Zum Tod von Christian Welp:Der Held von München

BASKETBALL : EM 1993 Finale RUSSLAND - DEUTSCHLAND 70:71

Welp im Getümmel: Eine Szene aus dem EM-Finale 1993 gegen Russland.

(Foto: BONGARTS)

Noch vier Sekunden sind zu spielen, und Christian Welp trifft den entscheidenden Freiwurf: Der deutsche Basketball trauert um den Mann, dem er seinen einzigen Titel verdankt. Dabei wollte Welp nie im Rampenlicht stehen.

Von Joachim Mölter

Im Rückblick gipfelt die Karriere des Basketballers Christian Welp in den letzten vier Sekunden eines einzigen Spiels, des EM-Finales 1993 in der Münchner Olympiahalle. Die deutsche Auswahl lag 68:70 zurück gegen die hochfavorisierten Russen, als Spielmacher Kai Nürnberger auf den Korb zudribbelte, zwei Verteidiger auf sich zog, den Ball an den dadurch frei stehenden Welp weitergab, und der ihn zum Ausgleich durch den Ring stopfte.

Weil er dabei gefoult worden war, bekam er einen Freiwurf obendrein. Und Christian Welp, der zuvor vier seiner fünf Freiwürfe vergeben hatte, verwandelte vier Sekunden vor Schluss diesen einen Freiwurf zum 71:70. Deutschland war Europameister, es war der erste und ist bis heute der einzige Titel, den die Männer des Deutschen Basketball Bundes (DBB) gewonnen haben.

"Chris wird für immer mit dem Europameistertitel 1993 verbunden sein und so in unserer Erinnerung weiterleben", sagte DBB-Generalsekretär Wolfgang Brenscheidt am Montag, als die Nachricht von Welps Tod im Alter von 51 Jahren die Basketball-Szene hierzulande erschütterte. Als Ursache nannte die Zeitung The Seattle Times ein Herzversagen, sie berief sich auf einen ehemaligen Mitspieler bei den "Huskies", dem College-Team der University of Washington. Auch dort sorgte die Nachricht für Betroffenheit: In Seattle war der in Delmenhorst geborene Welp heimisch geworden, dort hat er mit seiner zweiten Frau und seinen zwei Söhnen gelebt (aus erster Ehe hatte er noch eine Tochter), nachdem er 1983 als Austauschstudent gekommen war und bis 1987 an der University of Washington studierte und spielte.

Er ist noch immer die Nummer eins in der ewigen Korbjägerliste der Uni mit 2073 Punkten, eine Leistung, die er herunterspielte, als er der Seattle Times im vorigen Jahr ein Interview gewährte: "Das kommt nur davon, dass ich viele Jahre solide gespielt habe. Heutzutage bleiben die wirklich guten Spieler ja nicht mehr vier Jahre auf dem College."

Welp floh vor dem Rampenlicht

Christian Welp hat nie viel Aufhebens um seine sportlichen Erfolge gemacht. Seine Söhne, so erzählte es ein Freund, hätten erst von Bekannten erfahren, dass ihr Vater Basketballprofi gewesen ist. Viele seiner ehemaligen Weggefährten beschreiben ihn als zurückhaltend, still, geradezu scheu. "Christian war ein ganz ruhiger Charakter, der nie im Rampenlicht stehen wollte", erinnert sich Hansi Gnad, der Kapitän der Europameister.

Welp floh regelrecht vor diesem Rampenlicht: Als am 4. Juli 1993 die Schlusssirene ertönte, rannte er sofort in die Kabine und ließ seine Mitspieler in der Halle alleine den Triumph feiern. So hatte er es schon nach dem Viertelfinale gegen Spanien gehalten, in dem er mit einem Wurf zum 72:72 erst für die Verlängerung und dort mit einem weiteren Korb zum 79:77 für den Sieg gesorgt hatte. Als ihn später ein Radioreporter in den Gängen der Olympiahalle auftrieb und fragte, ob ihn seine verstauchte Hand nicht behindert habe, antwortete Welp: "Offensichtlich nicht."

Einzelgänger mit trockenem Humor

"Wir kannten und schätzten ihn als einen Mann mit trockenem Humor", teilten die Europameister von 1993 in einem gemeinsamen Nachruf mit: "Für uns war und ist Chris der Held von München. Er wird es immer bleiben." Auch Svetislav Pesic, damals Trainer des Teams, reagierte bestürzt auf den Tod seines ehemaligen Spielers: "Ich bin heute sehr traurig." Der jetzt beim FC Bayern München tätige Serbe hielt den 2,12 Meter großen Center für "talentierter als Detlef Schrempf", den Leverkusener, der - abgesehen von Dirk Nowitzki - die längste Karriere eines Deutschen in der amerikanischen Profiliga NBA hingelegt hat.

Schrempf und Welp spielten zwei Jahre gemeinsam für die Huskies (1983/84 und '84/85), wobei Welp die statistischen Leistungen seines ein Jahr älteren Landsmannes sogar übertraf. Welps NBA-Karriere wurde freilich von einer Knieverletzung gebremst, die er sich in seiner ersten Saison (1987/88) bei den Philadelphia 76ers zuzog. Nach Stationen bei den San Antonio Spurs und den Golden State Warriors kehrte er 1991 nach Europa zurück, wo seine Knie geringeren Belastungen ausgesetzt waren und er seine Karriere bis 1999 fortsetzen konnte. Mit Bayer Leverkusen holte er fünfmal die deutsche Meisterschaft, mit Olympiakos Piräus den Europapokal der Landesmeister (1997), mit Alba Berlin einen weiteren nationalen Titel (1998).

Dass ihn der damals in Berlin aktive Pesic holte, ist ein Beleg, dass er Welp zu schätzen gelernt hatte. Denn zur EM 1993 wollte Pesic den später als "besten Spieler des Turniers" ausgezeichneten Center zunächst nicht mitnehmen. Der stolze Serbe hatte sich sechs Jahre lang Körbe eingehandelt, wenn er Welp zur Nationalmannschaft einlud und der nicht kam, um seine Kniebeschwerden auszukurieren.

Im Frühsommer '93 war Welp dann bereit, jedoch verzögerte sich seine Ankunft beim Team immer wieder, weil sich in den USA die Scheidung von seiner ersten Frau hinzog. Pesic wurde erst von Funktionären und Spielern überredet, Welp noch in den Kader aufzunehmen.

Der galt Zeit seiner Karriere als Einzelgänger, aber seine EM-Kollegen beteuern: "Chris war Mannschaftsspieler." Das bestätigt auch Dirk Bauermann, einst sein Coach in Leverkusen. Als Bauermann später das Nationalteam trainierte, engagierte er Welp als Assistenten. Beim Gewinn von EM-Silber 2005, dem zweitgrößten Erfolg der DBB-Männer, habe dieser dann "eine wichtige Rolle" gespielt, sagte Bauermann. Es war eine, die Christian Welp sicher gut gefallen hat: unauffällig, im Hintergrund, außerhalb des Rampenlichts.

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