Kunstwerk am Trafalgar Square:Geschenkter Gaul

Boris Johnson; Trafalgar Square; Geschenkter Gaul

Der Bürgermeister und das Pferd: Boris Johnson vor dem Kunstwerk "Geschenkter Gaul" des Deutschen Hans Haacke

(Foto: AFP)
  • Am Londoner Trafalgar Square ist seit heute ein Werk des deutschen Künstlers Hans Haacke ausgestellt.
  • Das skelettierte Pferd trägt den Titel "Geschenkter Gaul".
  • Londons Bürgermeister Boris Johnson war bei der Enthüllung anwesend - und versuchte sich an einer eigenwilligen Interpretation der Skulptur.

Von Alexander Menden, London

Im selben Maße, in dem die wechselnden Kunstwerke auf dem Sockel in der Nordwestecke des Trafalgar Square Teil einer kulturellen Marke mit internationaler Reichweite geworden sind, hat auch der Ablauf ihrer Enthüllung mit jeder neuen Manifestation an Poliertheit zugelegt. Ordner in Twitter-kompatiblen #Fourthplinth-T-Shirts fehlen bei der Präsentation an diesem sonnigen Donnerstagmorgen ebenso wenig wie eine Dreirad-Espressomaschine: Dieses Gefährt, dessen Fahrer den Kaffee mittel seinen Pedalen mahlt, ist Produkt einer Ost-Londoner Nischenfirma, und hippest-möglichstes Inbild der fortschreitenden Gentrifizierung dieser Stadt unter Bürgermeister Boris Johnson.

Es ist Wahlkampf in Großbritannien, der Bürgermeister ist deshalb noch beschäftigter als sonst - er will ja demnächst neben seinem Tagesjob auch noch als Tory-Abgeordneter ins Parlament einziehen. Aber die Gelegenheit, der Fourth Plinth Commission seinen blonden Stempel aufzudrücken, lässt sich die Ein-Mann-Show Boris Johnson natürlich nicht entgehen: "Manche werden sagen, dieses unbestreitbar unterernährte Tier, dieser ausgemergelte Vierfüßer, sei ein Memento Mori, Symbol einer exzessiven Sparsucht, der George-Osborne-Diät!"

Der Seitenhieb auf seinen Parteigenossen, den Schatzkanzler George Osborne, zeitigt die erwarteten Lacher. Aber Johnson beschwichtigt sofort: "Ich sage: Nein meine Freunde! Es steht für das Pferd, so viele Jahrhunderte lang wichtiger Teil der Transport-Infrastruktur dieser Stadt. Und es steht für die Tube, die U-Bahn, die unter der Oberfläche dieser wunderschönen Stadt fährt, in die unser Schatzkanzler so viel Geld investiert hat, und die heute mehr Passagiere als je zuvor transportiert."

Der Künstler wirkt wie Johnsons persönlicher Fotograf

Währenddessen steht der Künstler Hans Haacke im grauen Kapuzenmantel bescheiden hinter dem Bürgermeister. Die langlinsige Kamera, die um seinen Hals hängt, könnte Uneingeweihte vermuten lassen, er sei als Johnsons persönlicher Fotograf mitgekommen.

"Ich hoffe, Sie teilen meine künstlerische Interpretation Ihres wundervollen Werkes?", fragt der Bürgermeister nach hinten gewandt, bevor er - auch unter Einsatz seiner Deutschkenntnisse - zum rhetorischen Endspurt ansetzt: "Das ist nicht nur ein 'Pferd', sondern ein 'Ur-Pferd', ja sogar ein 'Ur-Pferd-Denkmal'! Bestätigung dafür, dass London nicht nur die Wirtschafts- sondern auch die Kunst- und Kulturhauptstadt der Welt ist!"

Die schwarzen Hüllen fallen, Haackes "Geschenkter Gaul" zeichnet sich schwarz gegen den blauen Spätwinterhimmel ab, das Publikum jubelt.

Während Boris Johnson von der eigens errichteten Empore zu den dicht gedrängten Kamerateams hinabsteigt, wird Hans Haacke in einem kleinen VIP-Zelt von einem Reporter befragt, was er denn von der Interpretation des Bürgermeisters halte? "Ich habe nur die Hälfte verstanden, weil ich hinter ihm stand", sagt der Künstler. "Aber es klang so, als habe er, wie zu erwarten, seine ganz eigene Interpretation gefunden."

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