Behördenverlagerung in Bayern:Die wundersame Welt der Ämter

  • In Bayern sollen die Stellen von mehr als 3000 Beamten und Angestellten von den Städten aufs Land verlagert werden.
  • Zu dem Plan von Heimatminister Söder sind noch viele Fragen offen. Zum Beispiel, wer dabei die Gewinner und Verlierer sind. Und was das alles eigentlich kosten wird

Von Katja Auer, Anna Günther, Hans Kratzer, Stefan Mayr, Frank Müller und Wolfgang Wittl

Die Söder-Fans

In der CSU ist es, als ob ein Schalter umgelegt wurde: Vor Söders Bekanntgabe durfte keiner etwas sagen, danach besteht fast schon Huldigungspflicht. Die Abgeordneten hängen an Söders Rockschößen, so wie etwa Berthold Rüth aus Miltenberg, der sich auf Facebook über 30 neue Arbeitsplätze freut: Das sei möglich geworden, "weil ich als Vorsitzender der Enquete-Kommission ,Gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern' ganz nah an Heimatminister Dr. Markus Söder dran bin". Sollte Dr. Söder sich von der Aktion versprochen haben, dass sie sein internes Ansehen steigert, geht die Rechnung auf. Skeptische Kommentare, auch aus München, sind kaum zu vernehmen. Momentan sei Weihnachtsstimmung, sagt ein Abgeordneter. "Die Ernüchterung wird kommen."

Die Überraschungssieger

Tatsächlich hat es auch Bürgermeister gegeben, die nicht katzbuckelnd vor das Heimatministerium gezogen sind. Hofs OB Harald Fichtner etwa, der sich gar nicht erst beworben hatte. Immerhin zog 2005 bereits das Landesamt für Umwelt mit inzwischen 300 Stellen nach Hof um. Nun kommen noch einmal 15 hinzu, außerdem 20 Stellen bei der Geodaten-Gewinnung für das Landesamt für Digitalisierung und zehn Beschäftigte bei einem Stützpunkt der LfA Förderbank. "Wir waren überrascht", räumt ein Sprecher ein. "Aber wir nehmen die Stellen natürlich gern."

Auch in Deggendorf staunt man über ein unerwartetes Geschenk: 160 Stellen wird die Stadt durch die Autobahndirektion Süd bekommen, da lässt sich der Abzug des Bauamts nach Vilshofen (50 Stellen) verschmerzen. Zumal Deggendorf mit seiner Hochschule als wirtschaftlich gesunde Region gilt. Landrat Christian Bernreiter wertet die Verlagerung als Signal, dass es der Staatsregierung mit dem Ausbau der A 3 und A 94 ernst sei. Andere sehen im Landkreistagspräsidenten Bernreiter selbst einen nicht unwesentlichen Standortvorteil - wie auch im Verhandlungsgeschick der Kabinettsmitglieder Bernd Sibler und Helmut Brunner, dessen Heimatlandkreis Regen 130 Stellen bekommt.

Überraschend ist die Verlagerung von 20 Beschäftigten der Autobahndirektion Südbayern nach Kempten, das übrigens die Heimatstadt von CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer ist.

Der ganz große Gewinner

Dass er der ganz große Gewinner sein soll, war Oliver Weigel, dem Oberbürgermeister von Marktredwitz, nicht auf Anhieb klar. Eine Justizvollzugsanstalt, damit hatte er nicht gerechnet. Aber einen Tag später überwiegen auf seiner Liste, die sich in der Nacht geschrieben hat, die positiven Punkte. "Jetzt freuen wir uns", sagt er. Ein Gefängnis für 364 Straftäter, männlich wie weiblich, das bedeutet 186 Beschäftigte und eine Wirtschaftskraft, die in die Region ausstrahlt, hofft Weigel. Darauf verweist auch Söder: Ein Gefängnis sei einem Bundeswehrstandort vergleichbar an Wirtschaftskraft - noch dazu, da es auch hochwertige Arbeitsplätze wie Stellen für Ärzte schaffe. Es würden Haftplätze aus München, sagt eine Sprecherin des Justizministeriums. Im größten bayerischen Gefängnis in Stadelheim müssten dann keine Haftplätze saniert oder neu geschaffen werden. In Marktredwitz soll auch eine Mutter-Kind-Abteilung entstehen, außerdem sollen erstmals Plätze für ältere Gefangene geschaffen werden, die aus psychischen oder physischen Gründen im normalen Vollzug nicht zurecht kommen.

