Prozess in Augsburg:Lebenslange Haft für Polizistenmörder

Polizistenmord-Prozess Augsburg

Raimund M. an einem früheren Verhandlungstag im Landgericht Augsburg.

(Foto: dpa)
  • Vor fast dreieinhalb Jahren wurde der Augsburger Polizist Mathias Vieth bei einer Verfolgungsjagd erschossen. Nun ist der zweite Mordprozess beendet.
  • Raimund M. ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Landgericht stellte außerdem die besondere Schwere seiner Schuld fest, ordnete allerdings keine Sicherungsverwahrung an.
  • Vor dem Urteilsspruch war es zum Eklat gekommen: Die Verteidiger des angeklagten 61-Jährigen verzichteten am Vormittag auf inhaltliche Plädoyers und warfen dem Landgericht Augsburg ein unfaires Verfahren vor.

Aus dem Gericht von Stefan Mayr, Augsburg

Der Angeklagte Raimund M. nimmt die Worte des Richters mit gesenktem Kopf zur Kenntnis. Er schnäuzt sich mehrmals und fährt sich mit der Hand über die Augen. Das Landgericht Augsburg verurteilt den 61-Jährigen zu einer lebenslangen Haftstrafe und stellt die besondere Schwere der Schuld fest. Dies war auch allenthalben erwartet worden. Spannend war eigentlich nur die Frage, ob die Kammer eine anschließende Sicherungsverwahrung anordnet. Sie tut es nicht.

Damit kann sich M. Hoffnungen machen, nach 20 Jahren im Gefängnis als dann 81-Jähriger wieder auf freien Fuß zu kommen. Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass M. am 28. Oktober 2011 zusammen mit seinem Bruder Rudi R. den Polizisten Mathias Vieth nach einer Verfolgungsjagd mit mehreren Salven erschossen hat.

Verteidiger kritisieren das Gericht

Vor der Urteilsverkündung geht es im voll besetzten Schwurgerichtssaal 101 ein letztes Mal hoch her: Zunächst meldet sich die Schwester des getöteten Polizisten sehr emotional zu Wort. Danach kritisieren die Verteidiger die Kammer scharf. Sie sprechen dem Gericht ihre Legitimität ab und beschweren sich massiv über eine Vorverurteilung ihres Mandanten.

"Hier sitzen nicht die gesetzlichen Richter", sagt Anwalt Adam Ahmed. Seiner Meinung nach hätten die drei Berufsrichter nach dem Abschluss des ersten Prozesses gegen Rudi R. das zweite Verfahren wegen Befangenheit abgeben müssen. Nicht zuletzt, weil sie in ihrem Urteil vom 27. Februar 2014 den damals nicht mehr angeklagten Raimund M. mehrmals als Mittäter bezeichneten. Das Verfahren gegen ihn war zuvor im November 2013 abgetrennt worden, weil ihn ein Sachverständiger für verhandlungsunfähig erklärt hatte.

Dennoch wurde M. in dem Urteil von 2014 nach Ahmeds Angaben 688 Mal genannt. "Da hat sich das Gericht 688 Mal festgelegt, dass mein Mandant Mittäter war", kritisiert Ahmed. Zu Prozessbeginn im September hatte er mehrere Befangenheitsanträge gestellt - ohne Erfolg. "Diese Vorgänge sind rechtsstaatlich nicht mehr vertretbar", sagt Ahmed. "Das Verfahren hier war längst gelaufen, bevor wir angefangen haben." Ähnlich äußert sich Verteidiger-Kollege Werner Ruisinger, dessen Plädoyer ungewöhnlich kurz ausfällt: "Mein Mandant geht nicht davon aus, dass ein Schlussvortrag das Gericht noch beeinflussen kann." Dennoch beantragt er Freispruch aus Mangel an Beweisen.

