Diskussion um Alkohol, Koffein und Marihuana:So verlogen nehmen wir die Drogen

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Warum diskutieren wir Marihuana so anders als Alkohol oder Nikotin?

(Foto: Illustration: Yinfinity)

Cannabis ist in Deutschland geächtet. Dabei ist es gesellschaftliches Bedürfnis und sogar sozialer Zwang, sich in andere Zustände zu bringen. Wieso werden manche Mittel gestattet oder sogar gefördert und andere nicht?

Von Bernd Graff

Erst gerade wieder! Der Staatsminister des Innern, Joachim Herrmann, der Mann ist von der CSU und wirkt in der Position seit 2007 in Bayern, hielt noch Anfang März 2015 die Einführung von Straffreiheit für das Rauchen von Joints für falsch verstandene Liberalität. Dazu muss man wissen, dass der Mann im März 2008 erklärte, dass das im Januar desselben Jahres eingeführte Nichtraucherschutzgesetz für das Oktoberfest im Herbst 2008 natürlich nicht gelte. Damals herrschte dort also höchstministerlich angeordnet noch einmal freier Paff für freie Trinker.

Man muss außerdem wissen, dass dem Herrn Herrmann in der aktuellen Jointfrage dieser unnachahmliche Satz gelang: "Jedem vernünftig denkenden Menschen leuchtet ein, dass weiche Drogen oft der Einstieg in den Drogensumpf sind." Unnachahmlich ist der Satz deswegen, weil für Herrn Herrmann Vernunft sich schon zeigt, wenn jemandem einleuchtet, dass etwas sein kann.

Diesen schlimmen Drogensumpf, in den man hineintapern kann, den muss man sich so vorstellen wie den furchtbaren, viele innere Organe zersetzenden Suff, der einem nach dem Einstieg mit ein paar halben Bier blühen mag. Das leuchtet ja auch jedem vernünftigen Wesen sofort ein. Ziemlich sicher. Käme Herrn Herrmann aber wohl nie in den Sinn und über die Lippen, die Droge Alkohol als falsch verstandene, legalisierte Einstiegsdroge zu bezeichnen. Denn sonst hätte er diesen Satz vom 1. März 2015 ja auch nie sagen können: "Wir bleiben bei unserer bewährten Linie: Null Toleranz gegen Drogen."

Nun muss man gar nicht auf dem armen Herrn Herrmann so rumreiten, der so eklatant überhaupt keine Probleme mit den Drogen Nikotin und Alkohol zu haben scheint. So überhaupt wenig Probleme hat er mit ihnen, dass er vermutlich gar nicht einmal gemerkt hat, dass sein Null-Toleranz-Gerede diese durchaus mit meinen und folglich mit verbieten müsste. Wie übrigens auch bestimmte Medikamente, diese kleinen Helfer in Flüssig- und Hartform. Meinte Herrmann also ernst, was er da so sagt, dann könnte er es nicht sagen, ohne rot zu werden. Das leuchtet jedem vernünftig denkenden Menschen ja ein.

Doch ist der Riss in der Erkenntnisrübe, der vernünftiges Denken nur noch selektiv ins Werk setzt und blind bleibt für das, was schon nicht so schlimm sein kann, weil wir es ja immer so gemacht haben, keine exklusive Vernunftbeschädigung des aktuellen bayerischen Innenministers. Wir alle, jedenfalls nahezu alle, tolerieren in dieser Gesellschaft ja einen sehr selektiven Drogenbegriff. Unvorstellbar erscheint etwa, dass man in deutschen Großstädten - als Äquivalent zu den ubiquitären Dursti-Durst-Getränkeläden, den legitimen kleinen Feiglingen unter den stationären Dealer-Ecken - Coffee-Shops für gute Tüten findet.

Cannabis ist nicht des Teufels

Um das ausdrücklich und klar zu sagen: Hier sollen Schnaps und Schampus nicht als schlimme Droge verteufelt werden. Aber ebenso wenig ist Cannabis des Teufels. Auch wenn sicherlich stimmt, dass alle Drogen den Wunsch nach mehr auslösen können und folglich schlimme Wirkung haben können. Aber das leuchtet ja jedem vernünftig denkenden Menschen ein, dass weiche Drogen oft ein Einstieg in den Drogensumpf sind.

Nachdem man nun feststellen muss, dass nicht nur ein bayerischer Landesminister eine komische Einteilung von Gefahr und Gefährdung durch Drogenmissbrauch hat - denn auch Herrn Herrmann leuchtet ja ein, dass es Alkoholkranke und Medikamentenjunkies gibt, die ganz ohne Haschisch wenigstens ein Bein im Drogensumpf und das andere im Grab haben -, muss man sich die Schizophrenie dieses Haschischdiskurses einmal genauer vor Augen führen. Dann sieht man, wie diese Gesellschaft ihre Drogenprobleme zugleich aufbauscht und wegwischt.

Die Jo-Jo-Fahrt des Up-and-down-Pushens

Der Begriff "Drug" in "Drugstore" sagt ganz schön aus, wie sich die Alten die Drogen vorgestellt haben, nämlich so, dass man sie im Laden kaufen konnte. Nach heutigen Vorstellungen, nicht nur nach bayerischen: undenkbar. Dabei dealen Pharmakonzerne auch mit Substanzen, die nicht wenig verändern - wenn man denn so will. Drug bezeichnet im Amerikanischen sowohl die Droge wie auch das Medikament. Diese Überschneidung im Begriff ist nicht ganz abwegig.

