IS im Irak:Erst zerstören, dann plündern

  • Die Dschihadisten des Islamischen Staats haben am Wochenende offenbar die antike Festungsstadt Hatra im Irak attackiert.
  • Es ist anzunehmen, dass die Extremisten die Ruinen der von der Unesco als Weltkulturerbe anerkannten Stadt zum Einsturz bringen wollten.
  • Vorislamische Geschichte und Kultur hat für die IS-Schergen keinen Wert. Doch die Auslöschung alter arabischer Kultur könnte die Menschen in der Region gegen die brutalen Eiferer aufbringen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die Dschihadisten des Islamischen Staats haben am Wochenende offenbar ihren Vernichtungsfeldzug gegen das kulturelle Erbe Iraks fortgesetzt und die antike Festungsstadt Hatra attackiert. Welche Schäden die bärtigen Bilderstürmer an den Gebäuden angerichtet haben, die bis in die Zeit des ersten Jahrhunderts vor Christus zurückgehen, war am Sonntag noch nicht klar.

Bilder oder Videos aus der Gegend 110 Kilometer südwestlich der vom IS kontrollierten Großstadt Mossul sind noch nicht publik geworden, wie ein Vertreter des Ministeriums für Tourismus und Altertümer in Bagdad sagte. Allerdings lassen übereinstimmende Berichte von verschiedenen Zeugen das Schlimmste befürchten.

Die Dschihadisten rückten offenbar mit Baumaschinen an

Demnach hörten Menschen in der Nähe am Samstagmorgen zwei heftige Explosionen. Es ist anzunehmen, dass die Extremisten die Ruinen der von der Unesco als Weltkulturerbe anerkannten Stadt zum Einsturz bringen wollten, womöglich den erhaltenen Tempelkomplex im Zentrum. Elemente griechischer und römischer Architektur verschmelzen darin mit altorientalischem Dekor und zeugen von einer frühen arabischen Hochkultur. Das Ministerium kritisierte die unzureichenden und "kaum abgestimmten internationalen Bemühungen" zum Schutz historischer Stätten. Dadurch hätten sich die Terroristen bestärkt gefühlt, auch Hatra zu attackieren.

Die Dschihadisten rückten offenbar auch hier mit Baumaschinen an, um die antike Stadt einzuebnen. So waren sie schon vergangene Woche bei der Zerstörung archäologischer Funde in Nimrud vorgegangen. Offenkundig hat niemand versucht, sie daran zu hindern, mit ihrem schweren Gerät Hatra zu erreichen - vielleicht war es aber auch einfach zu spät oder denkbare Luftangriffe waren mit zu großen Risiken verbunden. Das Ministerium hatte gewarnt, die Stadt würde das nächste Ziel der Dschihadisten sein, nachdem sie mit Nimrud fertig waren, der einstigen Hauptstadt des Assyrer-Reiches, die im 13. Jahrhundert vor Christus gegründet worden war.

Hatra entstand wesentlich später, wahrscheinlich im dritten Jahrhundert vor Christus. Der Ort war eine reiche Handelsstadt sowie zunächst Sitz eines Kleinfürstentums im Einflussbereich des mit Rom konkurrierenden Reichs der Parther, das sich vom heutigen Syrien bis tief nach Zentralasien erstreckte. Im Jahr 116 nach Christus und nochmals im Jahr 198 soll die auf einem runden Grundriss angelegte Stadt mit ihrer sechs Kilometer langen Umfassungsmauer und 160 Wachtürmen den römischen Heeren Trajans und Septimius Severus' standgehalten haben. Vieles in Hatra, das einst zwei Kilometer im Durchmesser erreichte, ist noch nicht erforscht. Umso größer könnte daher der Schaden sein.

Vorislamische Kultur hat für den IS keinen Wert

Der Angriff markiere einen Wendepunkt in der "entsetzlichen Strategie der kulturellen Säuberungen im Irak", erklärte die Direktorin der Unesco, Irina Bokova, gemeinsam mit dem Generaldirektor der Islamischen Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, Abdulaziz Othman al-Twaijri. Mit diesem "jüngsten Akt der Barbarei gegen Hatra zeigt der Islamische Staat seine Verachtung für die Geschichte und das Erbe der arabischen Völker", hieß es weiter: Hatra stieg zur Hauptstadt eines der ersten arabischen Königreiche auf, das die Parther als halbautonomen Puffer gegen die Römer gewähren ließen. Es lag zudem an der Seidenstraße, die andere frühe arabische Städte - Baalbek im heutigen Libanon, Palmyra in Syrien und das jordanische Petra - mit Zentralasien verband.

Vorislamische Geschichte und Kultur hat für die Schergen des selbst ausgerufenen Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi keinen Wert. Sie wollen ein Reich errichten, das sich am einfachen Leben des Propheten Mohammed orientiert. Der kam erst etliche Jahrhunderte nach Hatras Gründung auf die Welt. Die wertvollsten Funde von dort hatten die Dschihadisten schon im Museum von Mossul mit ihren Vorschlaghämmern traktiert.

Die Auslöschung alter arabischer Kultur aber könnte mehr noch als die Zerstörung des assyrischen Erbes die Menschen in der Region gegen die brutalen Eiferer aufbringen. Identitäten in der arabischen Welt sind so vielschichtig wie anderenorts auch, und selten sind sie auf den Islam beschränkt, selbst bei tief gläubigen Menschen nicht.

"Wir verlieren unser Land", klagt ein Historiker in Bagdad

Überdies nehmen es die Dschihadisten bei ihrem mit religiösen Rechtfertigungen verbrämten Wüten gegen vermeintliche Götzen mit der eigenen Ideologie nicht so genau: Ein kurdischer Offizieller aus Mossul sagte, die Extremisten hätten bereits am Donnerstag begonnen, Artefakte aus der Ruinenstadt wegzuschaffen. Der Bagdader Archäologe Junaid Amer Habib meint sogar, die Bulldozer sollten ein anderes Vorhaben verschleiern: den Schmuggel und Verkauf kleinerer, aber umso wertvollerer Fundstücke. So sollen die Extremisten in Hatra Gold- und Silbermünzen erbeutet haben.

Geplünderter Schmuck, vermutet Habib, könnte zur wichtigsten Einnahmequelle des Terrorfürsten Baghdadi werden, nachdem der Verkauf von Öl und Geiseln offenbar immer weniger abwirft. Ähnlich äußerte sich Atheel al-Nujaifi, Gouverneur der Provinz Niniveh, in der Hatra, Nimrud und weitere 1800 der etwa 12 000 registrierten archäologischen Fundstätten in Irak liegen. "Was sie bislang zerstört haben, ist nicht mehr als das, was sie geplündert haben", sagte er der New York Times.

Für die Iraker macht es keinen Unterschied. "Wir verlieren unser Land", klagte der Historiker Ali al-Nashmi, Professor an der Bagdader Mustansiriya-Universität, den Tränen nahe.

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