Wie ein alter gebrochener Mann

Der 61-jährige Angeklagte wirkt am 27. und letzten Verhandlungstag wie ein alter, gebrochener Mann. Grauer Haarkranz, weiße Haut. Die rechte Hand zittert wegen seiner Parkinson-Krankheit stark. Dass vier stark bewaffnete Beamte des Sondereinsatz-Kommandos zur Bewachung um ihn herum sitzen, wirkt angesichts der äußeren Erscheinung des M. etwas übertrieben.

Die meiste Zeit kauert er vornübergebeugt mit hängendem Kopf auf seinem Stuhl, dabei dreht er dem Zuhörerbereich stets den Rücken zu. "Es kann nur noch besser werden", hatte er vergangene Woche zu seinem Bruder Rudi R. gesagt, als dieser nochmals als Zeuge aussagte. "Halt dich, sei stark", rief R. ihm zu, "es ist noch nicht vorbei." Die aufmunternden Worte hatten keine große Wirkung. Zum Abschied hob M. nur langsam die linke Hand.

"Mein Bruder könnte noch leben"

Bewegende Worte spricht die Schwester des getöteten Polizisten, die als Nebenklägerin am Prozess teilnimmt. Als sie das Wort ergreift, blickt Raimund M. das erste und einzige Mal an diesem Tag in Richtung der Staatsanwältinnen und der Nebenkläger. "Mein Bruder könnte noch leben", sagt sie. Wenn Rudi Rs. erste lebenslange Strafe auch lebenslang bedeutet hätte. R. war bereits im Juni 1976 wegen eines Polizistenmordes verurteilt worden. 19 Jahre danach war er aufgrund einer positiven Sozialprognose vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Jetzt, nach seinem zweiten Mord, wurde er zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Vieths Schwester ist seit 30 Jahren Krankenschwester, sie wirkt nicht wie eine Person, die zu Aggressionen neigt. Doch an diesem Tag stellt sie knallharte Forderungen auf: Raimund M. dürfe keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder haben, verlangt sie. "Keine Besuche, keine Telefonate. So, wie ich nie mehr mit meinem Bruder reden kann." Während sie ihre Stellungnahme vom Blatt abliest, zittern ihre Hände und Arme. Das Papier vibriert, aber ihre Stimme bricht nur einmal. Bei ihrem letzten Satz: "Mein Bruder fehlt, fehlt, fehlt."

Richter sieht "besonderen Brutalität und Menschenverachtung"

Der Vorsitzende Richter Christoph Wiesner spricht in seiner Urteilsbegründung von einer "erdrückenden" Indizienkette und von einer "besonderen Brutalität und Menschenverachtung". Wiesner geht auch auf die Kritik der Verteidiger ein. "Man kann unsere Vorbefassung kritisch sehen", räumt er ein. Aber der Rechtsstaat regle eben nicht nur das Recht des Angeklagten, sondern auch das der Hinterbliebenen auf Schutz.

Auf eine Sicherungsverwahrung verzichtet das Gericht. "Herr M. ist zwar äußerst gefährlich", sagt der Richter, "aber er ist nicht gleichzusetzen mit seinem Bruder." M. sei nicht vorbestraft und es sei auch möglich, dass er von einer langjährigen Haft "zu beeindrucken wäre". Auch die Parkinson-Krankheit sei zu berücksichtigen. Damit folgt das Gericht dem Antrag der Verteidiger. Raimund M. nimmt dies gerührt zur Kenntnis: Er wischt sich mit dem Taschentuch über die Augen. Staatsanwaltschaft und Nebenkläger hatten Sicherungsverwahrung gefordert.

Abgeschlossen ist das Verfahren mit dem Urteil noch lange nicht: Die Verteidiger kündigen Revision zum Bundesgerichtshof an. "Hier geht es um das Recht auf einen fairen Prozess", sagt Adam Ahmed, "dafür lohnt es sich zu kämpfen." Es gibt Juristen, die Ms. Taten für abscheulich halten, aber die Argumentation seines Anwaltes nachvollziehen können.

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