Denn Droge und Medikament erfüllen zwar nicht ganz dieselbe gesellschaftliche Funktion, greifen aber in den Nervenstoffwechsel ein und unterscheiden sich je nach Dosis nur gering in ihrer Wirkung: Wer nicht kiffen will, kann auch ganz legal zur Beruhigung ein paar Beta-Blocker einwerfen, die Einfluss nehmen auf die Herzfrequenz, gerne bei Stress. Wer das schon mal gemacht hat, weiß etwa, wie Haschisch wirkt, das ist jenes Kraut, das am Rande des Drogensumpfes gedeiht.

Im Wien des frühen 20. Jahrhunderts gab es das Bonmot, dass der gemeine Wiener und Bonvivant abwechselnd Kaffee und Alkohol zu sich nehme, um die Wirkung des jeweils anderen Getränks zu bekämpfen. Ganz ähnlich weiß man in heutigen Hochfrequenz-Arbeitskreisen und solchen, die sich dafür halten, dass man zum Ausruhen Valium einwirft und zum Ausgehen Kokain.

Überhaupt werden Beruhigungsmittel ganz gerne zum Drogenmissbrauch im Nicht-einmal-Herrmann'schen Sinne genommen - und eben ganz legal verschrieben. Man muss dann nur - wie immer - die Dosis erhöhen, und schon hat man auf Rezept herrlichsten Medikamentenmissbrauch betrieben, ist legal high, was jedem vernünftig denkenden Menschen einleuchtet. Nur macht niemand groß Aufhebens darum, wie auch nicht bei der unangemessenen Einnahme von Ritalin und Ähnlichem, einem verschreibungspflichtigen Medikament, das bei unseren Jüngsten schon ab sechs angezeigt sein kann.

Immer steht hinter dem Bedürfnis, solche Mittelchen nicht - im klinischen Sinne - krankheitsbedingt einzunehmen, der Wunsch, sich und seinem Körper entweder Leistung abzuverlangen, die dieser eigentlich gar nicht erbringen kann - und will. Oder aber das Begehr, vom sodann erbrachten Stress wieder runterzukommen: Es ist die banale Jo-Jo-Fahrt des Up-and-down-Pushens, die oft als Tournee unternommen wird, um Held seines Alltags sein und bleiben zu können. Merke: Bis zu dieser Stelle des Artikels hat noch niemand auch nur einen Zug gekifft. Und doch sind alle mit dem, was sich legal im blinden Fleck unserer Drogenwahrnehmung tummelt, schon ziemlich jut druff mit den Nicht-Herrmann'schen-Drogen. Stößchen drauf und hoch die Tassen! So jung kommen wir doch nicht mehr zusammen, einprositdergemütlichkeit.

Mit was auch immer die Großhirnrinde stimuliert wird, Aggressionen reduziert werden, Gefühle von Gelassenheit und Glück getriggert werden oder gleich ganz neue Erfahrungen gesammelt werden - es bleibt ein gesellschaftliches Bedürfnis und auch sozialer Zwang, sich in andere Zustände zu bringen. Verlogen bleibt aber auch, dass manche Mittel gestattet und sogar gefördert sind und manche nicht.

"Auch Boris Becker, das macht Mut, war nur auf Gras so richtig gut"

Es besteht in unseren angeblich so drogensumpfbewussten Breiten jedenfalls eine enorme offene und gar nicht geheime Nachfrage nach Mittelchen, die helfen, die Welt anders wahrzunehmen, als sie nun mal ist, also ohne Angst, Spannungszustände und Zwangsvorstellungen, ohne Stress, innere Unruhe, Frustration - und immer: bei gesündestem Schlaf. Und dazu ist eben dann auch fast jedes Mittelchen recht - bis eben auf die hier mal verbotenen, von denen man nur weiß: Sie sind nicht von hier. Und wohl darum verboten. Ein Witz auf Drogen ist diese Drogensumpf-Quarantäne-Gesellschaft mit ihren Hütern!

Die Rolling Stones sangen schon 1965 von "Mother's Little Helper", ein Song, in dem es heißt: "Mother needs something today to calm her down / And though she's not really ill / There's a little yellow pill / She goes running for the shelter of a mother's little helper / And it helps her on her way, gets her through her busy day / ... / Doctor please, some more of these / Outside the door, she took four more."

Die populärste legale und nicht verschreibungspflichtige Droge zur Leistungssteigerung ist übrigens Koffein. Und dass Cannabis bei einem breiten Spektrum an Krankheiten wie multiple Sklerose oder Depressionen symptomlindernd sein kann, legt eine Erhebung der "Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin" (ACM) in Köln nahe.

Was also soll man dem bayerischen Staatsminister des Innern, Joachim Herrmann, sagen? Am besten das: "Hier riecht es komisch, das ist weil (wir kiffen), und manchmal kommt die Polizei. Ich bau' mir jetzt mal so'n Teil, das finden die bestimmt auch geil. Angela Merkels Blick von weit, sieht aus, als wär' die auch schon breit." Ist natürlich völliger Blödsinn, sang aber Stefan Raab 2001. Darin dann auch noch das: "Auch Boris Becker, das macht Mut, war nur auf Gras so richtig gut." Da sieht man doch, wohin der Drogen-Abusus! Herr Herrmann, bitte schreiten Sie ein!

Cannabis ist eine Droge, die in großen Teilen der Welt illegal ist. Doch das wird mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht so bleiben. Die Legalisierung von Haschisch und Marihuana schreitet voran. Uruguay war das erste Land weltweit, das Marihuana legalisiert hat. In den USA ist der Besitz von Marihuana mittlerweile in mehreren Bundestaaten erlaubt.

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