass nur noch der wolkenverhangene Himmel zu sehen war. Da muss man das Lenkrad gerade halten, sonst kippt der Unimog seitlich weg. Und jetzt geht es wieder hinunter. Die Farbe wechselt von himmelgrau zu erdbraun: 60 Prozent Gefälle, vor der riesigen Fensterscheibe ist nur noch eine Schlammpiste zu sehen, die in einem Teich endet. Schöne Aussichten. Purzelt der Unimog jetzt nach vorne?

Tatsächlich ist noch Puffer drin, 110 Prozent Gefälle wären fahrbar. Und die ganz kleinen Gänge sind auch noch gar nicht aktiviert: Hase, Esel, Schildkröte, so sind die Schalter beim Unimog beschriftet. Höchstgeschwindigkeit bei der aktivierten Schildkröte: 0.15 Kilometer pro Stunde. Die halbe Strecke runter ist geschafft, da sagt der Beifahrer Walter Eisele: "Immer, wenn man denkt, das ist nicht zu schaffen, gewinnt der Unimog."

Steter Kampf um die Daseinsberechtigung

Er wird es wissen, bis zu seinem Ruhestand im vergangenen Jahr hat Eisele dieses Teil gebaut, zuletzt war er Produktionsleiter der Mercedes-Benz-Sonderfahrzeuge. Die Räder tauchen in die Brühe ein, vielleicht einen Meter, die Gischt spritzt. Aussteigen wäre jetzt eher ungünstig.

Der Unimog gewinnt immer - das ist vielleicht übertrieben. Aber er kämpft sich meist erfolgreich durch herausforderndes Gelände und bald wird er seinen 70. Geburtstag feiern - was alles andere als sicher war: Der Unimog musste mehrfach um seine Daseinsberechtigung kämpfen. Doch bislang hat er durchgehalten. Es gibt nicht viel in der Automobil-Geschichte, was da mitkommt, höchstens noch der Jeep oder der VW-Bus. Wobei selbst der Jeep nicht mehr das ist, was er war; es gibt jetzt sogar ein Modell ohne Allradantrieb, der sich damit technisch einfügt in diese schildkrötenförmigen Gelände-SUVs, die kräftig aussehen, aber mitunter schon beim Durchfahren einer Pfütze absaufen. Beim Unimog, diesem Fahrzeug mit dem Schildkröten-Schalter, passiert das nicht.

Das Universal-Motorgerät nimmt Fahrt auf

Los gegangen ist es unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Albert Friedrich, zuvor Leiter der Flugmotorenkonstruktion von Daimler-Benz, versammelte zum Kriegsende 1945 Ingenieure, um einen Wagen zu entwickeln, mit dem die Deutschen ihre Äcker bestellen und das Land aufräumen können. Die Techniker konzipierten einen allradgetriebenen Allzwecktrecker, Spurweite 1,3 Meter, so breit wie zwei Kartoffelreihen, aber auch schnell genug, um die Ernte in die Städte zu bringen.

Ein nützliches Gefährt, zumal wenn der Plan des US-Finanzministers Henry Morgenthau umgesetzt worden wäre, aus Deutschland einen Agrarstaat zu machen. Der Plan verschwand in der Schublade, aber das Universal-Motorgerät, kurz Unimog, nahm an Fahrt auf: Im Oktober 1945 erteilte die US-Militärverwaltung eine "Production-Order", nach vielen Tests startete die Serienproduktion. Wenige Jahre später übernahm Daimler das Geschäft.

Fast alles in Handarbeit

Mercedes Unimog

Wandelbare Kämpfernatur: Der Unimog kann ein Reisemobil sein. Oder ein Traktor. Oder auch ein Militärfahrzeug.

(Foto: Daimler AG)

Damals wie heute werden die Unimogs zu großen Teilen von Hand gefertigt. In der Produktionshalle in Wörth am Rhein, gleich neben dem schlammigen Testparcours, sind keine Roboter zu sehen, es ist nicht so piekfein wie in modernen Autofabriken. Stattdessen hämmern und schrauben Männer mit breitem Kreuz, und auf den Werkbänken finden sich Klebebänder und Kriechöl. Eine halbe Stunde dauert hier ein Takt, nicht drei Minuten wie sonst. Ein Männertraum: Auf eine freie Stelle bewerben sich Hunderte.

