Edathy-Prozess:Reue wider Willen

Edathy-Prozess

"Ich habe die Dateien heruntergeladen und geöffnet", ließ er durch seinen Anwalt erklären: Sebastian Edathy vor dem Landgericht in Verden.

(Foto: dpa)
  • Nach einem Schuldbekenntnis des Angeklagten Sebastian Edathy ist der Prozess gegen ihn wegen des Besitzes von Kinderpornografie gegen eine Geldauflage eingestellt worden.
  • Edathy und sein Anwalt weisen mehrmals darauf hin, dass das Schuldbekenntnis nicht als Geständnis zu werten sei. Edathy habe als unschuldig zu gelten, sagte sein Anwalt.
  • Jenseits juristischer Formulierungskunst stellt der Richter klar, dass Kinderpornografie kein Kavaliersdelikt sei. Edathy habe mit dem Kauf von Videos und Heften dazu beigetragen, dass es einen Markt für Kinderpornografie gebe.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Es widerspricht seiner Natur: Fehler eingestehen, Reue zeigen, ein Geständnis ablegen. Sebastian Edathy, 45, ehemaliger Bundestagsabgeordneter, fühlt sich im Recht, bis heute. Und so verhält er sich auch. "Der Wahrheit eine Gasse", hat er gesagt, als er am ersten Tag ins Landgericht von Verden ging. Die Wahrheit - damit meinte er sich und seine Auffassung davon, was ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft: den Besitz von Kinderpornografie. Alles legal, hatte er immer gesagt. Unschön, aber legal. Und wer Reue von ihm verlangte, den griff er an.

Kann sich so ein Mensch ein Geständnis abringen, um die Einstellung des Prozesses gegen ihn zu erreichen? Er kann, aber nur kurz. Sein Verteidiger verliest eine Erklärung. "Die Vorwürfe treffen zu. Die in der Anklage genannten Gegenstände wie der Bildband und die CD habe ich in meinem Besitz gehabt. Das gleiche gilt auch für die Logdaten, ich habe die Dateien heruntergeladen und geöffnet. Der Inhalt war mir bekannt. Ich habe eingesehen, dass ich einen Fehler begangen habe. Ich habe lange gebraucht dazu. Je stärker ich in der Öffentlichkeit angegriffen wurde, desto mehr meinte ich mich verteidigen zu müssen. Ich bereue, was ich getan habe."

Es ist eine kurze Erklärung, und das Wort Kinderpornografie kommt darin nicht vor. Auch später wird Edathy kein Wort dazu sagen. Aber juristisch ist alles drin: Edathy räumt die Anklagevorwürfe ein, und er zeigt Reue. Das war es, was der Staatsanwalt gefordert hatte, um der Einstellung des Verfahrens zuzustimmen.

Der Richter fragt, ob Verteidiger Christian Noll im Sinne von Edathy gesprochen habe. Edathy sagt einen Satz: "Ich bestätige, dass Herr Noll eine mit mir abgestimmte Erklärung abgegeben hat." So könnte man auch über eine diplomatische Note zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea sprechen.

Eine Frau will 1500 Euro Belohnung auf Edathys Laptop aussetzen

Aber im Saal sind alle zufrieden. Der Richter nickt, der Verteidiger nickt, der Staatsanwalt nickt. Da steht ganz hinten im Saal eine Frau auf. Um die 50, Strickpullover. Sie will einen Beweisantrag stellen - das darf sie nicht als Zuschauerin. Aber sie lässt sich nicht abbringen. Sie will, dass noch einmal nach dem Laptop von Edathy gesucht wird, den er als gestohlen gemeldet hat. Sie sagt, sie habe 1500 Euro dabei, in bar, die setze sie als Belohnung für den Laptop aus. Da könnte man die Wahrheit finden.

"Wenn Sie noch ein Wort sagen, fliegen Sie hochkant aus dem Saal", droht der Richter. Die Frau redet weiter. Sie wolle einen ordentlichen Prozess. Edathy schaut demonstrativ auf seine Armbanduhr, er hat seinen Teil ja schon erledigt. Der Richter lässt die Frau aus dem Saal bringen. Ihr Beweisantrag sei unzulässig und unbegründet. "Sehen das die Prozessbeteiligten anders?", fragt er in die Runde. Niemand tut das. Niemand will jetzt noch Hürden errichten.

