Autobranche im Umbruch:Nervös Richtung Zukunft

BMW-Hauptversammlung

Die BMW-Zentrale in München. Bei den Autobauern in Deutschland ist die Nervosität groß.

(Foto: dpa)
  • Die deutsche Autobauer machen so hohe Gewinne wie nie. Trotzdem sind sie nervös, denn der Markt verändert sich immer schneller.
  • Zeichen dafür sind augenscheinlich widersprüchliche Entscheidungen. Zum Beispiel Kosten sparen zu wollen und gleichzeitig Tausende neue Mitarbeiter einzustellen, wie es BMW macht.
  • Apple wirbt viele Mitarbeiter aus der Branche ab. BMW und andere suchen IT-Fachleute. Ein Zeichen, dass der Markt für selbstfahrende Autos und leichte Elektroautos bald zwischen IT-Firmen und den traditionellen Autobauern umkämpft sein wird.

Von Thomas Fromm

Dass irgendwas passiert in der Autowelt, ist schon seit ein paar Monaten klar. Zuerst hatte VW-Chef Martin Winterkorn ein Milliarden-Sparprogramm angekündigt. Es hatte den wunderbaren Namen "Future Tracks". Sparmaßnahmen, die nach offizieller Sprachregelung maximal "Effizienzprogramm" heißen dürfen und die auch deshalb immer auch noch einen knackigen englischen Namen verpasst bekommen, sind in Konzernen an der Tagesordnung.

Dann aber kam VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh mit seinen eigenen "Future Tracks", die er im vergangenen Herbst als 400-Seiten-Bericht auf den Tisch knallte, und sagte, man könne durchaus auch mehr als die von Winterkorn angepeilten fünf Milliarden einsparen. Das war sehr ungewöhnlich.

Ungewöhnlich wie das hier: Am Freitag veröffentlichte der Autobauer Rekordzahlen. Der Umsatz lag im vergangenen Jahr bei mehr als 200 Milliarden Euro und damit nur leicht unter dem finnischen Bruttoinlandsprodukt. Der Gewinn erreichte elf Milliarden Euro, die Dividende soll von vier Euro auf 4,80 erhöht werden. Eigentlich also alles prima, wenn man davon absieht, dass es vor allem wieder mal die Edelmarken Audi und Porsche waren, die das Geld für VW verdient haben. Aber von wegen: Zuerst orakelte Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch, dass das Jahr 2015 "sicher kein Selbstläufer" werde, dann brach auch noch die Aktie zeitweise ein.

Ein Betriebsrat legt Sparpläne vor. Rekordzahlen werden eingefahren, und die Stimmung geht in den Keller. Wie muss man das alles verstehen?

Auch bei BMW geschehen interessante Dinge. Einerseits gilt höchste Kostendisziplin, heißt es aus dem Münchner Vierzylinder. Andererseits: Der Premium-Bauer will in diesem Jahr an die 8000 Leute neu einstellen. Sparen bei Rekordzahlen, Tausende neue Jobs schaffen - passt das zusammen? Es passt.

Apple ist gerade dabei, verdächtig viele Autoleute abzuwerben - das macht nervös

Wären dies normale Zeiten, könnte man davon ausgehen, dass Menschen wie Winterkorn oder BMW-Chef Norbert Reithofer ziemlich entspannt wären. Umsatz-, Absatz- und Gewinnrekorde sind bei solchen Menschen solide Voraussetzungen für einen gesunden Schlaf. Nun sind diese Zeiten aber ziemlich turbulent, und deswegen herrscht in den Konzernbüros große Hektik und Nervosität. Um nicht zu sagen: höchste Alarmstufe.

Es geht für die Deutschen um die große Zukunftsfrage: Sitzen die eigentlichen Rivalen wirklich noch in Stuttgart, Ingolstadt oder München, oder sitzen sie nicht längst im Silicon Valley bei den neuen Autoentwicklern Google und Apple? BMW, VW, Daimler - sie alle suchen gerade händeringend nach IT-Spezialisten und Softwareentwicklern, je mehr davon, desto besser, denn man muss in den nächsten Jahren neue selbstfahrende Autos und leichte Elektrofahrzeuge entwerfen. Deshalb schaffen alle neue Jobs, obwohl alle sparen. Apple ist gerade dabei, verdächtig viele Autoleute abzuwerben - das macht nervös, so wie gerade alles nervös macht.