Die Verlierer

Was sind für eine erfolgreiche Stadt wie Regensburg schon 75 Stellen?, könnte man sagen. Nicht so Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD). Er zeigte sich empört, dass die Außenstelle der Autobahndirektion Süd nach Deggendorf wandern soll - "eine völlig sinnfreie Entscheidung, die nur ein politisches Kompensationsgeschäft darstellt". Für die Bezirkshauptstadt der Oberpfalz ist es bereits der zweite Verlust in der jüngeren Vergangenheit: Vor Kurzem musste sie das Amt für ländliche Entwicklung mit 150 Stellen nach Tirschenreuth ziehen lassen. Auch Nürnbergs OB Ulrich Maly (SPD) ist überrascht, dass er 160 Stellen abgeben soll, "aber das hält die Stadt aus zugunsten des Landes", sagt er. Kulmbachs Oberbürgermeister Henry Schramm bekommt 35 Stellen - und fühlt sich übergangen. Er hatte auf ein Vielfaches gehofft. Nun kritisiert der CSU-Politiker indirekt die Vertreter der Region im Landtag: "Da war unsere Lobby wohl nicht stark genug." Und er selbst habe zu wenig gejammert. Dinkelsbühls OB Christoph Hammer (CSU) hätte sich nach der Landtagswahl gar das Heimatministerium in seiner Stadt vorstellen können. Nun bekommt er eine Außenstelle der Landesfinanzschule Ansbach mit acht Beschäftigten und 100 Studenten. Er will nachverhandeln.

Mogelpackungen

Ein Marketingprofi ist Markus Söder bekanntermaßen. Und so ist auch bei seiner Behördenverlagerung manches ein bisschen aufpoliert. So sollen nach Höchstädt (Kreis Dillingen) 57 Bedienstete des Finanzamtes München kommen. Diese Entscheidung ist allerdings bereits 2011 gefallen. Auch dass Kronach eine Finanzhochschule bekommen soll, ist nicht neu. Das beschloss das Kabinett 2013 nach der schweren Krise des dortigen Fernsehherstellers Loewe. Dass Kronach schon bekannt war, räumt Söder ein. Der Finanzamts-Umzug nach Höchstädt hingegen sei fast gescheitert gewesen, alle anderen Pläne seien neu.

395 neue Stellen: Damit ist Niederbayern nach Oberfranken (418) der Bezirk mit den größten Zugewinnen - zumindest laut Söders Statistik. Allerdings handelt es sich um eine Brutto-Rechnung: Die Servicestelle des Bauamts, die mit ihren 50 Arbeitsplätzen ins niederbayerische Vilshofen wandern soll, war bislang nämlich im nicht minder niederbayerischen Deggendorf angesiedelt. Das gleiche gilt für die 30 Stellen in Landshut, die in das Grüne Zentrum Regen umgeschichtet werden sollen. Netto bekommt Niederbayern also nur 315 Stellen und liegt somit nur noch auf Rang vier der Statistik. Wobei: Auch in der Oberpfalz sind die 75 Stellen, die Regensburg mit der Autobahndirektion Süd verliert, in Söders Rechnung nicht aufgeführt.

Auch in Oberfranken gibt es ein Nullsummenspiel: In Münchberg bei Hof soll das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit 15 Mitarbeitern gestärkt werden. Allerdings werden die nicht aus fremden Regionen abgezogen, sondern von anderen Stellen im eigenen Landkreis. Die Gründung von Grünen Zentren wie in Münchberg und Regen hat das Kabinett bereits vor eineinhalb Jahren beschlossen.

