"Tatort" aus Wien:Jeder Mensch ein Kauz

Tatort Wien/"Grenzfall"

Spielen gelegentlich auch über Untiefen in Drehbüchern hinweg: Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer als Kommissare Fellner und Eisner im Tatort aus Wien

(Foto: ARD Degeto/ORF/Allegro Film/Mile)

Sonst granteln sich die Wiener Ermittler durch ihre Fälle. In dieser kompliziert konstruierten Episode reden Eisner und Fellner übers Granteln. "Grenzfall" hängt ein wenig durch.

Von Holger Gertz

Der große Qualtinger hat seinerzeit gesungen: "Bei mir sads alle im Orsch daham", und im weiteren Sinne hat er damit auch die Beschaffenheit der Tatort-Episoden des ORF beschrieben. Sie sind der Treffpunkt von sonderbaren, verschatteten, österreichischen und also im besten Fall komplett durchgeknallten Charakteren - der Tatort in Gestalt des Wienerlieds.

Die Ermittler Eisner und Fellner funktionieren als Inspektoren genauso wie als Moderatoren, und weil Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser so grandios zusammenspielen, spielen sie gelegentlich auch über Untiefen in den Drehbüchern hinweg. Die menschliche Wärme zwischen diesen Kommissaren ist so angenehm: Wenn sonst schon alles hin ist, bei ihnen ist alles wenigstens halbwegs in Ordnung.

Aus dieser Spannung zwischen Abgrund und Heimeligkeit, zwischen Orsch und Herz, sind grandiose Folgen entstanden. "Grenzfall" allerdings hängt ein wenig durch. Der Plot, ein in die Gegenwart funkendes Verbrechen von 1968, ist kompliziert konstruiert, die Geschichte zieht und zieht sich, der depressive Pianist aus dem Off hat schnell Blasen an den dünnen Fingern.

"A bisserl wia a Imperativ"

Eisner und Fellner granteln inzwischen nicht mehr, sie reden über die Grantelei, etwas Beiläufiges ist da verloren gegangen. Sobald man weiß, was man kann, reitet man es zu Tode.

In dieser Episode ist praktisch jede Nebenfigur so liebevoll ausgemalt, dass es in der Summe wie eine Nummernrevue rüberkommt. Jeder Mensch ein Kauz. Der Name des neuen Assistenten Manfred Schimpf klingt "a bisserl wia a Imperativ". Oberleutnant Kurz von der Außenstelle Horn wirkt wie eine Haderer-Figur. Die Archäologin Prof. Thiele-Voss umreißt den vergleichsweise profanen Vorgang des Schokolade-Essens mit Professor-Boerne-haften Worten: "Seit gestern bin ich damit beschäftigt, meinen Schock zu kompensieren durch die Überdosierung von Tryptophan, Theobromin und Phenylethylamin." Und sämtliche Studenten im Hörsaal sind auf großsprecherische, also sehr österreichische Art bekloppt.

So viele Ideen. Aber wie immer gilt auch hier: Überfüttern verboten.

ARD, Sonntag, 20. 15 Uhr.

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