Seit der Finanzkrise 2008 sind die Zeiten langer ruhiger Phasen vorbei

Trotz der Rekordzahlen der vergangenen Jahre, in denen Daimler, VW, BMW und Audi so viel verdient haben wie nie, waren die Hersteller gefühlt immer im Krisenmodus. Seit der Finanzkrise 2008 und dem großen Absatzschwund am europäischen Markt wissen die Manager, dass die Zeiten langer ruhiger Phasen vorbei sind. Heute ist es super. Aber schon morgen kann es ziemlich dumm laufen.

Der niedrige Ölpreis sorgt dafür, dass die Menschen wieder Spritschlucker kaufen - so, als wäre der Ölpreis auf Jahre hin festgezimmert. Ist er natürlich nicht, deswegen versuchen die Konzerne, ihre großen SUVs jetzt en masse unter die Kunden zu bringen. Die Stimmung kann schnell wieder umschlagen. Dazu kommen: der Ukraine-Konflikt, die EU-Sanktionen gegen Russland, der allmählich auf Normalgeschwindigkeit runterschaltende Wundermarkt China, der wahrscheinlich nie wieder so viel Geld in die Kassen spülen wird zuletzt.

Hektik und Personalrochaden? Davon soll man beim Genfer Autosalon nicht viel mitkriegen

Die Branche ist nervös, es gibt keine Sicherheiten mehr, und das wird man spüren, wenn man in den nächsten Tagen das Frühjahrstreffen der Konzerne in Genf besucht. Aber die große Show, sie verschafft etwas Luft, um zu rechnen, und alle möglichen Manager rechnen nun alle möglichen Szenarien durch.

Es muss schnell gehen, gerade bei Personalentscheidungen. Die Personalien von VW, die bei der Aufsichtsratssitzung am Freitag beschlossen wurden, zeigen, wie schnell jetzt die Dinge geregelt werden. Porsche-Chef Matthias Müller zieht in den Vorstand der Konzernmutter VW ein, als "enger Vertrauter" von Vorstandschef Martin Winterkorn, sagt Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh. "Dass ich dort nun regelmäßiges Vorstandsmitglied bin, empfinde ich als große Ehre und als Vertrauensbeweis", schrieb der Porsche-Boss am Freitag an seine Zuffenhausener Belegschaft. Die weiß natürlich auch, dass es um mehr geht als um Ehre: Müller geht in den VW-Vorstand, weil das Rennen um die Nachfolge von Martin Winterkorn offiziell eröffnet ist.

Selten wurden bei einem Konzern so viele Kandidaten in Stellung gebracht

Es wird ein Schaulaufen der besonderen Art, denn selten wurden bei einem Konzern so viele Kandidaten in Stellung gebracht wie diesmal: Audi-Chef Rupert Stadler könnte der nächste VW-Chef werden, auch wenn der kein Ingenieur ist, Lkw-Chef Andreas Renschler, der gerade erst von Daimler nach Wolfsburg wechselte, und auch Škoda-Chef Winfried Vahland werden ein paar Chancen eingeräumt. Und dann ist da noch der BMW-Mann Herbert Diess.

In München als Kostenkiller berühmt und berüchtigt, soll er nun die Wolfsburger Stammmarke VW profitabler machen. Diess sollte eigentlich im Oktober nach Niedersachsen gehen. Jetzt haben sich die Konzerne und ihre Eigentümerfamilien auf einen schnelleren Wechsel im Juli geeinigt.

Hektik, Sparen, Personalrochaden, nervöse Manager - von all dem soll man beim Genfer Autosalon natürlich nicht viel mitkriegen, denn hier geht es um Autos, nicht um Geschichten hinter den Autos. Auf dem Programm steht Wuchtiges wie ein 800 PS starker Aston Martin mit dem Namen Vulcan und ein Ferrari mit 1050 PS. So kann man sich auch Mut machen.

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