Was macht eigentlich...?

Dass das Münchner Beschussamt, das in das Landesamt für Maß und Gewicht inkorporiert ist, nach Mittenwald verlagert wird, ist kurios, weil es diese Einrichtung gemäß einem Kabinettsbeschluss von 2007 gar nicht mehr geben dürfte. Doch dieser wurde klammheimlich einkassiert. Vermutlich ist die Staatsregierung vor den Protesten der Böllerschützen eingeknickt, deren Zahl in Bayern an die 12 000 geht. Eine Auflösung der Beschussämter in München und Mellrichstadt hätte für die Schützen Reisen nach Kiel oder Köln bedeutet, weil sie ihren gesetzlichen Verpflichtungen dann bei den dortigen Beschussämtern hätten nachkommen müssen. Diesen Einrichtungen obliegt die Aufgabe, Waffen, Kanonen und Handböller zu prüfen und zuzulassen. Im Gegensatz zu den Waffen, die nur einmal inspiziert werden, muss die Prozedur bei Schallgeräten, zu denen die Böller gehören, alle fünf Jahre wiederholt werden.

Es gibt weitere Behörden, deren Zweck nicht jedem geläufig sind. Wow, eine Geo-Datenbank mit 70 Stellen! Nur was für ein Amt das ist, das wusste in Waldsassen zunächst niemand. Den Begriff gibt es offiziell noch gar nicht. In der Vermessungsverwaltung in München heißt es, in eine Geo-Datenbank werde wohl der Datenbestand aller amtlichen Karten eingepflegt. Auch die Bayern Labs, die mit ihren IT-Zentren über den Freistaat verteilt werden, sind im Entstehen. Vermutlich sollen sie helfen, auf dem Land das schnelle Internet nutzen zu können. Hinter dem Förderstützpunkt Labo (Landesbodenkreditanstalt) in Grafenau verbirgt sich ein Institut der BayernLB.

Was die 100 Beschäftigten im neuen Haus für Gesundheitsmanagement in Bad Kissingen machen sollen, ist auch noch nicht so richtig raus. Auf jeden Fall wird sich alles um den One-Health-Ansatz drehen, sagt eine Sprechern des Landesamtes für Gesundheit. Das bedeute, dass die menschliche Gesundheit nicht isoliert betrachtet, sondern mit der Gesundheit von Tieren und der Umwelt verbunden werde.

Der Beamtennachwuchs

Was bedeutet es, dass mehrere hundert Studienplätze verlagert werden? Es geht nicht um normale Studenten, sondern um Beamte, die eine Laufbahn im gehobenen Dienst einschlagen wollen. Diese erwerben an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in drei Jahren ihr Diplom. Konkret betrifft die Verlagerung die Fachbereiche Steuern und Finanzen sowie Rechtspflege, die bisher in Starnberg, Herrsching und Kaufbeuren angesiedelt sind. Starnberg wird komplett verlagert, Herrsching muss 200 Plätze an Kronach abgeben - und Kaufbeuren bekommt 70 Studenten dazu. Gerade im Bereich Finanzen sei der Bedarf deutlich gestiegen, heißt es aus dem Finanzministerium. Das wirkt sich auch auf die Landesfinanzschule in Ansbach aus: Derzeit machen 440 Schüler eine Ausbildung, künftig sollen es 700 sein - von 2019 an werden 100 in die Außenstelle Dinkelsbühl ausgelagert.

Die Kosten

Nur um eine Zahl hat sich Söder herumgedrückt: die Kosten. Sie seien seriöserweise noch nicht zu beziffern, weil in vielen Fällen keine Details feststünden. Eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Claudia Stamm hatte jüngst zutage gefördert, dass bei bisherigen Umzügen 11 000 Euro pro Arbeitsplatz flossen. Hochgerechnet auf die zu verlagernden 3155 Stellen ergäbe das 35 Millionen Euro. Eines sei klar, sagt Söder: "Das kostet Geld, aber das ist es auch wert."

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