Diese Manufakturarbeit hat ihren Grund: Kein Unimog sieht aus wie der andere. Es gibt welche, die auf Schienen fahren können. Es gibt die orangen "Kommunalfahrzeuge", die man auf der Straße sieht und die Schnee räumen, salzen, baggern und dann im Frühjahr zu Mähmaschinen samt Bewässerungstank umgebaut werden. Ein wichtiges Verkaufsargument, ein Unimog ist zwölf Monate im Jahr nutzbar. Es gibt den Unimog als Traktor, wobei er dort aufgrund der vergleichsweise kleinen Räder und des hohen Preises nicht oft genutzt wird. Es gibt ihn als Luxusgefährt für arabische Scheichs. Als Weltreisemobil. Als Entwicklungshelfer, wie in Indonesien, wo vor einigen Jahren ein Pater sogar einen Altar mit Bausteinen baute, die dem Mercedes-Stern nachempfunden waren, weil er so glücklich war über seinen Unimog. Seit Jahrzehnten leiste das Gerät treue Dienste beim Aufbau von Schulen und Kliniken: "Er macht seinem Namen alle Ehre."

Über die militärische Nutzung schweigen sie lieber

Und es gibt ihn als Armeetransporter und als Grundlage für Radpanzer: Im Dingo werden Unimog-Fahrgestelle verbaut und auch bei einigen Varianten des Caesar, eines französischen Artilleriegeschützes, Kaliber 155 mm. "Paradox" nennen manche bei Daimler diese Nutzung, schließlich sei das Fahrzeug ja einst als Zivilgerät erdacht worden. "Der Unimog ist eben vielseitig, wie ein Schweizer Messer", sagt Eisele. Anders gesagt: ein klassisches Dual-Use-Produkt, eines das zivil, aber auch militärisch genutzt werden kann. Wobei sie über die Gefährte, die in Tarnfarben auf dem Hof stehen, hier nicht so gern reden.

Und doch gibt es, aus geschäftlicher Sicht, ein Problem: Der Unimog ist robust. Wer sich so ein Fahrzeug gekauft hat, braucht sobald kein neues. Dazu kommt, dass die Bundeswehr zuletzt abgerüstet hat. Etwa 2000 Universalgefährte verkauft Daimler deshalb nur noch pro Jahr, zu etwa 100 000 Euro, Aufbauten und Werkzeuge nicht mitgerechnet.

Ein Umzug rettet den Unimog

Zur Jahrtausendwende sind sie deshalb umgezogen, vom langjährigen Standort Gaggenau im Schwarzwald nach Wörth. Ein Bruch mit Traditionen erinnert sich Michael Brecht, der damals Betriebsratschef in Gaggenau war und der heute Daimler-Betriebsratschef ist: "Gaggenau ist Unimog und Unimog ist Gaggenau." Doch auch die Arbeiter und ihre Funktionäre sahen den dramatischen Einbruch beim Verkauf, mehr als zwei Drittel der Stellen waren in den 1990er Jahren bereits gestrichen worden - und stimmten schließlich zu, im 40 Kilometer entfernten Wörth zu schaffen, wo eine neue Produktionsweise den Unimog rettete.

Am Unimog-Band in Wörth werden heute auch Müllfahrzeuge und größere Militärlastwagen gefertigt. Diese Baukasten-Produktion samt gemeinsam entwickelter Motoren spart Kosten und war "die einzige Zukunftschance", sagt Brecht, dessen Vater schon Unimog-Testfahrer war. Es sei richtig gewesen, diese Chance nicht zu vertun. Wegen der Arbeitsplätze, aber auch wegen der Emotionen: "Kein Produkt bei Daimler ist so eine weltweite Werbeikone!"

Auf die übrigens auch Brechts Gewerkschaft setzt: Vor einiger Zeit hat die IG Metall einen Unimog angeschafft, in Gewerkschaftsrot natürlich, samt Lautsprechern. Der Unimog als Demo-Mobil, auch das geht - und passt zu seiner Kämpfernatur.

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