"Es kam uns einzig darauf an, dass diese Unklarheiten bereinigt werden", sagt Staatsanwalt Thomas Klinge. "Es ging uns nicht darum nachzutreten." Es klingt, als verteidige sich der Staatsanwalt selbst. Er steht unter Druck, gegen seinen Generalstaatsanwalt wird wegen Verrats von Dienstgeheimnissen ermittelt.

Die Frage war doch: Hat er oder hat er nicht?

Nun geht es in die Details. Wie viel muss Edathy zahlen? Was kriegt er zurück von den Gegenständen, die Polizisten bei ihm beschlagnahmt haben? Die Strafe ist schnell geregelt, 5000 Euro sollen es sein - für den Kinderschutzbund. Edathy lächelt etwas gequält. Dann sagt er, er hätte schon gern seinen Computer und andere Sachen zurück. "Meinen rechtmäßigen Privatbesitz bis hin zur Familienbibel." -"Natürlich können Sie die Familienbibel zurückhaben", sagt Staatsanwalt Klinge.

"Aber wie ist es mit den Heften Adam junior und Buben in Freiheit dressiert? Wollen Sie die auch zurück?" Schnell springt der Verteidiger ein, natürlich werde auf die Magazine verzichtet. Später wird der Staatsanwalt gefragt, warum er die Dinge noch mal so beim Namen nennen musste. Ist das nicht doch nachtreten? Der Staatsanwalt lächelt. "Die Familienbibel", sagt er, "liegt seit Langem beim Bundestag. Die kann sich Herr Edathy jederzeit abholen. Wir haben ihm das mehrfach angeboten."

Richter: Rücksichtslose Missachtung der Schutzbedürftigkeit von Kindern

Richter Jürgen Seifert stellt dann das Verfahren ein. Der Angeklagte sei nicht vorbestraft, er sei noch nie strafrechtlich aufgefallen, und er habe ein Geständnis abgelegt. "Er hat sich vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit seinem Fehlverhalten gestellt." Und der Richter sagt jetzt auch, um was es hier eigentlich geht - jenseits juristischer Formulierungskunst.

"Kinderpornografie ist kein Kavaliersdelikt. Die Kinder werden in ihrer Würde und Entwicklung nachhaltig geschädigt. Es geht um die rücksichtslose Missachtung der Schutzbedürftigkeit von Kindern." Edathy habe diese Filme und Hefte nicht hergestellt, aber es gebe diese Hefte nur, weil es einen Markt dafür gibt. "Niemand, auch ein Bundestagsabgeordneter nicht, kann damit rechnen, dass der Staat solche Straftaten ignoriert."

Es ist eine Wahrheit, die im Ringen um Durchstechereien und Verteidiger-Erklärungen fast untergegangen wäre. "Das Gericht hat die Hoffnung, dass sich der Angeklagte bewusst geworden ist, dass das, was er getan hat, eine Straftat ist. Und dass er sie nie wieder begehen wird." Alles Gute wünscht der Richter Edathy noch. Der verlässt das Gericht als freier Mann, nicht vorbestraft. Er verschwindet ohne ein Wort. Auf Facebook postet er kurz danach: "Ich weise darauf hin, dass ein 'Geständnis' ausweislich meiner heutigen Erklärung nicht vorliegt."

In der Tür zum Gerichtssaal steht die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hannover, neben ihr Edathys Verteidiger. "Es geht uns nicht darum, Ihren Mandanten vorzuführen und Reue zu erpressen", sagt sie zu ihm. "Oder dass wir damit unser angeblich mickriges Ermittlungsergebnis kaschieren wollten. Die Frage war doch: Hat er oder hat er nicht? Und er hat, das hat er heute zugegeben." Der Verteidiger lächelt.

Dann tritt er vor die Kameras. "Sebastian Edathy hat als unschuldig zu gelten", sagt Noll. Und er habe gar nicht zugegeben, dass er Kinder- und Jugendpornografie besessen hat. "Er hat sich nicht zum Inhalt der Dateien geäußert." Man kann das als Verteidiger ja mal versuchen, man kann alles uminterpretieren, vielleicht gefällt das so auch dem Mandanten. Aber alle, die im Saal saßen, haben gehört, wie Noll im Namen Edathys vorgetragen hat: "Der Inhalt (der Dateien) war mir bekannt."

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