Jauch-Talk zum Mord an Boris Nemzow:Auf den Spuren ihres Vaters

Putins Rußland - Thema bei Jauch

Zhanna Nemzowa, Tochter des ermordeten russischen Oppositionellen, bei Günther Jauch: "Ich werde nach Russland zurückkehren."

(Foto: dpa)
  • In der ARD-Talkshow von Günther Jauch ist Zhanna Nemzowa zu Gast, die Tochter des ermordeten russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow. Sie wird zunächst von Jauch alleine befragt.
  • Zum Geständnis des mutmaßlichen Täters sagt Nemzowa: "Sie haben die Schuldigen vielleicht gefunden, aber die Wahrheit wird nicht rauskommen."
  • Viel zu früh muss Nemzowa die Bühne verlassen, um den übrigen Talkgästen Platz zu machen.

Von Antonie Rietzschel

Zhanna Nemzowa will nicht über ihren Verlust sprechen. Sie ist die älteste Tochter des Oppositionellen Boris Nemzow, der am 27. Februar in Moskau erschossen wurde. Als solche stand sie bei Günther Jauch ganz oben auf der Gästeliste. Doch jetzt bekommt die junge Russin nur wenige Minuten Zeit. Die will sie nutzen, um das politische Erbe ihres Vaters zu pflegen.

Zu Beginn der Sendung sitzt sie allein mit Jauch da. Ein Foto wird eingeblendet. Es zeigt sie auf der Beerdigung, eine Träne läuft ihr über das Gesicht. Der Moderator fragt, ob es sie getröstet habe, dass so viele Menschen Anteil am Tode ihres Vaters genommen haben. Nemzowa berichtet kurz vom Trauermarsch, an dem sie teilgenommen hat, vom Schock der Menschen. Dann schwenkt sie um: "Jeder Andersdenkende ist eine Gefahr", sagt sie. Ihr Vater sei eine führende Kraft in der Opposition gewesen. Mit dem Mord hätten die Machthaber eine rote Linie überschritten.

Stunden vor der Sendung hatte Russland Fortschritte bei den Ermittlungen im Fall Nemzow gemeldet. Fünf Tatverdächtige wurden festgenommen. Einer habe die Beteiligung der Tat zugegeben, hieß es. Die Verdächtigen sollen aus dem Nordkaukasus kommen. Medienberichten zufolge soll der geständige Saur Dadajew zehn Jahre lang einer Einheit des tschetschenischen Innenministeriums angehört haben.

"Sie haben die Schuldigen vielleicht gefunden, aber die Wahrheit wird nicht rauskommen", sagt Nemzowa bei Jauch. Damit dürfte sie recht haben - auch im Fall der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja wurden die Hintermänner bisher nicht gefasst. Nemzowa war sicherlich nie eine unpolitische Person, wie auch, bei dem Vater. Allerdings ist sie bisher nie öffentlich als Putin-Kritikerin aufgefallen. Die 30-Jährige ist Journalistin. Sie arbeitet jedoch nicht für liberale Medien wie Doschd oder Echo Moskaus, sondern moderiert eine Sendung für den Wirtschaftssender RBC-TV.

Seit dem Tod ihres Vaters ist Zhanna Nemzowa zur Sprecherin ihrer Familie aufgestiegen. In einem Interview mit einer britischen Zeitung kritisierte sie, dass weder sie noch andere Angehörige nach dem Mord von den Behörden befragt wurden. Mittlerweile hat sie sich dafür entschieden, offen zu opponieren. Während des Interviews im Berliner TV-Studio flackert in ihren Augen eine Mischung aus kämpferischer Wut und Trotz. Will sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten?

Eine Antwort darauf bleibt die Sendung schuldig. Jauch verbannt Nemzowa nach dem Gespräch auf einen Platz im Publikum. Diskutieren sollen andere: Der russische Journalist Wladimir Kondratjew mit der früheren Leiterin des ARD-Studios in Moskau, Ina Ruck, sowie Matthias Platzeck, dem Vorsitzenden des Deutsch-Russischen Forums.

Nemzowa folgt jedem Wort nach vorne gebeugt und angespannt, als würde sie gleich aufstehen wollen und sich zu den anderen setzen. Zur Not auf den Fußboden. Platzeck, der sich für ein differenziertes Bild auf Russland einsetzt, wird harsch abgebügelt. Er fordert die Visa-Bestimmungen zu erleichtern, sodass Vertreter der Zivilgesellschaft ins Ausland reisen können, um zu sehen, was möglich ist. "Sie verstehen das nicht. Putin hat kein Interesse an einem solchen Austausch - außerdem können sich viele Russen eine solche Reise gar nicht leisten", erwidert Nemzowa schroff.

In der Runde sitzt auch Alfred Reingoldowitsch Koch, ein früherer Oppositioneller und Weggefährte Nemzows. Außerdem wird Garri Kasparow per Skype zugeschaltet. Der ehemalige Schachweltmeister ist oppositioneller Aktivist. Sie zeigen, was die jahrelange Verfolgung durch staatliche Behörden und Einschüchterung aus der russischen Opposition gemacht haben (mehr dazu hier). Da sitzen zwei verdienstvolle, aber verbitterte Männer. Koch beteiligt sich kaum an der Diskussion, er wirkt ermattet. Mehr als zehn Jahre dauert sein Kampf gegen Putin.

Kasparow sagt ein baldiges Ende der aktuellen Regierung voraus. Wunschdenken: Die Zustimmung für Präsident Putin ist einer aktuellen Umfrage zufolge zuletzt auf 86 Prozent gestiegen.

Koch und Kasparow leben im Exil, wie viele andere, die offen gegen den russischen Präsidenten aufbegehren. Boris Nemzow hatte sich entschieden in Russland zu bleiben. Jetzt ist er tot. Auch seine Tochter will nicht im Ausland bleiben. "Ich werde nach Russland zurückkehren. Am 15. März", sagt sie in der Sendung. Es klingt wie eine Drohung.

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